Auch vor Jahrtausenden gab es schon Staaten und Gesellschaften, die viel Zeit damit verbrachten, Sex und Sexualität zu reglementieren. Vieles davon hallt noch heute nach. So sind beispielsweise die Obsession mit der Jungfräulichkeit von Bräuten und auch die Idee, dass Menstruationsblut eine ganz und gar unreine Sache sei, eine archaische Idee, die bereits vor einigen Tausend Jahren erstmals belegbar ist. Weniger bekannt: Auch der männliche Samen ist scheinbar pures Gift für die spirituelle Qualität von allem, was er berührt – aber dazu später mehr.
Zwei Dinge, die wir auch heute noch nahezu universell in fast allen Gesellschaften ablehnen, sind Inzest, also der Geschlechtsverkehr mit Verwandten, sowie der Sex mit Tieren. Beides sind quasi Konstanten quer durch die Geschichte. Fast alle Gesellschaften lehnten Inzest ab. Der sexuelle Umgang mit Tieren ist hingegen nuancierter, wenn auch ebenfalls tendenziell negativ belastet.
Sex mit Tieren
Heute unüblich – oftmals auch eine Frage des Tierschutzes – ist Sex mit Tieren. Über Zoophilie will ich hier gar nicht sprechen, sondern nur über den Geschlechtsverkehr mit Tieren.
Vielerorts war es vor allem eine Frage, um welche Tiere es ging, damit klar wurde, ob man es nun mit einer Untat oder einer unproblematischen Liebesnacht zu tun hatte. Die Ägypter, wie andere Völker auch, unterschieden hier klar. Beispielsweise war es in Ägypten üblich, dass, wenn jemand die Markierungssteine beschädigte, welche den Landbesitz anzeigten, er seine Frau und seine Kinder darbringen musste, auf dass sie von Eseln bestiegen wurden. Dahingegen war der Verkehr mit Ziegen eine Sache göttlicher Hingabe. Der Pan-Kult (der auch in Ägypten existierte) hatte dafür vielerorts zahme Ziegenböcke in den Tempeln, damit Frauen dem Gott huldigen konnten.
Die Hethiter wiederum richteten jeden, der sich der karnalen Lust mit Kühen, Schafen oder Hunden hingab. Pferde und Esel waren in Ordnung, allerdings nur unter dem Vorbehalt, dass es unschicklich war. Männer, die sich dem Sex mit Pferden und Eseln hingaben, konnten weder Priester werden, noch durften sie in die Nähe des Königs.
Stiere, welche eine Person anfielen und diese vergewaltigten, mussten sofort geschlachtet werden. Das Opfer des Stieres wurde nicht getötet, aber ein Schaf an seiner Stelle gerichtet. Schweine, die Personen bestiegen, blieben straffrei, bestieg jedoch ein Mann ein Schwein, so war er des Todes.
Inzest – unausweichlich?
Radikale Frage, nicht wahr? Jedenfalls für unsere Vorfahren, die noch in Höhlen hausten. Der DNA-Pool für diese Gruppen war allgemein sehr klein. Das Ausformulieren und Durchsetzen von Inzestverboten war darum ein wichtiger Moment in der Evolution des Menschen. Erst die Verbindung von verschiedenen Gruppen zu größeren „Stämmen“ ermöglichte die Diversifizierung, die zwingend nötig war, um evolutionäre Probleme langfristig zu vermeiden.
Wie genau man Inzest definieren möchte, ist übrigens recht schwammig. An einigen Orten sind nur sehr direkte familiäre Verbindungen geächtet, anderswo sind auch weit entfernte Verwandtschaftsverhältnisse ausreichend, um unter Verbote zu fallen.
Wie war das in der Antike?
Wie schon erwähnt, galt dieses Verbot auch im Altertum. Die Babylonier, über deren radikale Gesetzgebung ich im letzten Artikel geschrieben habe, betrachteten Inzest analog zu Seuchen, die man tilgen musste. Bestraft wurde der Inzest dort darum auch mit der Verbannung, dem Ertränken oder schlimmstenfalls sogar durch Verbrennen.
