Nachdem Kaiser Karl V. auf seinem Feldzug nach Frankreich gerade so dem Tod entronnen war, musste er sich einem weiteren Problem zuwenden. Die Strategie der verbrannten Erde, welche seine Feinde anwandten, schien aufzugehen! (Zur Vorgeschichte, Teil 1) Die habsburgischen Truppen hatten ihr Lager in Aix aufgeschlagen, der Hauptstadt der Provence. Damit Karls Armee ihren Feldzug fortsetzen oder auch nur aus der Provence ausbrechen konnte, brauchte er Nachschub, und zwar zügig. Die Flotte des berühmten genuesischen Admirals Andrea Doria, welche Vorräte heranschaffen sollte, ließ aufgrund von schlechtem Wind auf sich warten. Als die Flotte endlich ankam, mussten die Vorräte durch das Nadelöhr ungeeigneter, viel zu kleiner Häfen geschafft werden, denn der große Hafen Marseille war gut gesichert.
Damit ein überstürzter und ungeordneter Rückzug oder sogar eine vernichtende Niederlage verhindert werden konnte, schickte Karl darum Spähtrupps in alle Richtungen, um die französischen Garnisonen auszuspähen. Avignon, Marseille, Tarascon, Arles – wenn er eine dieser Städte nehmen konnte, würde er sich Raum zum Atmen verschaffen können. Das wussten auch die Franzosen, deren Strategie auf Zeit spielte. Jedem war klar, dass auch hungrige Armeen eine Stadt erobern konnten. (Zur Vorgeschichte, Teil 2)
Die französische Generalität hatte Glück, als ihre Spione ihnen Kunde brachten von der Achillesferse der imperialen Truppen. Nur eine Handvoll Mühlen versorgten die Armee mit dem dringend benötigten Mehl. Mühlen waren essenziell für den Krieg, denn die Zubereitung von Essen aus ungemahlenem Weizen war zeitaufwendig. Und nicht nur das. Sich von Korn allein zu ernähren, führte zu Verdauungsproblemen und potenziell sogar zum Tod. Die Verteidiger eines Landstrichs taten also gut daran, die Mühlen zu sabotieren, wenn sie sich zurückzogen. Im Falle der Provence waren die Franzosen gründlich gewesen: Die Mühlsteine waren zerschlagen, die Eisenteile weggeschafft und jeder, der wusste, wie man Mühlen baut, in die Feldlager gebracht und dort mit Arbeit versehen. (Mehr zur Logistik einer vormodernen Armee)
Die Mühlen bei Arles waren kein Problem. Ein zügiger Angriff, noch bevor die Habsburger ihren Griff festigen konnten, zerstörte sie. So blieb die Mühle bei Auriol, einer kleinen Stadt tief im habsburgisch besetzten Gebiet. Diese Mühle war vermutlich nur den Hämmern der Franzosen entronnen, weil sie einem Kloster gehörte, das einem Kardinal unterstand, der den Frieden verhandeln sollte. Diese einzelne Mühle versorgte den Kaiser, seinen Haushalt und seine 6000 besten Kämpfer, die neapolitanischen und sizilianischen Tercios.
Der französische König orderte zügig an, die Mühle zu zerstören, und wenn es eine ganze Einheit kosten würde. Der Kommandant von Marseille wandte sich an Christophe Guasco, einen erfahrenen Söldner aus Italien, der diese Suizidmission prompt ablehnte. Er wusste genau, welches Risiko man eingehen musste. Die imperiale Streitmacht lagerte nur 20 km von Auriol entfernt, und das Hinterland war verseucht mit habsburgischen Spähern und kleineren Trupps.
Mindestens so schlimm wie die Gefahren auf dem Weg war Auriol selbst. Das Städtchen hatte eine Garnison von 250 Mann und die Mühle selbst eine Wachmannschaft von 60. Diese 60 waren angewiesen, niemals ihren Posten zu verlassen, egal was passierte, und unterstanden direkt dem Kaiser selbst und nicht dem Stadtkommandanten. All das und der Fakt, dass Guascos Truppen 25 km hinmarschieren, ein Gefecht führen und wieder 25 km durchs Feindesland fliehen mussten, waren mehr als genug Gründe, diesen Auftrag keinesfalls anzunehmen.
