Nachdem ich im dritten Teil der Serie „Fantasy-Krieg oder Kriegsfantasien“ über die historische Realität der mittelalterlichen Kriegslogistik gesprochen habe, soll es hier um die fantastischen Aspekte gehen, die aus einem Krieg voller Hauen und Stechen mit blankem Stahl erst „Fantasy“ machen.
Für mich sind dafür vor allem zwei Dinge entscheidend: Magie und magische Wesen. Das kann eher schwach ausgeprägt sein, wie bei den ersten Staffeln von Game of Thrones, oder regelmäßige Wiederbelegung nach Tarif beinhalten, wie es bei Dungeons & Dragons immer wieder vorkommt. Pen&Paper Rollenspiel ist da ja vielschichtig.
Jedenfalls reicht es nicht aus, Schwerter zu benutzen und ausgedachte Königreiche zu bespielen. Da muss irgendwas sein, was über das irdisch Übliche hinausgeht. Was genau „Fantasy“ ausmacht, soll dahingestellt bleiben, denn da gibt es viele Meinungen; hier möchte ich nur auf direkt nutzbare Vorschläge eingehen, aufbauend auf dem historischen Vorwissen aus dem vorhergehenden Artikel.
Magie und Logistik
Meistens denken wir bei Magie doch an Feuerbälle, arkane Blitze und beschworene Geister, was ja alles in der Schlacht selbst zum Einsatz kommen kann. (Dazu ein andermal mehr.) Darum soll es hier nicht gehen. Ich möchte hier einige Ideen aufbringen, wie man Magie strukturell für die Logistik einer Armee nutzt, also ein Themenbereich, der nicht so oft beleuchtet wird.
Naheliegenderweise hängt es stark davon ab, was man alles unter „Logistik“ einordnet. Für diesen Artikel hier geht es vor allem um den Transport von Gerät, das Lagern von Dingen, das Versorgen der Kämpfer und auch um Kommunikation außerhalb der Schlacht.
Grundsätzlich ist es wichtig zu wissen, was die eigene Welt an magischem Potenzial zu bieten hat. Gibt es viele Magier oder wenige? Sind sie sehr mächtig oder bestenfalls so leistungsfähig wie ein Ritter? Auch stellt sich die Frage, ob ihre Magie andere Techniken ersetzt, ergänzt oder ob sie ein völlig eigenständiges Feld beackern. (Mehr zu Magie in Teil 2.)
In einer Low-Magic-Welt, wie es beispielsweise die ersten Staffeln von Game of Thrones noch sind, spielt Magie zwar eine geringe Rolle bei der Entscheidungsfindung einiger Akteure (z. B. die Rote Priesterin und König Stannis) oder beeinflusst den einen oder anderen Akteur (John Snow), durchdringt aber weder den Alltag der Mächtigen, und schon gar nicht den der Armen, oder hat Einfluss auf die Planung der Armeen. Man macht sich höchstens noch Gedanken dazu, wo man spezielle Waffen herbekommt (Drachenglas), aber am Ende des Tages werden Dinge in Karren transportiert, und Armeen sind auf Brücken angewiesen. Magier verwenden ihre Fähigkeiten also nicht, um mundane Probleme zu lösen.
Andersherum: Je mehr Magie, desto mehr von der Magie kann auch auf Alltägliches abfallen, was bedeuten kann, dass ein Gandalf eben nicht nur gegen den einzigen Balrog kämpft, sondern sich auch darum kümmert, dass Furten passierbar oder schlammige Straßen befahrbar werden.
Magier als Teil eines Kriegszuges: Einige Ideen
Ich gehe für die folgenden Ideen von einem Mittelweg aus: weder übermächtige Magier noch Zauberer an jeder Ecke. Einiges davon kann möglicherweise auch von Priestern der Götter übernommen werden oder wäre optimal für hybride Wunderwirker wie Schamanen. Das hängt ganz vom jeweiligen Rollenspielsystem ab.
Aber: Völlig ohne trade-off sollte gar nichts sein, sonst erschafft man sich ein Perpetuum mobile. Ich finde es am spannendsten, wenn Magie die Welt ein wenig verändert und unerwartete Möglichkeiten bietet, statt dass sie Probleme mit einem Fingerschnippen wegwünscht. Jede Herausforderung, die man durch einfache Magie vollständig eliminiert, entfällt auch als Spielinhalt.
