Krankheiten sind trotz Phagentherapie, Antibiotika, Impfungen und Desinfektionsmitteln noch lange nicht ausgerottet. Die Erkältung sucht uns nach wie vor alle heim, und die Grippe verändert sich so schnell, dass wir uns jedes Jahr neu impfen müssen. Einige der „großen Alten“ haben wir jedoch besiegt, beispielsweise die Pocken. Die sprichwörtlichen Krankheiten „Pest und Cholera“ sind allerdings immer noch da! Ja, die Pest ist noch immer auf der Welt aktiv. Allerdings ist sie längst nicht mehr der große Killer von einst. Jedoch ist sie nach wie vor auf den Überwachungslisten, und das Robert-Koch-Institut führt die Pest als „re-emerging disease“.
Achtung! Ansteckungsgefahr
Infektionskrankheiten waren die größte medizinische Bedrohung im Mittelalter. Die Zunahme von Städten im 12. und vor allem im 13. Jh. bot den perfekten Nährboden für ansteckende Krankheiten. Die unhygienischen Zustände und die gedrängte Lebensweise in den engen Städten förderten darum Ansteckung und Seuche. Dass unsere Vorfahren auch noch zusammen mit ihren Tieren lebten, war ebenfalls nicht hilfreich (einige mögen sich durch die Vogelgrippe-Panik vor einigen Jahren vielleicht noch an das Thema „Mensch & Tier“ erinnern).
Seuchen waren auch deshalb vorrangig ein Problem der Städte, weil die möglichen Opfer in den Dörfern irgendwann aussterben. Die Krankheit braucht immer neue Wirte, um sich nicht irgendwann „auszubrennen“. Kleine Gemeinschaften hatten schlicht nicht genug „Opfer“ für die Krankheiten. Irgendwann waren alle immun oder tot.
Krankheiten mutieren
Was bei der historischen Betrachtung von Krankheiten nicht vergessen werden darf: Die Quellen sprechen nicht unsere Sprache. Sie beschreiben die Seuchen und Gebrechen in ihren eigenen Worten aus einer eigenen Perspektive. Kein ernst zu nehmender Mediziner würde heute z. B. noch behaupten, dass Medizin nur wirke, wenn Gott das wolle. Unser Blick auf Krankheiten hat sich ebenso verändert wie die Krankheiten selbst.
Einige Krankheiten, die wir heute noch kennen, waren möglicherweise früher noch ganz anders. Es gibt Hinweise, dass sich absolut zentrale Dinge, wie der Übertragungsweg bestimmter Krankheiten, deutlich verändert haben könnten. Viele „wissen“ beispielsweise, dass die Pest von Rattenflöhen übertragen wurde, wie es im späten 19. Jh. in Indien nachgewiesen wurde. Neuere Forschung geht davon aus, dass der Menschenfloh im Mittelalter eventuell eine deutlich größere Rolle spielte als angenommen. DNA-Untersuchungen deuten auch an, dass die Pest früher aggressiver war als unsere heutige Form Yersinia pestis. Man kann also nicht einfach heutige „Versionen“ der Krankheiten von damals nehmen und glauben, man wüsste nun Bescheid, wie die Seuchen damals wirkten und aussahen. Es ist jedoch ein guter Ausgangspunkt.
Was ist eine Seuche?
War das Wort früher noch ein allgemeiner Begriff für „Krankheit“, hat sich die Bedeutung der „Seuche“ gewandelt. Erst galt eine Krankheit dann als Seuche, wenn die Erkrankung lange andauerte. Für uns in der Moderne geht es aber vor allem um die Ansteckungsgefahr.
Definition: Eine Seuche ist die plötzliche Erkrankung zahlreicher Menschen an einer Infektionskrankheit. Je nach Ausbreitung und zeitlichem Rahmen kann sie eine Endemie, Epidemie oder Pandemie sein.
Eine Endemie ist es dann, wenn die Krankheit in einem bestimmten Gebiet ständig vorkommt und über eine längere Zeit immer einen gewissen Anteil der dortigen Menschen befällt. Beispiele sind z. B. Cholera, Malaria oder Typhus. Das ist auch der Grund für die Reiseimpfungen, die man sich vor dem Besuch tropischer Gebiete besser verabreichen lassen sollte.
Die Epidemie ist den meisten geläufig. Rollt eine Krankheitswelle in begrenzter Zeit und dafür mit vielen Ansteckungen über eine Bevölkerung hinweg, dann ist das eine Epidemie. Explosivepidemien kommen oft über schnelle Übertragungswege wie das Trinkwasser zustande (so häufig geschehen bei der Cholera). Viele Leute stecken sich schnell an, und danach fällt die Krankheitszahl wieder ab. Tardivepidemien hingegen haben langsam an- und absteigende Krankheitszahlen. Oft werden diese Krankheiten durch Körperkontakt übertragen.
Die Pandemie hingegen ist länderübergreifend oder sogar global. Sie unterscheidet sich von der Epidemie also vor allem durch ihre Ausbreitung. Ein aktuelles Beispiel ist die allseits präsente Grippe. Ein historisches Beispiel wäre dahingegen die Spanische Grippe. (Die vermutlich über New York aus den USA nach Europa kam.)
Krankheitstheorie im Mittelalter
Mit diesem Wissen gewappnet zum nächsten Punkt. Was tun, wenn die Seuche wütet? Klar, Antibiotika, Quarantäne, Impfung… Aber was, wenn man noch nicht herausgefunden hat, welches Säfte-Ungleichgewicht vorliegt oder welches Miasma die Krankheit hervorruft? Darum werfen wir doch einmal einen Blick auf vorherrschende Vorstellungen von Medizin im Europa des Mittelalters.
