In diesem Beitrag geht es um historische Frauen, die gute Beispiele und Inspirationen für atypische Charaktere darstellen. Weibliche Charaktere, die mit dem historischen Klischee brechen, ohne dabei den Rahmen völlig zu verlassen oder das Setting zu zerstören.
Im dritten Teil dieser Serie möchte ich euch wieder drei spannende Frauen vorstellen: Le Ly Hayslip, Martha Jane Canary und Tamar die Große. Der Abschnitt über Tamar die Große ist bereits zuvor auf PnPnews veröffentlicht worden. Le Ly Hayslip war übrigens eine der Inspirationen, die Tobias dazu gebracht haben, Asienwissenschaften im Nebenfach zu studieren!
Le Ly Hayslip
Der Vietnamkrieg gerät allmählich immer mehr in Vergessenheit. Für uns Deutsche war dieser Krieg nie viel näher, als ihn die Tagesschau in unsere Wohnzimmer bringen konnte. Für Amerika war er ein Trauma, eine Schmach und ein Mythos zugleich. Medial aufbereitet kennen wir ihn aus Hollywoodfilmen wie Platoon, Full Metal Jacket, We Were Soldiers, Firebase Gloria, Good Morning Vietnam und Apocalypse Now.
Die Bilder im Fernsehen und die Filme in unseren Kinos drehten sich jedoch vor allem um den Krieg aus der amerikanischen Perspektive. Die Vietnamesen selbst sind dabei wahlweise Opfer grausiger Gewalt, gerissene Kriegsgegner der Amerikaner oder bösartige Folterknechte, wie beispielsweise in Rambo II und Missing in Action.
Wer einen breiteren Blick auf den Vietnamkrieg und darüber hinaus werfen möchte, der sollte sich mit der Biografie von Le Ly Hayslip auseinandersetzen. Sie verkörpert, wie kaum jemand sonst, den Mythos „Vietnamkrieg“. Von den Ursprüngen des Vietnamkriegs, durch den Krieg hindurch, bis darüber hinaus.
Geboren als Bauerntochter
Le Ly Hayslip wurde 1949 im Dorf Ky La, südlich von Da Nang, als Phung Thi Le Ly geboren. Ihre Eltern waren Bauern, und sie war das jüngste von sechs Geschwistern. Nachdem Vietnam während des Zweiten Weltkriegs von den Japanern besetzt worden war, kehrten danach die ehemaligen Kolonialherren zurück. Frankreich versuchte sein Trauma der Niederlage nach dem Krieg dadurch zu kompensieren, dass es sich wieder zur Kolonialmacht aufschwingen wollte. Dem standen die Bestrebungen der Vietnamesen entgegen, nach dem Martyrium japanischer Herrschaft und der vorangegangenen Ausbeutung durch die Franzosen, endlich unabhängig und frei zu werden.
Die Fahne dieser Freiheitsbewegung wurde das rote Banner des Kommunismus. Die Franzosen begegneten diesen Bestrebungen mit brutaler Gewalt, sodass es zu dem Konflikt kam, den man im Westen meist einfach nur „den Ersten Indochinakrieg“ nennt. In Vietnam ist er besser bekannt als der antifranzösische Widerstandskampf.
Kinderzeit im Krieg gegen die Franzosen
Le Lys eigene Erinnerungen an diesen Konflikt sind äußerst schwammig. Sie war damals schließlich noch ein kleines Kind. Sie erlebte den Großteil ihrer frühen Kindheit als idyllisch, nur gelegentlich gestört durch kurzzeitige Gewaltereignisse, wenn französische Söldner, allen voran die als extrem grausam gefürchteten Marokkaner, scheinbar willkürlich vorgebliche Sympathisanten und Agenten der Viet Minh ermordeten.
Ihre Erinnerungen verdichten sich erst nach Ende dieses Krieges, als ihre Kindheit endet und der Konflikt beginnt, den wir heute im Westen als den Vietnamkrieg kennen. Frankreich hatte Vietnam aufgeben müssen und eine weitere Niederlage erlitten. Diese erschien den nationalistischen Gaullisten als schwere Schmach, obgleich es nichts mehr war als die Quittung für den gescheiterten kolonialen Machtanspruch. Wer mit Gewalt über andere herrschen möchte, muss mit dem Risiko leben, damit zu scheitern. Besonders wenn man es mit einem Volk zu tun hat, dessen Freiheitswunsch über einen derart langen Zeitraum gewachsen ist wie jener der Vietnamesen.
