Wahrscheinlich hatten viele von euch schon einmal eines dieser „Was ist Was?“-Bücher in der Hand. Ich hatte so eins über Burgen und Ritter, als ich klein war. Darin war dann alles fein säuberlich aufgeführt. Die Wehrerker, Zinnenbau, wo die Toiletten sind, wie einige Leute gerade einen Tunnel unter die Mauer buddeln und so weiter.
Deshalb gehe ich auch davon aus, dass die meisten Grundthemen nur schon durch Film und Fernsehen jedem einigermaßen bekannt sind. Die eine Seite hat eine Mauer, die andere Seite würde sie gerne überwinden. So weit, so simpel. Gerade die Details gehen aber in der medialen Aufbereitung oft unter. Vielleicht, weil sie den Machern nicht spannend genug sind oder weil die Darstellung Zeit oder Geld kostet. Sachen zu ignorieren, ist ja auch in Ordnung – aber um etwas bewusst zu ignorieren, muss man es erst einmal kennen!
In der Reihe „Fantasy-Krieg oder Kriegsfantasien“ will ich darum noch einen Blick auf die wichtigsten militärischen Ziele in den mittelalterlichen Feldzügen werfen: Burgen und Städte. Genauer, deren Belagerung.
In diesem und im nächsten Artikel beschränke ich mich wieder einmal ganz auf die Geschichte. Diverse Fantasy-Aspekte werden bereits in diesem und in diesem Artikel beleuchtet, wo auch die Frage nach magischem Schutz der Burg und magischen Hilfsmitteln bei der Eroberung angeschnitten wird. Da das Thema recht groß ist, habe ich es in zwei Teile aufgeteilt. In diesem Artikel geht es darum, wie man eine Stadt belagert. Im Folgeartikel darum, wie man sie erstürmt.
(Zu Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6)
Alles, was uns trennt, ist eine Mauer!
Es gab gleich mehrere übliche Wege, wie man sein Ziel erobern konnte. In allen Fällen musste man aber irgendwie in die Stadt oder die Burg hinein. Am besten war es natürlich, wenn die Verteidiger einfach aufgaben. Darauf konnte man aber nicht immer hoffen, denn der Verteidiger war erst einmal in der deutlich besseren Situation. Der Angreifer stand also vor der Frage: Belagerung oder Erstürmung? Letztere war nach Möglichkeit immer zu vermeiden, denn sie war ausgesprochen blutig.
Konventionen des Kriegs
Es gab so etwas wie ein Kriegsrecht im Mittelalter. Natürlich war es nicht formalisiert, und man konnte es auch nicht in Den Haag zur Anklage bringen, wenn ein unfreundlicher Feind es einfach brach, aber gewisse „Konventionen des Kriegs“ waren gang und gäbe.
Es war beispielsweise üblich, dass man zu Beginn einer Belagerung erst einmal Verhandlungen aufnahm, ob der Verteidiger nicht doch aufgeben wollte. Das konnte durchaus passieren, gerade, wenn der angreifende General einen guten Ruf hatte und anständige Konditionen bot. Oftmals ging es ja gar nicht darum, die Stadt zu behalten, sondern einem Feind strategische Optionen vom Tisch zu nehmen oder seine Beweglichkeit einzuschränken. Viele Burgen mussten auch einfach nur besetzt werden, damit sie nicht im eigenen Rücken verblieben und damit den Nachschub bedrohten, während man zum eigentlichen Ziel unterwegs war.
Selbst wenn der Verteidiger nicht aufgab, war es gerade bei Burgen üblich, dass man Absprachen zwischen Verteidiger und Angreifer traf. Manchmal wurde beispielsweise ein Datum festgelegt, an dem die Burg übergeben wurde, wenn bestimmte Konditionen nicht zutrafen, beispielsweise das Eintreffen einer Entsatzarmee oder (logisch) wenn die Angreifer besiegt wurden.
Ebenfalls verbreitet war es, ein Datum festzulegen, an dem die Verteidiger aufgaben und abrückten, um die Länge der Belagerung zu begrenzen – meist dann, wenn ihnen die Lebensmittel ausgingen. Lieber abziehen als verhungern, besonders wenn die Burg jemand anders gehört und man sie nur als Garnison besetzt hält. Niemand war verpflichtet, für seine Treueeide zu verhungern. Man musste lediglich anständig Gegenwehr geleistet haben.