Der König war nicht beeindruckt, als man ihm mitteilte, dass er das Unmögliche verlangte, und teilte mit, dass man ruhig 1000 Mann opfern könne. Der nächste Offizier, dem man die Mission anbot, war erst geschmeichelt und nahm an. Als seine Freunde ihm erklärten, was da anstand und dass er sicherlich nur den Ruin finden würde, trat er prompt wieder zurück.
Hier kommen die Ambitionen eines jungen Mannes ins Spiel.
Das Gerücht machte die Runde, dass wer auch immer diesen Auftrag ausführte, vom König reich belohnt werden würde. Der nicht mehr ganz so junge Blaise de Monluc sah damit seine Chance gekommen. Mitte dreissig, 10 Geschwister und kaum Geld, hatte der verarmte Adlige seine Hoffnungen in die Armee gesetzt. Da er sich das Equipment für die Kavallerie nicht leisten konnte, war er Jahre zuvor als Offizier zur Infanterie gegangen.
Nur, seine zahlreichen kleinen Heldentaten in den Gefechten der 1520er Jahre hatten sich nicht ausgezeichnet. Immer wenn Offiziere seine Fähigkeiten erkannten, waren sie bald darauf verstorben. So blieben die Beförderungen aus, und auch die Beute hatte zu wünschen übrig gelassen. So war er zwischenzeitlich in Navarra Vater geworden und bewohnte ein ärmliches Landgut – bis der König von Frankreich wieder Truppen suchte.
Monluc grübelte und grübelte. Guascos Analyse ergab schließlich Sinn. Er kam aber zur Überzeugung, dass er diese Gelegenheit nutzen würde. Entweder er hatte Erfolg oder er ging dabei zugrunde. Ein kleiner Glücksfall brachte seinen Plänen den Durchbruch.
Die Garnison von Marseille wohnte nicht in Kasernen, sondern war bei der Zivilbevölkerung einquartiert, und der Hausherr von Monlucs Unterkunft stammte aus Auriol. Er erklärte Monluc, wie Auriol und das Gebiet um die Mühle aussahen, und er beschrieb ihm auch, welche Schwierigkeiten der Weg nach Auriol bot. Die Hauptstraße war gut einzusehen und führte über einen Fluss, dessen Brücken zerstört waren.
Zwar war Monluc sicher, dass er bis Auriol käme und auch die Garnison überwältigen könnte, aber genau wie Guasco sah er die größte Schwierigkeit im Rückzug. Er entschied sich, den Plan des Königs anzupassen. Statt die Truppe zu vergrößern, würde er sie verkleinern. Er würde 120 ausgewählte Streiter durch die Hügelkette am Rand des Tals leiten, wo die Kavallerie sie nicht erreichen konnte. Der größte Nachteil, das unwegsame Gelände, würde auch weniger Schwierigkeiten bereiten, wenn er 120 kräftige, kompetente und ausgesuchte Leute hätte statt einer Streitmacht von regulären Soldaten. Das Ziel war es nun nicht mehr, die Stadt zu stürmen, zu sichern und dann die Mühle zu zerstören. Stattdessen würden die 120 gerade so reichen, um die Mühle zu zerstören und sich wieder zurückzuziehen.
Das Planen begann. Sie würden abends aufbrechen und zwei Stunden vor Morgengrauen ankommen, das Gefecht im Morgengrauen führen und dann am Tage den Rückzug antreten. Der Vermieter trieb ihm drei Führer auf, die den Stoßtrupp durchs nächtliche Gebirge führen konnten – keine leichte Aufgabe, denn feindliche Spione durften nichts erfahren, und solche Führer waren gar nicht leicht zu finden.