Das galt übrigens auch, wenn eine der beteiligten Personen unfreiwillig daran teilgenommen hatte. Wurde eine Schwester oder eine Mutter also von ihrem Vater oder Sohn vergewaltigt, dann brannten beide. So ähnlich sahen das auch die Assyrer, die Hethiter oder auch die Juden.
Göttlicher Inzest – Ägypten
Eine Ausnahme war Ägypten, wo Inzest regelrecht zum Trend wurde. Die religiös konstruierte Herleitung war der Mythos der beiden Götter Isis und Osiris, die der Geschichte nach bereits im Uterus ihrer Mutter einander verfielen. Osiris’ Bruder, Seth, ermordete ihn und verteilte den Körper von Osiris quer über Ägypten. Isis suchte alles wieder zusammen und hauchte ihrem geliebten Osiris neues Leben ein. Leider fehlte sein Penis, sodass sie ihm aus Ton einen neuen formte. Der schien prima zu funktionieren, denn sie gebar ihrem Bruder ein Kind: Horus.
Zur Mode wurde der Inzest dann dadurch, dass die oberste Autorität des Staates – der Pharao – nicht dagegen vorging. Im Gegenteil heirateten die Pharaonen oftmals ihre Schwestern und Halbschwestern, nur schon, um den Einfluss über Eroberungen nicht an angeheiratete Familien zu verlieren. Einige Pharaonen verfügten zudem, dass die königlichen Töchter nur den eigenen Vater heiraten durften! Für Kinder heirateten die Herrscher dann allerdings zusätzlich oftmals nichtadlige Frauen, die einen neuen König empfangen konnten, ohne problematischen Verwandtschaftsanhang mitzubringen.
Die Oberschicht macht es vor, die Unterschicht zieht nach
Was gut genug war für den Adel und den Pharao als lebendigen Gott, das war dann auch gut genug für die einfacheren Leute. Als die Römer 30 v.u.Z. Ägypten eroberten, war es üblich, dass in den Städten ca. ein Drittel aller jungen Männer, die eine heiratsfähige Schwester hatten, diese auch heirateten. Praktisch: Keine Brautgelder waren nötig, keine Suche nach einer Partnerin usw.
Die Römer wiederum konnten mit Inzest gar nichts anfangen und versuchten, den Ägyptern diesen Brauch auszutreiben. Bis dies letztlich gelang, dauerte es aber immerhin fast drei Jahrhunderte.
Heilsamer Inzest – Persien
In Persien kam der Zoroastrismus irgendwann zwischen 2000 und 600 v.u.Z. auf. In dieser Religion war Inzest sogar regelrecht gesegnet, denn er reproduzierte die Verbindung göttlicher Vorbilder, aus deren Geschlechtsverkehr der Kosmos hervorgegangen sei.
Die perfekte Verbindung zwischen Mann und Frau blieb darum in der Familie und schützte nicht nur vor göttlichem Zorn, sondern war auch nützlich für religiös angehauchte Magie. Die Körperflüssigkeiten von Inzest-Paaren entfalteten angeblich heilende Wirkung oder wuschen Unreinheiten weg. Sich mit ihrem Urin einzureiben, war beispielsweise eine gute Möglichkeit, um übernatürliche Befleckungen fortzuwaschen.
Der Mann beginnt unrein
Damit sind wir auch beim dritten Thema angekommen: der Befleckung durch die Flüssigkeiten des Körpers. Gerade die Juden entwickelten ein komplexes Verständnis von Sünde, das auch im Christentum nachhallt. Sehr viel stärker als andere Völker der Region waren bei den Juden die Sünde und das sexuelle Vergehen das Problem aller Mitglieder der Gesellschaft, denn der Gott der Thora straft großflächig und tilgt auch schon einmal ganze Völker, um ihre Unreinheit fortzuwaschen. Es reichte also nicht, diese Fragen dem einzelnen Familienvater zu überlassen.