Ebenso wenig war Ehre ein absolutes Konzept. Genau wie heute stand auch früher das Überleben im Zweifel an erster Stelle. Erhielt man Nachricht von außen, dass beispielsweise Verstärkung auf dem Weg war, dann konnte man eine verabredete Kapitulation auch schon einmal abblasen. Allerdings konnte man dann kaum mit Gnade rechnen, wenn die Burg doch fallen sollte.
Waren die Verhandlungen erfolglos, dann musste belagert werden. Oft wurde noch kurz vor einem Sturmangriff, der Erfolg versprach, ein Angebot gemacht, sich doch zu ergeben. Waren die Belagerungsgeräte erst einmal aufgebaut, hatte man schließlich ein mächtiges Symbol ins Feld gebracht, das klar sagte: „Jetzt wirds ernst… seid ihr euch sicher, dass ihr das wollt?“ Nach einem Sturmangriff war es nämlich üblich, keine Gnade mehr zu zeigen. Wollte der Verteidiger die Bewohner der Burg oder der Stadt (auch Zivilisten) also beschützen, musste er sich vor dem Sturmangriff ergeben.
Belagerung
Ein wichtiger Faktor bei der Frage „Belagerung oder nicht“ war die Tatsache, dass mittelalterliche Armeen anders als die nationalstaatlichen Heeren der Moderne nicht aus „armen Soldaten“ bestanden, sondern vorrangig aus Landbesitzern und anderen Freien – also „Leuten, die etwas bedeuteten“. Ein König konnte nicht willkürlich mit deren Leben spielen. Der Tod seiner Kämpfer hatte große politische Konsequenzen in der Heimat, wenn er ohne gute Begründung erlitten wurde.
Zudem: Was bringt eine Stadt, die man bei ihrer Bombardierung und Erstürmung so weit verwüstet, dass die Bevölkerung danach noch auf Jahre und Jahrzehnte einen Groll hegen wird, und man die Wirtschaftskraft, die man ja für sich selbst nutzen wollte, völlig zugrunde gerichtet hat?
Es war darum ratsam, zu belagern. Vier wichtige Themen mussten bedacht und geklärt werden, bevor man sich zur Belagerung entschloss:.
- Das belagernde Heer musste in der Lage, sein sich zu versorgen und die Versorgungswege offen und sicher zu halten. (Siehe Artikel zur Logistik).
- Die Armee musste in der Lage sein, den eingeschlossenen Feinden den Nachschub abzuschneiden (gar nicht so leicht, wie man glaubt).
- Ausfälle und Störmanöver der feindlichen Kämpfer mussten unterbunden oder effektiv bekämpft werden können.
- Es durften keine feindlichen Armeen von außerhalb in der Lage sein, die Belagerung zu beenden oder zu unterbinden, bevor sie abgeschlossen war; oder man musste wirksame Gegenmaßnahmen ergreifen können.
Ein gutes Beispiel für all diese Probleme ist die Belagerung von Antiochia. Dazu gibt es einen eigenen Artikel, den findet ihr hier: link.
Zur Logistik werde ich hier nichts weiter sagen, das Thema hat ja seinen eigenen ausführlichen Artikel.
Was ist aber mit den anderen Dingen: Einschließen, Gegenangriffe und die Entsetzung?
Feldbefestigungen
Es gibt zwei hauptsächliche Arten von Befestigungen, mit denen man die Nachschubwege der belagerten Stadt einschränken oder kappen konnte. Schneller und günstiger war es, an allen Toren eine Wehranlage zu errichten, von der aus man den Zugang durch die großen Tore kontrollierte. Anders als früher gerne mal behauptet, hatten die Herrscher des europäischen Mittelalters nur wenig von dem verlernt, was die Römer noch wussten, darum sah ein solches castellum im Grunde meist aus wie ein römisches Feldlager. Vielleicht nicht ganz so eckig, aber die Grundtechniken waren die gleichen.
Man hob einen Graben aus, dessen Aushub benutzt wurde, um die Mauer zu erhöhen. Oben auf diesem Erdaushub wurde dann eine Palisade angebracht, und dahinter war Platz für die Zelte der Belagerer. Von ganz unten im Graben bis ganz oben bei der Palisade war das immerhin eine Distanz von gut 5 Metern – eine ordentliche Befestigung! Die (Gegen)Angreifer konnten dann effektiv von den Verteidigungsplattformen aus bekämpft werden.
Manchmal wurden die Befestigungen auch einfach nur aus Holz gebaut, so wie man es vielleicht von Motten kennt.