Geister, Geistwesen, Monster
Arbeitsame Geister, und das meint jetzt nicht nur Bettlaken-Untote, sondern alles, was magisch kreucht und fleucht, sind Gratishände. Außer natürlich, sie sind teuer. Ermöglicht ein Fantasy-System aber das quasi-kostenlose Herbeirufen oder Erschaffen hilfreicher Geister, dann bietet es sich natürlich an, diese auch zu benutzen, denn die arbeiten auch noch, sobald der Magier sich zum Abendessen hinsetzt oder sich aufs Ohr legt.
Was können beschworene Wesen für einen tun? Neben der Schädlingsbekämpfung durch niedere Geister bieten sich natürlich auch noch Sabotage, Spionage und Wachdienst an (Shadowrun lässt grüßen, mit „Wachgeistern“ an jeder Ecke). Auch können schnelle Geister optimal als Büroboten herhalten. Vielleicht gibt es auch Möglichkeiten, sie bei der Verwaltung selbst einzusetzen. Erledigen Geister für dich die Inventur, dann kannst du damit mangelnde Kompetenz beim eigenen Personal ausgleichen, das sich dann auf das Schleppen der Kisten beschränken kann.
Das lohnt sich natürlich alles vor allem dann, wenn Personal knapp und teuer ist oder die Versorgungswege schwierig sind. Aber selbst wenn die Geister ebenfalls versorgt werden müssen – eventuell ist ein kleines Bündel Räucherwerk als Bezahlung allemal besser zu transportieren als 2,5 kg Lebensmittelration pro Mann und Tag.
Aber ganz im Sinne des alten Zauberlehrlings: Vorsicht, was du dir wünscht. Geister benötigen je nachdem ebenfalls Aufsicht.
Neben dem Beschwören gibt es in Fantasywelten ja auch noch „natürlich“ vorkommende Monstrositäten! Diese zu befrieden, fernzuhalten oder eventuell sogar für die Zwecke der Armee zu nutzen, ist ebenfalls ein Aufgabenbereich für Magier. („Neben dem Elefantenmeister und seinen Treibern haben wir auch noch die Ogerzüchtiger.“)
Amulette und Artefakte
Kann ich mich mit Talismanen gegen feindliche Magie schützen? Ist es häufig und einfach genug, dass jeder Wachsoldat ein Schutzamulett gegen Gedankenkontrolle haben muss? Reicht es, den General magisch zu schützen, oder braucht seine gesamte Leibgarde magischen Schutz? Verlieren Schutzartefakte irgendwann ihre Wirkung? In einer Welt, wo Amulette und andere verzauberte Gegenstände eine Rolle spielen, werden sie Teil der logistischen Grundversorgung jeder erfolgreichen Armee.
Magische Verbrauchsgüter wie Amulette mit Einfachwirkung müssen ersetzt werden. Sind es keine Verbrauchsgüter, müssen sie zumindest einmal hergestellt und herangeschafft werden. Sind Amulette schwierig herzustellen oder brauchen sie viele und komplizierte Einzelteile, dann ist ihre Herstellung vermutlich auf bestimmte Orte beschränkt („Das Solingen der Zauberwerker“).
Können sie hingegen vor Ort hergestellt werden oder müssen Zauber regelmäßig aufgefrischt werden, dann braucht jede Armee einen oder mehrere Zauberer, die sich darum kümmern. Das entspricht schon fast den Schmieden und anderen Handwerkern, welche man in jedem Kriegstross findet. Dein Pferd braucht neue Hufeisen? Geh zu Jonas dem Hufschmied. Deine Halskette braucht wieder Schutz vor Gedankenkontrolle? Geh zu Maric dem Amuletthexer.
Braucht eine Armee spezielle Artefakte, wie beispielsweise Waffen gegen Dämonen, Geister oder Blitze werfende Magier, dann muss das im Voraus geplant werden. Genau wie eine englische Armee Hunderttausende Pfeile für ihre Langbogenschützen brauchte, muss der Feldherr dann eben frühzeitig 500 magische Schwerter importieren, 15 Magieableiter auf Karren ordern und geweihte Götterstatuen mit Mönchen heranschaffen.