Jeder jüdische Mann war erst einmal unrein, bis er durch die Beschneidung gereinigt wurde. Das Abschneiden der Vorhaut war übrigens auch deswegen ein starkes Symbol der Zugehörigkeit zum jüdischen Volk. Unter anderem, weil Römer und Griechen die Vorhaut als Symbol der Stärke und Virilität betrachteten. Zumal für sie der menschliche Körper von der Natur perfekt erschaffen war und ihn zu verstümmeln gar nicht anging! Entsprechend bestraften die Römer die Beschneidung sogar mit dem Tod.
So oder so: War die Unreinheit erst einmal weggeschnitten, drohte sie jederzeit zurückzukehren. Unter anderem durch das Ejakulat!
Der sündhafte Samen
Verunreinigung durch Sünde war entsprechend schnell geschehen, und auch der sexuelle Akt war den Juden ein Quell von Unreinheit. Gerade die Körperflüssigkeiten, die dabei ausgetauscht wurden, hatten gewaltiges Potenzial, alles und jeden, den sie berührten, zu beschmutzen. Die Regeln zur Menstruation waren äußerst strikt, und jede Frau musste nach dem Ende ihrer Menstruationsphase ein Taubenopfer darbringen. Sie verbrachte darum fast die Hälfte des Monats in Unreinheit.
Hatten Mann und Frau Sex, so verunreinigte der Samen sie beide. Sie mussten sich erst einmal reinigen, damit sie nicht alles verseuchten, was sie berührten. Das klassische Problem vieler jugendlicher Jungs, dass nachts einfach mal eine ungenutzte „Ladung“ abgeht, bedeutete unter anderem, dass alle Bettlaken gründlich gereinigt werden mussten. Berührte der Mann, der ein nächtliches Malheur gehabt hatte, Tongeschirr oder Töpfe, so musste die Töpferwaren zerschmettert werden. Und zwar gleich eine ganze Woche lang nach dem Zwischenfall. Es war anzuraten, einen Priester aufzusuchen und einige Tauben zu opfern, um Gottes Vergebung zu erlangen. Eine gefährliche Zeit für Töpferwaren und für Tauben …
Klar, dass Sex mit Tieren oder Verwandten gleich noch viel schlimmer war. Schließlich drohte Gott stets damit, dass es dem jüdischen Volk genau so ergehe wie den Bewohnern der Länder, aus denen die Juden vertrieben wurden (u.a. Ägypten). Stete Wachsamkeit und zügige Vollstreckung der Todesstrafe waren also das Einzige, was den giftigen Samen und das fast schon radioaktive Menstruationsblut im Zaum hielten.
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„Geschichtskrümel“ ist eine wöchentlich erscheinende Serie aus Kurzartikeln. Sie soll Autoren, Spielern und Spielleitern als Anregung dienen und Inspiration fürs Rollenspiel oder Geschichten bieten. Die Geschichtskrümel drehen sich um historische Ereignisse oder Themen, über die ich in meinem Alltag stolpere. Sie sind manchmal lehrreich, manchmal skurril und manchmal einfach nur lustig.
Quellen:
- Berkowitz, E. (2012). Sex & Punishment. 4000 Years of Judging Desire. London: The Westbourne Press.
- Golden, M. (2015). Incest. In Oxford Research Encyclopedia of Classics. https://doi.org/10.1093/acrefore/9780199381135.013.3274
- Kiel, Y. (2016). Sexuality in the Babylonian Talmud. Christian and Sasanian Contexts in Late Antiquity. https://doi.org/10.1017/CBO9781316658802
- Scheidel, W. (1996). Brother-Sister and Parent-Child Marriage Outside Royal Families in Ancient Egypt and Iran: A Challenge to the Sociobiological View of Incest Avoidance? Ethology and Sociobiology. https://doi.org/10.1016/S0162-3095(96)00074-X
- Titelbild: Aotearoa, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0
- Foto Pan: ho visto nina volare, Wikimedia Commons, CC-BY-SA 2.0