Der Aufwand, um Befestigungen nur an den Toren zu errichten, war gering. Weder benötigte man viel Material, noch dauerte es lange – Arbeitskraft war ja zur Genüge vorhanden. Der Nachteil war allerdings, dass man die Kommunikationswege nicht vollständig verschloss. Geringe Mengen Nachschub, kleine Stoßtrupps und vor allem Botschaften konnten über die Mauern oder etwaige Geheimzugänge die Stadt verlassen und erreichen.
Schotten dicht!
Wollte man die Stadt oder die Burg tatsächlich vollständig abriegeln, dann musste man die Stadt mit einer eigenen Mauer umschließen, einer sogenannten vallatio. Diese Mauer verhinderte nicht nur effektiv das Hinein- und Hinausschleichen, sondern beschützte die Belagerer auch vor Ausfällen. Oftmals wurde die vallatio noch durch eine contravallatio ergänzt, einen zweiten Mauerring, der gegen Angreifer von außerhalb gerichtet war. Die Belagerer verfügten so über eine Art Ring, innerhalb dessen sie sich sicher bewegen und agieren konnten.
So eine Mauer zu erbauen, benötigte aber viel Zeit und eine Menge Arbeitskraft. Es stand überhaupt nur zur Debatte, wenn die Versorgungswege ausgesprochen sicher waren und der Nachschub stetig floss. Antiochia konnte beispielsweise nicht vollständig eingeschlossen werden, weil schlicht nicht genug Holz und Arbeitskraft aufzutreiben war. (mehr zur Belagerung von Antiochia)
Ein klassisches Beispiel aus der Antike ist die gewaltige Belagerungsanlage, welche Caesar bei der Entscheidungsschlacht in Gallien bei Alesia (-52) errichten ließ. Sein Text De Bello Gallico, genau wie andere römische Schriften über Strategie, war im Mittelalter verbreitetes Lesematerial beim Adel in Europa.
Leben im Belagerungscamp
Eine klassische Aussage zu vormodernen Kriegen ist die, dass mehr Leute durch Krankheit und Unfälle zu Tode kamen, als in den eigentlichen Schlachten verstarben. Das lag daran, dass das Leben im Felde viele Unannehmlichkeiten und logistische Herausforderungen mit sich brachte.
Frisches Trinkwasser muss verfügbar sein, Leute müssen sich waschen können, und menschliche und tierische Fäkalien sollten sich nach Möglichkeit auch nicht damit vermischen. Gar nicht so leicht, wenn Tausende von Füßen über längere Zeit eine Wiese langsam zu einer Matschpiste zertreten. Wer schon einmal auf einem mehrtägigen Rockkonzert gewesen ist, der kann sich das wohl ganz gut vorstellen.
Ein zweiter großer Nachteil der Belagerer ist der, dass sie immer mehr Leute sind als die Verteidiger. Das bedeutet aber auch, dass eine größere Truppe mit schlechterer Unterbringung und weniger Vorräten länger aushalten muss als die Leute in der belagerten Stadt.
Neben der Ernährung setzten auch Wind und Wetter den Belagerern zu. Gute Unterkünfte zu errichten, kostete Zeit, eine Menge Arbeitskraft und setzte auch Material voraus. War es möglich, eine feste Behausung zu errichten, die vor Regen und Sonne schützte, war bereits eine Menge gewonnen. Musste man aber zusätzlich eine vallatio errichten, dann wurde es zunehmend absurd, auch noch Zeit für Behausung zu verwenden. Arbeitskraft und Material waren ja schnell vollständig verplant, gerade an öden Orten wie dem Nahen Osten, wo weit und breit kein Baum stand.
Es ging nicht immer nur um Offensichtliches wie ein Dach. Dazu ein kurzer Exkurs aus den Krimkriegen (1854). Dort erfroren viele Soldaten aufseiten der Briten, weil sie überwintern mussten und kein Holz da war, um Bodenabdeckungen für die Zelte zu bauen. Somit mussten sie auf eisigem Boden schlafen. Krankheiten grassierten, und die Moral der Soldaten litt unter der Indifferenz der Offiziere. Dabei hätte man über das Schwarze Meer Holz mit Schiffen vom verbündeten Osmanenreich heranschaffen können.
Belagerungswaffen
Damit sie den Verteidiger irgendwann zur Aufgabe bringen konnten oder zumindest eine künftige Erstürmung vorzubereiten vermochten, brachten die Angreifer Belagerungswaffen zum Einsatz. Große Maschinen, die den Mauern und den Verteidigern mit Speeren und Steinen zusetzen sollten. Es gab eine Vielzahl von Namen, die in den historischen Quellen auftauchen. Leider hatten viele der damaligen Autoren keine Ahnung, wovon sie genau schrieben, oder sie benutzten generische Begriffe. Darum ist nicht immer ganz klar, was genau für ein Gerät zum Einsatz kam.