Zwischen den Fronten – das große Lebensthema
Ky La, das Heimatdorf von Le Ly, lag nun ab 1955 genau in der Mitte eines zweigeteilten Landes, direkt im Grenzbereich zwischen Nord- und Südvietnam. Dieses Gebiet war fortan einer der schwersten Konfliktbereiche im zweiten Indochinakrieg, dem Vietnamkrieg, der in Vietnam heute der Krieg der Amerikanischen Aggression heißt. Oder kurz: Der Amerikakrieg.
Aber nicht nur Vietnam war zerrissen zwischen den Kommunisten in Hanoi und der kapitalistischen Diktatur in Saigon. Die Risse des Krieges gingen quer durch die Bevölkerung, quer durch alle Schichten und nicht selten sogar direkt durch Familien hindurch.
NLF-Sympathisantin
Le Ly sympathisierte mit der Nationalen Befreiungsfront, dem sogenannten Viet Cong, und fungierte wie viele Kinder und Jugendliche ihrer Gegend als Informantin und Melder. Sie stand Schmiere bei Hinterhalten, signalisierte die Ankunft von Truppen und viele andere Dinge.
Als sie 14 Jahre alt war, wurde sie vom südvietnamesischen Geheimdienst verhaftet, inhaftiert und gefoltert. Ihren Eltern gelang es zwar, sie mit Bestechungsgeld zu befreien. Als sie jedoch in ihr Dorf zurückkehrte, wurde sie vom Viet Cong verhaftet und als Verräterin bezichtigt. Ein Standgericht im Wald verurteilte sie zum Tode, und sie musste ihr eigenes Grab schaufeln. Die beiden Männer, die sie erschießen sollten, vergewaltigten sie jedoch, statt sie zu töten, und ließen sie entkommen.
Flucht nach Saigon
Le Ly floh zusammen mit ihrer Mutter nach Saigon, wo sie eine Anstellung als Hausmädchen im Haushalt einer reichen Familie fand. Dort hatte sie eine Affäre mit dem Hausherrn und wurde schwanger. Die Affäre war zwar einvernehmlich gewesen, aber natürlich durch ein immenses Machtgefälle geprägt. Ihr Arbeitgeber stand nicht nur im sozialen Rang weit über ihr und verfügte nicht nur über ihr Auskommen. Er war natürlich auch viel gebildeter als sie und wusste wesentlich besser, was für das Mädchen in seinen Diensten auf dem Spiel stand. Als seine Frau von der Schwangerschaft erfuhr, entließ sie Le Ly und deren Mutter umgehend aus ihren Diensten und vertrieb sie aus dem Haus.
Als Straßenhändlerin am anderen Ende von Südvietnam
Le Ly, ihre Mutter und ihr Baby kehrten in ihre zentralvietnamesische Heimat zurück und gingen nach Da Nang. Die Hafenstadt war das Hauptquartier des US Marine Corps im nördlichen Grenzgebiet von Südvietnam und erlebte zu dieser Zeit einen wirtschaftlichen Boom inmitten der Kriegswirren. Le Ly verdiente ihr Geld mit Hauswirtschaftsarbeiten, vor allem aber zunehmend auch auf dem Schwarzmarkt, wo sie als clevere Händlerin Zigaretten, Drogen und andere Dinge an US-Soldaten verkaufte. Im Gegenzug konnte sie Waren aus dem Armeesupermarkt der US-Basis an korrupte Beamte liefern.
Erste Ehe mit einem Amerikaner
Nach einigen erfolglosen Beziehungen mit amerikanischen Soldaten lernte sie Ed Munro kennen. Munro war ein Zivilunternehmer, der in Vietnam für die US-Regierung tätig war. Sie bekamen ein Kind, heirateten und verließen 1970 gemeinsam Vietnam. Le Ly, ihre beiden Kinder und ihr Mann, der mehr als doppelt so alt war wie sie selbst, zogen nach San Diego, Kalifornien.
Kaum angekommen, stirbt der Ehemann
Nur drei Jahre später erlag ihr Mann jedoch seinem chronischen Lungenleiden. Le Ly schlug sich mit verschiedenen Arbeiten durch, bis sie ein Jahr später erneut heiratete. Ihre zweite Ehe war jedoch alles andere als fröhlich. Dennis Hayslip, ihr neuer Ehemann, war alkoholkrank, hochgradig aggressiv und überaus erratisch. 1982 ließ Le Ly sich von ihrem Mann scheiden, nachdem der sie schwer misshandelt hatte. Dennis Hayslip beging daraufhin Selbstmord. Ein zumindest monetärer Glücksfall für Le Ly, denn sie erbte von ihm genug Geld, um endlich wieder ihr Schicksal in eigene Hände nehmen zu können.