Monluc legte den Plan seinem Kommandanten vor, der ihn erst einmal für verrückt hielt. Zwar kannte dieser ihn schon und hielt Monluc für einen kompetenten Offizier, aber 120 Mann? Mindestens 500 sollten es schon sein. Monluc bestand auf 120 und überredete seinen Vorgesetzten, dem General selbst seinen Plan vorlegen zu dürfen. Dieser war noch viel skeptischer. Schlussendlich kamen seine Vorgesetzten zum Schluss, dass man es ihn versuchen lassen sollte. Der König wäre zufrieden, dass man es versucht hatte, und der Verlust von 120 Mann würde die Garnison von Marseille nicht merklich schwächen.
Monluc bekam freie Hand.
Er suchte 120 Mann aus seinem Verband aus. Allesamt aus dem Adelsstand, allesamt kompetent. Innerhalb weniger Stunden wusste ganz Marseille, was er vorhatte. Damit der Feind nichts von der Operation mitbekam, wurden die Tore geschlossen.
Beim Abmarsch zum Tor wurden sie immer wieder von Soldaten aufgehalten, die sich für den Einsatz freiwillig melden wollten. Eine kleine Gruppe von Adligen unter dem Kommando des jungen Gaspar de Saulx-Tavannes, eines späteren Marschalls des französischen Königs, debattierte erfolgreich. Monluc tauschte 20 seiner Leute gegen diejenigen Gaspars aus.
Durch das ganze Hin und Her verzögert, machte sich der Trupp auf den nächtlichen Marsch durch die Hügel nach Auriol. Gerade als sie den Trupp in zwei Gruppen geteilt hatten, kamen 20 Reiter aus Marseille herangeprescht. Diese 20 Reiter waren Kavalleristen unter dem Kommando von Lord Castelpers aus der Gascogne, der Heimat von Monluc. Sie bestanden darauf, Teil des Kommandos zu sein, da nicht weniger als die gesamte Ehre der Gascogne auf dem Spiel stand! Würde Monluc schließlich versagen, dann würden die restlichen Franzosen ihre Kameraden aus der Gascogne bis ans Ende aller Tage mit Hohn und Spott überschütten. Nach einer halbstündigen Diskussion übergab man den Reitern einen der ortskundigen Führer und wies sie an, mit den Pferden die Straße zu nehmen.
Mit deutlicher Verspätung erreichte Monlucs Kompanie Auriol. Der Morgen würde bald anbrechen, und es war keine Zeit zu verlieren. Die Hälfte seiner Truppe sollte den kleinen Vorort durchqueren und zwei Häuser gegenüber des Tores besetzen, um die Garnison der Stadt einzusperren. Sie sollten auf keinen Fall den Angriff auf die Mühle unterstützen. Damit das allen klar war, erklärte er den Plan nicht nur den Offizieren, sondern auch den Soldaten. Der Plan war, dass die Verteidiger der Stadt in der Dunkelheit nicht erkennen würden, wie gering die Zahl der Angreifer war, und zögern würden. Der Trupp beim Tor musste nur ausreichend Kampfeslust zeigen, um halbherzige Ausbruchsversuche zu verhindern.
Der Angriff begann. Die beiden Trupps eilten an der Mauer der Stadt entlang, bevor sie sich aufteilten. Die Wachen auf den Mauern bemerkten zwar ihre Bewegung, aber erhielten keine Antwort auf ihr Zurufen.
Als Monlucs Trupp die Mühle erreichte, schliefen die Habsburger noch. Nur vier Mann standen Wache. Monlucs Versuch, die Parole zu erraten, ging schief, und die Wachen eröffneten das Feuer. Die Wachleute flohen in das ummauerte Gelände und versuchten, das Tor zu schließen, was ihnen nur halb gelang. Monluc schubste einen seiner Soldaten vor, um das Feuer der Verteidiger auf sich zu ziehen. Nun war der Weg frei, denn die Arkebusen der Spanier waren leer. Im schlecht beleuchteten Hof entbrannte ein Handgemenge.
Die Soldaten im Erdgeschoss waren leicht zu überrumpeln, aber das Obergeschoss zu erstürmen, war ein Problem. Stattdessen schickte Monluc seine Leute auf das Dach, in das sie Löcher hackten. Als plötzlich durch das Dach auf die verbliebenen Habsburger geschossen wurde, flohen die meisten von ihnen durch ein Fenster und sprangen in den Fluss. Wenig später hatte Monluc den verwundeten Hauptmann gefangen gesetzt und begann damit, die Mühle zu zerstören, während die meisten seiner Leute die Männer beim Tor verstärkten.