Die gleichen Gerätschaften kamen jedoch auch aufseiten der Verteidiger zum Einsatz. Gerade ballistae und onager waren klein und flexibel genug, um auf Türmen installiert zu werden. Mit ihnen konnten Belagerungsgerät und Angreifer im Schach gehalten werden.
Es gibt zwei Energiequellen, mit denen die Geschosse hauptsächlich beschleunigt wurden, welche das gesamte Mittelalter über bekannt waren: Zugspannung (die innewohnende potenzielle Energie, so wie bei einem Bogen) und Torsion (das Verdrehen von Seilen). Beide Typen kamen im Verlauf des Mittelalters zum Einsatz. Veraltete Geschichtsbücher argumentieren manchmal, dass die Torsionstechnik der Römer verloren gegangen sei. Dem ist nicht so.
Über die Sturmwaffen wie Rammbock, Sturmleiter oder Belagerungsturm werde ich im Folgeartikel schreiben.
Ballista und onager
Die ballista beschreibt jede Form von Speerwerfer. Es waren vor allem Anti-Personen-Waffen, mithilfe deren man gezielt auf Leute schießen konnte. Dadurch, dass die ballista problemlos ihre Spannung eine Weile halten konnte, war es möglich, zu zielen. Und weil die Reichweite größer war als die von Bögen, konnte man ohne Angst vor Antwortfeuer seine Ziele aufs Korn nehmen.
Der onager – manchmal „wilder Esel“ genannt, weil er ordentlich bockte – beschreibt eine Maschine, die Steine von ca. 2 bis 4 kg bis zu 450 Meter weit schleudert. Der Stein fliegt in hohem Bogen, nicht etwa in einer direkten Linie. Auch der onager wurde genau wie die ballista vor allem gegen Personen eingesetzt, war aber auch hervorragend, um Karren und Belagerungsgeräte der Angreifer zu beschießen.
Beide Typen, ballista und onager, waren einfach mithilfe von Ochsenkarren zu transportieren. (mehr zur Logistik)
Das Mangonel
Etwas später, ab ca. dem 6 oder 7. Jh., erscheint erstmals auch eine Waffe auf europäischem Boden, die mit Zugkraft arbeitet: das Mangonel. Aus China über den Nahen Osten erreichte es Byzanz und verbreitete sich von dort langsam über den Kontinent.
Das Mangonel ist im Prinzip ein langer Wurfarm, der die Hebelkraft ausnutzt. Eine Gruppe Männer zieht mit Seilen am Wurfarm und beschleunigt so die Gegenseite mit dem Wurfgeschoss nach oben.
Das Trebuchet ändert die Dynamik
Bevor mit dem Schwarzpulver und der damit einerhergehenden Bombarde eine transportable und schlagkräftige Belagerungswaffe das Schlachtfeld betrat und den Beginn des Endes des Burgenzeitalters einläutete, trat um das Jahr 1200 herum erst einmal das Trebuchet auf den Plan (deutsch manchmal auch Blide genannte). Damit war nun erstmals eine Belagerungswaffe so wirksam, dass die hauptsächliche Art der Eroberung nicht mehr nur das Erstürmen war, sondern auch das „Zusammenschießen“ zu einer Option wurde.
Das Trebuchet funktioniert nach dem Konzept des Gegengewichts, also ähnlich wie das Mangonel. Ein Wurfarm wird durch schnelles Herunterziehen der Gegenseite beschleunigt. Nur dass beim Trebuchet nun ein Gewicht für die Beschleunigung sorgte und nicht mehr Männerarme. Das war deutlich effektiver und schleuderte wirkungsvoll Geschosse auch auf größere Distanzen.
Das Trebuchet konnte je nach Masse des Gegengewichts entweder kleinere Geschosse sehr weit feuern oder deutlich schwerere Geschosse als bis dato möglich über die „übliche“ Distanz. Welchen Einfluss das Trebuchet auf die Belagerungstechnik hatte, kann man unter anderem daran erkennen, dass der englische König Henry III. fast sein gesamtes Arsenal von Belagerungsgeräten in wenigen Jahren durch Trebuchets ersetzte.