Die Fähigkeiten, die sie in Vietnam als Schwarzmarkt-Straßenhändlerin, Haushälterin und Köchin erlernt hatte, zahlten sich nun für sie aus, wo sie ihre eigenen Entscheidungen treffen konnte und das Geld dazu hatte, ihrem Instinkt zu folgen.
Entrepreneur: Von der Straßenhändlerin zur Restaurantbesitzerin
Bereits wenige Jahre später hatte sie sich als Immobilienmaklerin und Restaurantbetreiberin in Amerika etabliert. Als die Beziehungen zwischen den USA und dem nun vereinten, kommunistischen Vietnam sich allmählich entspannten, war es ihr schließlich sogar möglich, nach Vietnam zu reisen und dort ihre noch lebenden Angehörigen zu besuchen.
Es blieb nicht bei einem Besuch, und Le Ly Hayslip engagierte sich fortan nach Kräften, die Verständigung zwischen beiden Ländern voranzubringen, Misstrauen abzubauen und die Wunden des Krieges zu heilen. Das tat sie, indem sie gleich zwei Charity-Organisationen gründete: „East Meets West” und die “Global Village Foundation”, die sich für sauberes Wasser, Krankenversorgung und Schulbildung einsetzen, besonders natürlich in Vietnam.
Lesenswerte Memoiren und ein Film!
Das Leben von Le Ly Hayslip wird in zwei äußerst lesenswerten Autobiografien auf eine ergreifende und spannende Art beschrieben. Teile ihrer Biografie wurden von Oliver Stone im Film „Heaven & Earth“ dramatisiert. Viele Details wurden dabei jedoch stark verändert. Der Film war kein Erfolg und scheiterte an den Kinokassen, liefert aber einen äußerst packenden Einblick in die Aspekte des Vietnamkriegs, die einem Westler in anderen Medien verborgen bleiben.
Le Ly Hayslip als Charakterinspiration
Aus rollenspielerischer Sicht ist Le Ly Hayslip ein lebender Beweis dafür, dass Menschen aus allen Schichten und Altersgruppen Helden und Überlebenskünstler in Krisenzeiten sein können. Zudem zeigt sie auch, dass äußerst drastische und prägende Lebenserfahrungen auch vor Kindern und Jugendlichen nicht halt machen. Trotz allen Leides, das Le Ly in ihrem bewegten Leben erfahren hat, wurde sie nie verbittert. Im Gegenteil. Man könnte sogar den Eindruck bekommen, dass Kälte und Hässlichkeit in der Welt um sie herum nur dazu geführt haben, dass sie selbst mehr Wärme und Menschlichkeit geschaffen hat, wo auch immer sie konnte. Sie hatte lange das Gefühl, dass sie zwischen den Stühlen saß, was ihr zuerst als Bürde erschienen war. Sie erkannte ihren Lebenssinn in späteren Jahren darin, dass sie sich als Brücke zwischen den Menschen zu verstehen lernte.
Martha Jane Canary
Kaum jemand kannte sie unter diesem Namen, aber ganz Amerika erinnert sich heute an sie unter ihrem Spitznamen: Calamity Jane, Heldin der Great Plains.
Mit 14 sterben die Eltern
Jane wurde 1852 als älteste Tochter eines Spielers und einer Hure in Missouri geboren. Ihr folgten fünf weitere Geschwister, und im Jahr 1865, als Jane gerade 12 Jahre alt war, zogen ihre Eltern mit ihr und ihren Geschwistern nach Westen, gen Montana. Janes Mutter starb auf dem Weg, vermutlich an einer Lungenentzündung. Ihr Vater zog mit den Kindern weiter bis nach Utah, wo er Land erwarb und damit begann, dieses zu bewirtschaften. Auch er starb kurz darauf, sodass Jane 1867, selbst gerade 14 Jahre alt, die Verantwortung und Fürsorge für ihre Geschwister übernehmen musste.
Jane macht alles: Barfrau, Krankenpflegerin, Prostituierte, Kutschfrau
Über die nächsten 7 Jahre schlug Jane sich mit allem durch, was sie an Arbeit finden konnte. Sie kochte, putzte, tanzte und arbeitete als Barfrau, Krankenpflegerin und gelegentlich auch als Prostituierte. Immer wieder, wenn sich die Gelegenheit ergab, machte sie auch damals typische Männerarbeiten, als Ochskutscherin, Viehtreiberin und Kojotenjägerin. Zwischen klassisch weiblichen und männlich dominierten Rollen hin und her zu wechseln wurde für sie zur Normalität und das Cross-Dressing zwischen Frauenkleidern und Männerkleidung zur zweiten Natur.
