War der gute Wille der Belagerer erst einmal ausgeschöpft, gingen die Vorräte der Armee zur Neige und waren die Verteidiger nicht willens, sich zu ergeben, dann musste sich ein mittelalterlicher Heerführer eventuell für einen Sturmangriff entscheiden.
Im letzten Teil der Reihe „Fantasy-Krieg oder Kriegsfantasien“ habe ich darüber geschrieben, wie eine Belagerung vonstattengeht und warum ein General sich für die Belagerung statt für den Sturm entscheidet. Aber was passiert, wenn er keine Wahl hat? Dann muss er irgendwie in die Stadt hineinkommen und ihre Verteidigung überwinden.
(Zu Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7)
Die Mauern überwinden
Man hatte sich also entschlossen, die Burg mit Gewalt zu nehmen. Prinzipiell gibt es drei Methoden eine Mauer zu überwinden: Man klettert drüber hinweg, man bricht durch sie durch oder man tunnelt darunter entlang.
Ran, rauf, rüber
Auch wenn in Filmen gerne mal die Belagerungstürme visuell hervorgehoben werden, weil sie einfach mehr hermachen, war das wichtigste Instrument zur Belagerung die Sturmleiter. Diese wurde oftmals in mehrere Teile zerlegt von weit her herantransportiert. Sie herzustellen war nämlich gar nicht so leicht. Gelernte Zimmerleute und Schmiede mussten dafür vor Ort zusammenarbeiten und genug Material heranschaffen – und nicht jeder Ort hat massenhaft gutes Holz und nicht jede Armee ausreichend Fachkräfte. Israel ist zum Beispiel nicht gerade bekannt für seine dichten Wälder, was die Kreuzfahrer ebenfalls lernen mussten.
Ein Detail, das den erfahrenen Heerführer vom Dilettanten unterscheidet, ist das Wissen über die richtige Länge! Zu kurze Leitern helfen nichts, und zu lange Leitern erlauben es den Verteidigern, mit wenig Aufwand die Leitern wegzustoßen. In ganz Europa zirkulierten darum Anleitungen, wie man mithilfe eines Astrolabiums oder anderer Messgeräte die Höhe von Mauern und Türmen messen konnte. Gefährlichere Methoden beinhalteten unter anderem das Messen der Turmschatten mithilfe eines Seiles. Ein armer Tropf musste in der Hoffnung, dass die Verteidiger gerade unaufmerksam waren, direkt bis zur Mauer hin, um das Seil zu halten. Diese Messung wurde dann mit einem geeichten Stab verglichen, dessen Schatten zur selben Uhrzeit des Tages gemessen wurde.
Außerdem mussten die Träger der Leitern trainiert werden, im Gleichschritt unter Feindbeschuss zügig das Schlachtfeld zu überqueren, ohne sich selbst schützen zu können. So eine Sturmleiter wog mehrere Hundert Kilogramm, und das Transportieren musste ebenso wie das Aufstellen geübt werden.
Sturmangriff auf die Mauern
Damit man die Leitern einsetzen konnte, musste man aber irgendwie an die Mauern heran- und dann hinaufkommen. Das war gefährlich. Geschütze, Armbrüste, Bögen, heißes Wasser, Öl, Steine – all das malträtierte die Angreifer auf ihrem Weg hoch hinauf auf die Wehrgänge.
Auf 400 Meter konnten die ersten Geschütze die Angreifer mit Steinen oder schweren Speeren beschießen.
Spätestens ab 200 Metern mussten die Angreifer die Pfeile der Bogen- und Armbrustschützen ertragen. Selbst schlecht trainierte Schützen waren bei Belagerungen – anders als auf dem Schlachtfeld – nützlich, denn sie konnten durch simple Befehle beim Salvenfeuer gelenkt werden.