Immer wieder reichte bereits die Tatsache, dass die Trebuchets fertig aufgebaut waren, um die Verteidiger zu überzeugen, dass jetzt die Zeit gekommen war, Kapitulationsverhandlungen aufzunehmen. Gerade in Städten konnten die Steine großen Schaden anrichten, denn zivile Behausungen waren ja nicht so solide wie ein Burgfried.
Mit Donner und Blitz: Schwarzpulverwaffen
Der Vollständigkeit halber sei auch das Schwarzpulver erwähnt. „Mittelalter“ beinhaltet auch fast 150 Jahre des Schwarzpulvereinsatzes. Der Niedergang Konstantinopels ging ja auch mit dem Einsatz gewaltiger Bombarden einher. Aber auch schon König Edward III. nutzte im 14. Jh. Schwarzpulverwaffen für seine Artillerie. Denn: Neben der Wirkung der Geschosse hatte auch der Lärm der Explosionen eine Wirkung auf die Verteidiger, denen sehr deutlich klar wurde, dass es nun ernst wurde.
Was eine Kanone tut, ist ja jedem bekannt. Eine Explosion in einem verdämmten Rohr beschleunigt ein Projektil. So weit, so gut. Die meisten kennen aber Kanonen aus der Zeit Napoleons etc. Mittelalterliche Bombarden waren anders. Nur schon, weil die ersten Kanonen keine Metallkugeln, sondern Steinkugeln und teilweise sogar Pfeile verschossen (ganz in der Tradition der bis dahin üblichen Belagerungsgeräte). Nach einigen Jahrzehnten des Gebrauchs setzte sich dann aber bald die Eisenkugel als hauptsächliches Geschoss durch.
Auch die Herstellungsweise unterschied sich von späteren Kanonen. Der billige Eisenguss aus nicht brüchigem Eisen ließ noch bis ins 16. Jh. auf sich warten. Wer also eine Kanone wollte, die etwas taugte und nicht explodierte, der musste auf teuren Bronzeguss zurückgreifen. Bronze blieb auch die Jahrhunderte danach noch die hochwertige Wahl für Kanonen.
Alternativ konnte man auch auf Schmiedeeisen zurückgreifen. In diesem Fall wurden die Kanonen meistens aus geschmiedeten Stäben geformt, die zu einem Rohr kreisförmig aneinandergelegt wurden. Damit dieses Rohr seine Form hielt, wurden weiß glühende Eisenreifen darübergeschoben, die sich dann beim Abkühlen zusammenzogen und so das Rohr luftdicht versiegelten.
Verräter rekrutieren, Verbündete gewinnen
Die beste Art, eine Stadt zu erobern ist, wie wir bereits weiter oben gelernt haben, wenn sie sich kampflos ergibt. Die zweitbeste Art ist, wenn man einen Verräter auf der Innenseite der Mauer rekrutieren kann, der einem einen Turm übergibt, um so heimlich nachts Männer über Leitern in die Stadt zu schleusen.
Damit dies Sinn ergibt, muss man verstehen, wie Türme in Städten bewacht wurden. Genau wie in vielen anderen Bereichen des Lebens war die Organisation der Befestigung in Städten eher lose. Eine stehende Armee mit Offizieren, die „dem Staat“ verpflichtet waren, gab es nicht. Je mehr Mauerabschnitte und Türme es zu bewachen gab, desto mehr Leute erhielten Teile davon als ihren Verantwortungsbereich übergeben.
Türme hatten oftmals einen Aufseher, manchmal auch gleich eine ganze Familie. Wohlhabende Leute hatten Erfahrung damit, Aufgaben zu verteilen und zu organisieren. Sie brachten zudem aus ihren zivilen Berufen bereits Strukturen und Arbeitskräfte mit, die eine Hierarchie und eine Befehlskette hatten. Das mussten die Stadtoberen nutzen, gerade wenn sie einen Mangel an Soldaten hatten. Je nachdem, wie zuverlässig diese Leute waren, wurde ein Turm besser oder schlechter bewacht.
Die Eigeninteressen der Wächter ausnutzen
Nun war aber die Sache, dass die Interessen des Stadtherren und die Interessen der einzelnen Turmwächter nicht unbedingt vollständig übereinstimmten. Vielleicht hatte eine Familie ein Interesse daran, dass der Stadtherr wechselte! Beispielsweise, weil man als Christ in einer muslimischen Stadt lebte und die Kreuzfahrer vor der Tür standen.