Alchemie
Fast das Gleiche wie für Amulette gilt für Alchemie. Kann Alchemie vor Ort hergestellt werden? Eventuell ist Alchemie auch nur ein ganz normaler Teil der Produktionskette. Sind meine Zelte und Mäntel gore-tex-wasserdicht, dank dem Auftragen von alchemistischen Tinkturen, dann will jeder das haben.
Heiltränke etc. sind ausgesprochen praktisch, und in einem Spiel wie Dungeons & Dragons ist es naheliegend, dass Armeen auch große Mengen davon haben wollen. Statt Blutspende für den Krieg heißt es dann eben „Wir brauchen Löwenwurzel und Hasenpfoten für die Front!“
Auch hier gilt wieder die Frage: Kann man es vor Ort direkt im Camp der Armee herstellen, muss man lokale Manufakturstätten nutzen (wie bei Mühlen für das Mehl) oder ist man sogar auf Transporte aus der Heimat angewiesen? Diese müssten organisiert und natürlich auch geschützt werden, denn ein ganzer Karren voller Heiltränke wäre ein interessantes militärisches Ziel für feindliche Späher. Bei einer Strategie der verbrannten Erde würden verbrannte Felder mit „Heilwurzel“ zudem potenziell nachhaltige Probleme für die Gesundheit der Bevölkerung in den Folgejahren bedeuten.
Dazu eine humoristische Frage am Rande: Müssen Heiltränke in den Kristallglasflaschen transportiert werden, in denen sie in den Rollenspielbüchern traditionell abgebildet werden, oder kann ich sie in Fässern verschiffen und vor Ort in Lederschläuchen und Zinnbechern ausgeben?
Klassischere Ansätze in Welten mit geringerer Magiedurchdringung würden vermutlich vor allem bedeuten, dass „die Weise Frau“, „der Hexer“ oder „der Heiler im Feldlager“ etwas mixen können, um ein spezifisches Problem zu lösen oder eine einzelne kleine Truppe auf etwas vorzubereiten.
Lebensmittelversorgung
Auch bei der Lebensmittelversorgung kann Magie aushelfen. Das fängt bei simplen Dingen an wie der langfristigen, strategischen Vorbereitung, indem Naturmagier z. B. gute Ernten garantieren (übrigens immer ein wichtiges Ding bei der Frage nach Magie im Fantasy), und reicht über scheinbar triviale Dinge wie ganztägigen Betrieb der Windmühle durch garantierten Wind.
Ebenfalls in den Bereich der Mühlen fallen magische Mühlsteine. Brauche ich überhaupt eine Mühle oder kann ich kleinere, mobile Mühlsysteme mit mir führen, die keine großen Windräder brauchen, weil sie durch Magie angetrieben werden? Das würde die strategische Reichweite einer Armee deutlich erhöhen.
Spähtrupps oder Kommandoeinheiten profitieren vom simplen selbsterwärmenden Topf. Frisch zubereitete Lebensmittel ohne Rauchentwicklung und Zeitverschwendung durch Feuerholzsuche.
Im Bereich der Hygiene und der Lebensmittelsicherheit sind Magier ebenfalls nützlich. Keine Lebensmittelvergiftungen mehr für Offiziere, dank magisch haltbar gemachten Lebensmitteln. Geringere Verbreitung von Krankheiten und Reduktion von Durchfall dank magisch selbstreinigender (oder durch Helfergeister gereinigte) Latrinensitzbänke! Sauberes Trinkwasser kann der Magier oder der Priester vielleicht gleich auch noch garantieren.
Das Ganze kann man natürlich auch umdrehen und genau diese Bereiche mit Magie angreifen. Die feindliche Lebensmittelversorgung und Gesundheit mit Magie anzugreifen, ist definitiv möglich. Aber Vorsicht: Man hat es hier ganz direkt mit dem moralischen Problem der biologischen Kriegsführung zu tun. Ob man das thematisieren will, das muss jede Gruppe selbst wissen. Wenn ja, dann sollte man das mit dem gebotenen Respekt vor der Thematik tun – sonst ist euer strahlender Held ganz schnell ein Villain, ohne dass ihr das geplant habt.