Hippokratische/Galenische Säftelehre
Die Säftelehre hat zwei Väter. Zum einen den griechischen Heilkundigen Hippokrates, der im 4. Jh. vor Christus gewirkt hat und die Theorie erstmals formulierte. Zum anderen den Arzt Galen, der im 2. Jh. nach Christus im kleinasiatischen Pergamon (heutige Türkei) und Rom arbeitete. Er verfeinerte die Säftelehre. Ob die fast 60 Bücher des „hippokratischen Corpus“ tatsächlich von Hippokrates stammen, ist allerdings völlig unklar. Er gilt jedoch trotzdem als der Begründer der westlichen Medizintradition. Im späten Mittelalter erhielt die europäische Medizin interessante Impulse aus dem Nahen und Mittleren Osten. (sog. „Arabische Medizin“: Eine fehlgeleitete Bezeichnung, die daher kommt, dass Arabisch die Verkehrs- und Gelehrtensprache in vielen Teilen der Welt war.)
Erde, Luft, Feuer und Wasser – Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle
Basierend auf der naturphilosophischen Idee der vier Elemente Erde, Luft, Feuer und Wasser, erdachte Hippokrates die vier Säfte. Die Säftelehre besagt, dass ein Ungleichgewicht der „vier Säfte“ im Körper Krankheiten verursacht. Die Säfte sind Blut, Schleim, gelbe sowie schwarze Galle. Besonders die schwarze Galle ist mysteriös, denn die moderne Medizin kann sich keinen Reim darauf machen, was das sein soll und welche Entsprechungen von realen biologischen Erscheinungen es hat.
Den vier Säften ordnete Hippokrates natürliche Eigenschaften zu. Sie waren warm, kalt, trocken und feucht. Blut beispielsweise war warm und feucht, schwarze Galle kalt und trocken.
Galen erweiterte die Theorie noch um die vier Kardinalorgane Herz, Leber, Milz und Gehirn, das Lebensalter sowie die Tages- und Jahreszeiten. Das Temperament wurde alsbald auch noch in Betracht gezogen. Daraus folgte dann eine rationale Theorie, wie man Behandlungen bestimmen konnte.
War jemand Sanguiniker? Dann hatte er bereits von Hause aus „zu viel Blut“ und war anfällig für bestimmte Erkrankungen. Krankheit war also ein Ungleichgewicht der Säfte, und der Arzt bestimmte die exakte Natur der Erkrankung anhand der Symptome und der Befragung des Patienten. Darauf basierend wurde dann entschieden, welche Behandlung durchgeführt wurde. Kalt wurde mit Heiß behandelt und so weiter.
Krankheitsübertragung: Miasma
Nun wissen wir, wie Krankheiten Fuß im Körper fassen können: in einem Ungleichgewicht der Säfte. Irgendwoher muss die Krankheit aber auch herrühren! Hier kommen die Miasmen ins Spiel – die „üblen Düfte“.
Hier hatte ebenso Hippokrates seine Hände im Spiel. Die widerlegte (und seltsamerweise von diversen Homöopathen immer noch gelehrte) Miasmentheorie besagte, dass üble Gerüche die Säfte verstörten und ein Ungleichgewicht hervorriefen. Daraus entstanden dann die Krankheiten. Zwar war man sich durchaus bewusst, dass Tierbisse und andere Übertragungsvektoren existierten, aber die Keimtheorie war trotz allem noch in weiter Ferne.
Im späten Mittelalter begannen die ersten Städte öffentliche Krankheitsvorsorge zu betreiben und Meldepflichten einzuführen, dennoch war die Miasmentheorie noch bis ins 19. Jh. auch von dieser fortschreitenden Rationalisierung des medizinischen Denkens nicht betroffen.
Allerdings will ich hier betonen, dass es alternative Theorien gab, die auch zur Anwendung kamen! Girolamo Fracastoro, der in der Renaissance die Syphilis benannte, schlug vor, dass viele Krankheiten sich selbst verbreiteten, indem sie sich im Gewebe des Erkrankten festsetzten und dort vervielfachten (womit er ja recht hatte. Genau das tun ja Bakterien und Viren). Er brachte ebenso die Idee auf, dass Krankheiten sich von Person zu Person übertrugen. Auch die indirekte Schmierinfektion war für ihn glaubwürdig, denn er vermutete, dass Krankheiten mithilfe von Oberflächen übertragen werden konnten, welche ein Kranker zuvor berührt hatte. Bis solches Wissen dank der Keimtheorie weithin akzeptiert wurde, dauert es noch einige Jahrhunderte.
Im nächsten Artikel schreibe ich dann über Volksheilkunde und magische Aspekte der mittelalterlichen Medizin.
„Geschichtskrümel“ ist eine wöchentlich erscheinende Serie aus Kurzartikeln. Sie soll Spielern und Spielleitern als Anregung dienen und Inspiration fürs Rollenspiel bieten. Die Geschichtskrümel drehen sich um historische Ereignisse oder Themen, über die ich in meinem Alltag stolpere. Sie sind manchmal lehrreich, manchmal skurril und manchmal einfach nur lustig.
Quellen:
Webseite des Robert-Koch-Instituts: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/P/Pest/Pest.html
Breslaw, Elaine G. Lotions, Potions, Pills and Magic. Health Care in Early America. New York, 2014.
Jankrift, Kay Peter. Krankheit und Heilkunde im Mittelalter. 2. durchg. Auflage, Darmstadt, 2012.
Kelly, Kate. The History of Medicine. Old World and New. Early Medical Care, 1700–1840. New York, 2010.
„Seuche“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, (https://www.dwds.de/wb/Seuche), abgerufen am 7.1.2019.
Bilder: Camp Funston, NIAID / CC BY