Manchmal wurde auch versucht, irgendwie Druck auf die Turmwächter auszuüben, um sie zu erpressen, beispielsweise wenn man Familienmitglieder gefangen nehmen konnte. Hoffentlich fand der Stadtherr das früh genug heraus und tauschte die Wächter aus, sonst konnte das übel ausgehen für seine Stadt.
Eine weitere Möglichkeit war natürlich auch schlicht bare Münze. Ein dickes Säckel Silber kann die eine oder andere untreue Seele möglicherweise überzeugen, Verrat an der Stadt zu begehen – gerade wenn er kein Bürger ist, sondern eventuell von einer verbündeten Armee.
Verräter ausräuchern
Die Stadt war gegen Verräter nicht völlig schutzlos. Oft war es so, dass die Mauern durch frontale Angriffe schwer zu nehmen waren und damit die größte Gefahr von Verrätern ausging. Das war den Anführern der Verteidiger meist auch bewusst.
Es gab mehrere klassische Möglichkeiten, dem Problem zu begegnen. Eine Methode, die sowieso für vieles angewandt wurde, waren Geiseln. Konnte der Stadtherr von den Familien, denen er am meisten misstraute, Geiseln nehmen und sie beispielsweise in andere Städte oder in die Zitadelle schaffen, dann hatte er ein wirksames Druckmittel in der Hand.
Man konnte natürlich auch die Leute, die am ehesten als Aufwiegler und Verräter infrage kamen, einfach einsperren, bis der Krieg vorbei war.
Alternativ war es auch eine Überlegung wert, Fallen zu legen. Wenn man die besten Leute der feindlichen Armee mit Doppelagenten und vermeintlichen Verrätern in tödliche Fallen locken könnte, würden sie es sich vielleicht zweimal überlegen, Agenten einzuschleusen, um Verräter zu rekrutieren.
Es gab also viel zu beachten und ebenso viel zu tun bei einer Belagerung. Selbst wenn es nie zum breit angelegten Sturmangriff kam.
Zusammenfassung
Eine Belagerung war im Zweifel einer Erstürmung vorzuziehen, denn ein Heeresführer musste seiner eigenen Bevölkerung und auch seinen Soldaten, die ja freie Leute waren, Rede und Antwort stehen, ob er sinnlos Blutzoll verlangte. Darum versuchte man, um eine Erstürmung zu vermeiden, vorher erst einmal durch Belagerung und Verhandlung die Verteidiger zur Aufgabe zu bringen.
War es abzusehen, dass eine Belagerung länger dauern würde, dann mussten der Nachschub und die Kommunikation zur belagerten Stadt abgeschnitten werden. Das ging entweder durch einzelne Blockade-Forts an wichtigen Punkten, sogenannten castella, oder durch das vollständige Einschließen der Stadt durch eine Mauer (vallatio), manchmal sogar mit einer zweiten Schutzmauer nach außen (contravallatio).
Das Leben im Belagerungscamp war hart. Frischwasser, Lebensmittel und Unterkunft waren ein stetes Problem. Wind, Wetter und Krankheit setzten den Belagerern zu.
Damit der Wille der Verteidiger gebrochen werden konnte oder um die Erstürmung vorzubereiten, kamen verschiedene Belagerungswaffen zum Einsatz. Bevor das Trebuchet und dann später die Bombarde die Wirksamkeit der klassischen Belagerungswaffen toppte, kamen ballista, onager, und Mangonel zum Einsatz.
Eine der besten Methoden, um eine Stadt zu erobern, war es, Verräter auf der Innenseite anzuwerben. Mit etwas Glück konnte man Spione anwerben oder sogar den Wächter eines Turmes auf seine Seite ziehen, damit er in der Nacht einem Stoßtrupp Zugang zur Stadt verschaffte.
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Quellen:
- Bachrach, Bernard S., und Bachrach, David S. Warfare in Medieval Europe, c.400–1453. New York: Routledge, 2017.
- Dougherty, Martin. The Medieval Warrior. Weapons, Technology, and Fighting Techniques AD 1000–1500. Guilford: Lyons Press, 2008.
- Harari, Yuval Noah. Special Operations in the Age of Chivalry, 1100–1550. Woodbridge: Boydell Press, 2007.
- Livingstone, Marilyn, und Witzel, Morgen. The Road to Crecy: the English Invasion of France 1346. New York, 2013 (2005).
- Müller, Harald. Mittelalter. Studienbuch Geschichte. Berlin, 2008.
- Sunzi. Die Kunst des Krieges. Herausgegeben von James Clavell. München: Knaur, 1988.