Auf den letzten paar Dutzend Metern flog dann alles, was zu finden war, in Richtung der Angreifer, Pfeile, Bolzen Steine und Speere ganz besonders. Ohne sinnvolle Schutzmaßnahmen musste hier mit bis zu 40 Prozent Verlusten gerechnet werden!
Wer mehr über Bögen und Armbrüste erfahren will, dem empfehle ich unsere Waffenkunde zu Bögen und zur Armbrust und zu den Projektilen.
Testudo!
Genau wie die Römer nutzten alle möglichen Kämpfer des Mittelalters bereits ab der ausgehenden Antike die „Schildkrötenformation“. Hin und wieder wurden die Schilde der Soldaten noch einmal zusätzlich durch wandartige Konstruktionen aus geflochtenem Reisig ergänzt.
Wer allerdings keinen Schutz hatte, waren die 12 bis 16 Mann starken Teams der Leiterträger. Die mussten sich ganz auf ihre Schildträger verlassen, und wenn zu viele von ihnen getroffen wurden, mussten trainierte Ersatzleute einspringen.
Das Hochklettern selbst, wenn die Leitern erst einmal an den Mauern waren, war ebenfalls kein Zuckerschlecken, wie ja aus Film und Fernsehen bekannt ist. Man stelle sich einmal kurz vor, wie es sich wohl anfühlt, ohne Erfahrung im Leiternklettern, in Panzerung, mit erhobenem Schild eine Mauer zu erklimmen, von der aus man mit Steinen, Pfeilen und heißem Wasser malträtiert wird. Auch das musste nach Möglichkeit geübt werden, und zwar ausgiebig.
Belagerungstürme…
Die meisten haben schon einmal irgendwo in den Medien einen Belagerungsturm gesehen. Das wichtigste Merkmal ist vor allem das der Beweglichkeit. Holztürme bauen war keine Kunst, das konnte jeder. Dahingegen benötigte es ein gewisses Know-how, um den Turm so zu bauen, dass er weder umkippte noch zusammenbrach, wenn er sich bewegte.
Das erreichte man dadurch, dass keine Räder, sondern Walzen benutzt wurden. Außerdem waren die Seitenwände mit Kreuzverstrebungen verstärkt. Auf dem Weg zur Mauer musste man schließlich Gräben überwinden und feindliche Pfeile aushalten. Spätmittelalterliche Modelle enthielten dann auch manchmal noch Extras wie Rammböcke oder Geschütze.
… die schwimmen!
Etwas, was den meisten hingegen kaum bekannt ist, sind Belagerungstürme auf Schiffen! In einem Fall griff beispielsweise Balderich von Drente um das Jahr 1020 herum eine Befestigung in einem Sumpf an, indem er zwei seiner Schiffe über Land in den Sumpf schaffen ließ, um sie als Plattform für einen Belagerungsturm zu benutzen.
Ein solcher schwimmender Belagerungsturm war natürlich noch instabiler als ein normaler Turm. Jeder kann sich vorstellen, dass ein hoher, schwerer Turm schlecht ist für die Stabilität eines Schiffs. Meist wurden darum zwei Schiffe zusammen vertäut, um eine stabilere Plattform zu haben (denkt an einen Katamaran).
Der Kampf auf der Mauer
Der Kampf auf den Mauern selbst war für den Angreifer gefährlich und ein weiterer Grund für Angriffe aus mehreren Richtungen und für eine große Überzahl. Über die Sturmleitern erreichten immer nur 1 oder 2 Männer auf einmal die Mauerkrone, während alle Verteidiger sich auf diese wenigen Angreifer konzentrieren konnten.
Hier half es, möglichst viele Leitern an verschiedenen Orten zum Einsatz zu bringen oder Türme an die Mauer heranzufahren, die mit herunterklappbaren Brücken eine größere Anzahl von Kämpfern auf einmal auf die Mauern spuckten.
Mit dem Kopf durch die Wand – die Wälle durchbrechen
Naheliegenderweise sind die Schwachstellen jeder Mauer die Tore. Jeder kennt das logische Werkzeug, um ein Tor aufzubrechen: den Rammbock.