Als die Sonne aufging, drohte die Garnison der Stadt bald zu bemerken, was vor sich ging. Monluc machte sich daran, sich zurückzuziehen. Die Kavallerie von Lord Castelpers, die mittlerweile aufgekreuzt war, verhinderte durch ihre reine Anwesenheit, dass die Habsburger sich hinaustrauten, um den Soldaten nachzusetzen, denn sie mussten fürchten, auf der Straße vor dem Tor niedergeritten zu werden.
Sie traten eilig den Rückzug an.
Monlucs Kommandotrupp trat den Rückzug an. Mit nur 8 Verwundeten, nur einer davon schwer, war die Mission so weit ein voller Erfolg. Trotz ihrer Erschöpfung schafften die Streiter es bis zu den Hügeln und von dort bis nach Aubagne, einem Ort in der Nähe von Marseille.
Der Plan war gewesen, in Aubagne zu pausieren und dann über die Straße nach Marseille zu marschieren. Nur hörten sie bei ihrer Ankunft Kanonenfeuer aus Richtung Marseille, denn Karl V. hatte entschieden, dass er die Verteidigung von Marseille testen würde, und hatte in der Nacht eine Armee von ca. 10‘000 Mann nach zur Hafenstadt geführt. Für Monlucs Kommando ein großer Glücksfall, denn der sofort ausgesandte Bote von Auriol zum Kaiser musste diesem erst hinterherreisen.
Als der Kaiser vom Angriff auf die Mühle erfuhr, schickte er sofort 500 Reiter los, die gerade dann in Aubagne ankamen, als Monluc den Ort wieder verlassen hatte. Er hatte sich zwischenzeitlich gegen die Strassen entschieden und stattdessen den Weg durch die Hügel gewählt. Nach einer anstrengendem Kraxelei in der Sommersonne der Provence erreichten sie Marseille, wo die Habsburger zwischenzeitlich den Rückzug angetreten hatten.
Die Versorgung der kaiserlichen Truppen brach wie erwartet alsbald zusammen. Obst und Gemüse, sowie das Brot aus handgemörsertem Mehl waren absolut untauglich und forderten zusammen mit anderen Krankheiten und Unfällen gut 8000 Todesopfer. Das Brot war so schlecht, dass Exemplare davon nach Paris geschickt wurden, um die Moral der Minister zu heben. Karl V. trat am 11. September mit einer nur noch halb so großen Armee den Rückzug nach Italien an. Die restlichen 30‘000 waren tot, desertiert oder übergelaufen.
Monluc hingegen hatte Pech. Zwar war ihm ein großartiger, vermutlich kriegsentscheidender Sieg gelungen, nur erhielt er keineswegs die erhoffte Belohnung. Der General, der die Operation genehmigt hatte, war in Ungnade gefallen und war sich darum nicht zu schade, den gesamten Erfolg sich selbst zuzuschreiben. Ebenso half dem jungen Offizier auch die Freundschaft mit seinem direkten Vorgesetzten nichts, denn dieser litt zum Zeitpunkt, als der König einritt, an einer schweren Krankheit und konnte so den Helden von Auriol nicht dem König vorstellen. Es dauerte noch einige weitere Kriege, bevor Monluc in den Rängen aufstieg, auch wenn er sich im Alter durch ausgesprochene Brutalität auszeichnete.
„Geschichtskrümel“ ist eine wöchentlich erscheinende Serie aus Kurzartikeln. Sie soll Spielern und Spielleitern als Anregung dienen und Inspiration fürs Rollenspiel bieten. Die Geschichtskrümel drehen sich um historische Ereignisse oder Themen, über die ich in meinem Alltag stolpere. Sie sind manchmal lehrreich, manchmal skurril und manchmal einfach nur lustig.
Quellen: Harari, Yuval Noah. Special Operations in the Age of Chivalry, 1100–1550. Woodbridge, 2007.