Transport
Das klassische Problem der Logistik: Dinge müssen von A nach B! Wenn der Teleport und die Luftversorgung durch Transportdrachen entfallen, greifen auch Fantasy-Armeen auf Packtiere und Karren zurück.
Aber das heißt nicht, dass Magie hier nutzlos wäre. Herrscher haben nicht ohne Grund Alleen gepflanzt: Schatten erlaubt es den Armeen, zügig voranzukommen, ohne sich zu Tode zu schwitzen. Ein paar schöne Wolken helfen hier aus (ebenso in der Schlacht, dazu aber ein andermal mehr).
Auch spezifische Probleme, wo eine Pioniereinheit vielleicht mehrere Stunden investieren müsste, kann ein Magier eventuell in wenigen Minuten lösen. Der Bach ist zu schnell, weil die Schneeschmelze heftig war? Kein Problem: Wassergeister verlangsamen den Fluss, oder man baut eine Brücke aus Eis (vor Benutzung Sand ausstreuen.) Die Schlucht breit und die Brücke eingestürzt? Die fünf Druiden können möglicherweise in kurzer Zeit auf sichere Art und Weise eine Hängebrücke aus Lianen, Efeu und Grassträngen beschwören.
Kommunikation
Magische Kommunikation. Dabei muss man aufpassen, dass man die Welt nicht aus dem Fantasy völlig entrückt und einfach nur eine seltsame smartphonelose Moderne bespielt. (? ich verweise noch mal auf diesen Artikel hier, Art. 2). Ansonsten sind aber bereits die Raben aus Game of Thrones ziemlich mächtig. Sie fliegen Hunderte von Kilometern zielsicher dorthin, wo sie hinsollen. Das ist gar nicht ohne, nur schon, weil es das Koordinieren der Versorgungskette deutlich leichter macht.
Kommunikation ist der Beschleuniger für eine Welt. Je schneller, einfacher und umfassender Kommunikation ist, desto schneller wird die Welt. Das ist schlecht für ein Rollenspiel, weil es die Bedeutung von einzelnen Akteuren (sprich: Spielercharaktere) reduziert. Großflächiger Einsatz von Telepathie, Langstreckenkommunikation per magischem Hologramm … alles potenziell interessant für abgeschlossene Geschichten, aber im Spiel kompliziert und innerhalb eines Settings schwierig zu balancen. Gerade in Kampagnen merken sich die Spieler schließlich, was alles geht, und das kann dem Spielleiter dann schnell über den Kopf wachsen.
Das Gleiche gilt für die Zukunftsvoraussage. Je präziser, schneller und kleinteiliger, desto schwieriger. Ich bevorzuge hier ganz klar den Druiden, der aus den Ziegeninnereien brummelnd eine obskure Prophezeiung herausliest.
Alarm und Fallen
Dass Magie auch für den Schutz der eigenen Truppen, egal ob auf dem Marsch oder im Lager, nützlich ist, das ist ja nichts Neues. Egal ob Fallen oder magische Alarmsysteme, die anschlagen, wenn jemand mit böser Intention das Zelt des Generals betritt, magische Detektoren kennt jeder.
Dabei sollte man natürlich auch die Alchemie nicht vergessen, mit der man die Magie ja kombinieren kann. Ein – eventuell etwas klamaukiges – „Sie kommen über die Drähte!“ mit Feuerwerk aus bunten magischen Spiralen ist durchaus drin.
Zusammenfassung
Magie und ihre entfernten Verwandten, die Priester, haben im Rollenspielkrieg auch außerhalb der direkten Action ihren Platz. Sie können Einfluss nehmen auf allerlei Bereiche, die essenziell sind für das alltägliche Leben in einer Armee.
Der Bereich der Logistik, also Versorgung der Armee mit Gütern und Informationen sowie ihr Vorankommen auf dem Feldzug, bietet ebenso viele Möglichkeiten für Zauberkunde-Charaktere wie für mundane Kämpfer. Gerade alles, was mit Fantasy-Monstern und Geistern zu tun hat, ist ja ein klassisches Betätigungsfeld.