An Seilen hängend und mit einem Dach geschützt, war er eine gute Methode, auf das Tor einzudreschen. Die Verteidiger hatten allerdings diverse Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Die erste Möglichkeit war es, mit Seilen und Haken zu versuchen, die Ramme aus ihrer Position zu reißen.
Die zweite mag seltsam klingen, ist aber tatsächlich ein Ding. Es kam auch vor, dass Verteidiger Heuballen oder dicke Steppdecken vor das Tor hängten, um den Impuls der Ramme abzuschwächen.
Die klassische Form des Rammbocks war weithin verbreitet: Ein dreieckiges Schutzdach, das mit feuerabweisenden Häuten bespannt war, bildete die Basis. Es schützte die Mannschaft von durchaus schon einmal 60 Mann vor Angriffen, und es war die Aufhängung für die freischwingende Ramme. Die einfachste Form war jedoch ein Baumstamm, der etwas bearbeitet wurde und den eine Gruppe Männer von Hand gegen das Tor hämmerte.
Wie die Maulwürfe unten durch
Ein Stück Mauer zum Einsturz zu bringen, um eine Bresche zu erzeugen, war natürlich der Jackpot bei einer Belagerung. Allerdings war es auch eine Meisterleistung der Belagerungskunst.
Erst einmal musste ein Tunnel gegraben werden. Vom eigenen Belagerungscamp aus überbrückte dieser mehrere Hundert Meter bis zur Mauer. Dort wiederum musste ein Bereich ausgehöhlt werden, der groß genug war, auch ausreichend Mauerabschnitt zum Einsturz zu bringen. Gleichzeitig musste man die Mauer abstützen, damit sie nicht frühzeitig einbrach. Erst ganz am Ende brachte man brennbares Material hinein, um es anzuzünden.
Das größte Problem für die Sappeure war es, die Tunnel abzustützen und sie ausreichend zu belüften. Die Mauern selbst reichten oftmals 3 Meter tief in die Erde und waren mehr als 5 Meter dick. Ein solches Gewicht abzustützen, brauchte große Erfahrung im Minenbau.
Wem das Know-how fehlte oder wer verzweifelt war, der konnte auch eine deutlich weniger effektive Methode benutzen: direkt an die Mauer ran und dann versuchen, das Fundament mit Hacken und anderem Werkzeug zu beschädigen. Hoffentlich ausreichend geschützt durch große Schutzwände.
BNatSchG § 44 greift hier leider nicht
Der Maulwurf darf nicht gestört oder getötet werden – der Sappeur hingegen kann keinen solchen Schutz erwarten.
Die Verteidiger wussten üblicherweise bestens Bescheid, dass jemand versuchte, ihre Mauer zu untertunneln. Entsprechend unternahmen sie Gegenmaßnahmen. Die beiden häufigsten waren Gegentunnel oder Flutungen.
Einen Gegentunnel zu graben, bedeutete, dass man die feindlichen Minenarbeiter attackieren konnte, bevor sie ihr Werk beendet hatten. Man erschlug sie in ihrem Tunnel oder trieb sie hinaus, um danach den Tunnel zum Einsturz zu bringen, lange bevor er die Mauer erreicht hatte.
Den Tunnel zu fluten, ist hingegen ja recht selbsterklärend. War ein Fluss oder ein See erreichbar, dann konnte man Wasser von dort durch extra angelegte Tunnel bis in die feindliche Grabung fließen lassen und die Tunnel so unbrauchbar machen.
Gegenmaßnahmen der Verteidiger
Einige habe ich ja weiter oben schon genannt. Die Verteidiger feuerten mit Geschützen Steine und große Speere auf die Angreifer, beschossen diese mit Bögen und Armbrüsten oder bedrängten sie mit geworfenen Speeren, Steinen und kochendem Wasser.
Das wichtigste Mittel gegen Belagerungsgerät aller Art, also Belagerungstürme, Rammböcke oder Katapulte, waren aber Brandgeschosse. Natürlich nicht Brandpfeile. Man denke hier eher an Mischungen aus Erdöl etc. (das hoch effektive griechische Feuer war nicht sehr verbreitet). Brandmittel wurde in Tontöpfen mit brennendem Reisig verschossen, in der Hoffnung, dass die verschiedenen Schichten aus Sand und feuchten Lederbahnen auf den feindlichen Belagerungsgeräten nicht ausreichten, um diese zu schützen.
In der Stadt
Drin! Die Mauer ist genommen, man ist in der Stadt … nun ist die Schlacht aber noch nicht zu Ende. Was allerdings endete, war jede Möglichkeit des angreifenden Generals, seine Truppen zu kommandieren.
Ab sofort war alles ein Schlachtfeld und jeder ein Soldat. Selbst wenn der angreifende Heerführer die Zivilbevölkerung milde behandeln und die Infrastruktur bewahren wollte, hatte er wenig Einfluss auf seine Soldaten. Das hieß auch, dass jeder Stadtbewohner sein Bestes tat, den Angreifern zuzusetzen. Jedenfalls, solange er den Mut dazu fand.
Sobald eine Armee im Sturmangriff siegreich war, durfte die Bevölkerung einer Stadt oder die Garnison einer Burg mit keinerlei Gnade rechnen. Die Angreifer hatten den Preis in Blut bezahlt – man hätte ja zuvor aufgeben können. Der einzelne Soldat wollte seine Rache, und der General wollte möglicherweise einen Punkt machen, damit andere Städte sich zukünftig eher ergäben. Nicht zuletzt herrschte innerhalb der Stadt zudem Verwirrung und Chaos, wie es dem Kampf von Haus zu Haus nun einmal innewohnt.
Einige Soldaten besetzen die Tore und Türme, andere terrorisieren die Bewohner von Häusern, wieder andere finden Feinde zum Bekämpfen, einige versuchen vielleicht, die Zitadelle zu sichern.
Zusammenfassung
Hat man sich zum Sturmangriff entschieden, gibt es drei Wege in die ummauerte Stadt hinein. Über die Mauern hinweg, durch die Mauern hindurch, unter den Mauern entlang. Dazu kommen u.a. Sturmleitern, Belagerungstürme, Rammböcke und Tunnel zum Einsatz.
Der Kampf auf den Mauern ist besonders blutig, denn die Angreifer müssen erst über ein Feld heranstürmen und ihre Leitern an die Mauer bringen. Haben sie dabei nicht ausreichend Schutz durch ihre Schilde und andere Schutzmittel, dann müssen sie mit bis zu 40 % Verlusten rechnen, noch bevor sie die Leitern aufgestellt haben.
Ist man erst einmal in der Stadt, dann herrscht Chaos. Das Kommando über die Truppen bricht zusammen, und jeder macht, was er will. Nun heißt es für die Bewohner der Stadt „alles oder nichts“, denn die Angreifer werden vermutlich in der Hitze des Gefechts und nach den großen Verlusten, die sie erlitten haben, kaum Milde zeigen.
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Quellen:
- Bachrach, Bernard S., und Bachrach, David S. Warfare in Medieval Europe, c.400–1453. New York: Routledge, 2017.
- Dougherty, Martin. The Medieval Warrior. Weapons, Technology, and Fighting Techniques AD 1000–1500. Guilford: Lyons Press, 2008.
- Harari, Yuval Noah. Special Operations in the Age of Chivalry, 1100–1550. Woodbridge: Boydell Press, 2007.
- Hooper, Nicholas, und Bennett, Matthew. The Cambridge Illustrated Atlas of Warfare. The Middle Ages, 768–1487. London: Cambridge University Press, 1996.
- Müller, Harald. Mittelalter. Studienbuch Geschichte. Berlin, 2008.