Als Späherin in der Armee
1874 fand Jane eine Anstellung als Späherin in Wyoming. Sie war nun also für die Armee tätig und nahm an zahlreichen Militäraktionen gegen die amerikanischen Ureinwohner teil. Nebenher verdingte sie sich regelmäßig auf der Fort Laramie Three-Mile Hog Ranch, einem notorischen Bordell im Südosten von Wyoming, als Prostituierte. Sie war, nach allem, was belegt ist, keine Schönheit, aber sie war dennoch eine der beliebtesten Huren, weil es vielen Kunden schlicht Spaß machte, Zeit mit ihr zu verbringen, weil sie hart und reichlich trank und ausgesprochen witzig war. Viele ihrer Kunden waren Offiziere und Veteranen, und sie wurde oft vor allem für Gesellschaft bezahlt, weshalb man sie aus heutiger Sicht vielleicht eher als Escort bezeichnen würde denn als Hure.
Vieles ist nicht belegt
Es gibt übrigens keinen handfesten Beleg dafür, dass sie persönlich im Verlaufe ihrer Militärzeit an irgendwelchen Kampfhandlungen teilgenommen hat, und viele ihrer eigenen Erzählungen aus dieser Zeit wurden von Zeitzeugen später infrage gestellt. Jane war ein ziemlicher Paradiesvogel, und viele ihrer Geschichten mögen erfunden sein. Fakt ist jedoch, dass sie sich eine Menge Respekt verdiente, nicht zuletzt auch aufgrund ihrer freundlichen und lebenslustigen Art, ihrer Hilfsbereitschaft und Güte. Für eine cross-dressende Frau, die noch dazu nebenher als Prostituierte arbeitete, war das in einer männlich dominierten Zeit und Gesellschaft sicherlich ein ziemlicher Drahtseilakt.
Calamity Jane trifft auf Wild Bill Hickok
1876, mittlerweile 24 Jahre alt, kurierte sie eine Lungenentzündung in Fort Laramie aus. Einigen Berichten zufolge, weil sie wichtige Depeschen durch Indianergebiet transportiert und dabei einen Fluss durchschwommen hatte, anderen Berichten zufolge aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums. Fakt ist aber, dass sie sich nach ihrer Erholung in Fort Laramie einem Wagenzug anschloß, zu dem auch die Westernlegende Wild Bill Hickok gehörte.
Mit Wild Bill nach Deadwood
Ob Jane, die zu diesem Zeitpunkt bereits nur noch unter ihrem Spitznamen Calamity Jane (für Eilige: „Calamity“) bekannt war, Wild Bill Hickok in Benson‘s Landing, Montana, geheiratet hat, ist unklar und umstritten, allerdings nicht unmöglich. Fakt ist jedoch, dass Jane und Hickok auf dem Weg von Fort Laramie nach Deadwood gute Freunde wurden und bis zu Hickoks Tod unzertrennlich waren. Allerdings starb Hickok noch im August des gleichen Jahres, in dem sie sich kennenlernten. Viel Zeit für eine tief gehende Bekanntschaft war da nicht. Sie hatten aber allem Anschein nach eine gute Zeit miteinander, möglicherweise genug Sex, um mindestens eine angeblich gemeinsame Tochter zu produzieren, und sie hinterließen einen großen Fußabdruck im Herzen der Wildwestlegende, die sich an keinem Ort so versinnbildlichte wie in Deadwood.
Aufstieg zur Westernlegende
Jane, die bereits als lokale Berühmtheit in Deadwood ankam, wurde dort vollends zur Westernlegende. Dort hatte sie Schießereien, Schlägereien und einige der sonderbarsten Beschäftigungen ihres Lebens, freundete sich mit Dora DuFran an, der einflussreichsten Puffmutter der Region, und hatte enge Kontakte zu „Colorado Charlie“ Utter, einer weiteren Westernlegende.
Einige sesshafte Jahre
1881 kaufte sie eine Ranch, westlich von Miles City, wo sie eine Herberge betrieb. Sie heiratete Clinton Burke, zog nach Boulder und brachte eine Tochter zur Welt, die sie zur Adoption fortgab.
Schließlich wurde sie Teil von Buffalo Bill‘s Wild West Show, mit der sie eine Weile durch das Land zog und Westerngeschichten erzählte.
Die letzten Monate als Köchin
1903 kehrte sie schließlich nach Deadwood zurück, wo sie eine Anstellung im Bordell ihrer alten Freundin Dora DuFran fand. Nun allerdings nicht mehr als Gelegenheitsprostituierte, sondern als Köchin und Rausschmeißerin. Noch im selben Jahr starb sie, im Alter von 51 Jahren, vermutlich an Lungenentzündung oder einer Magen-Darm-Erkrankung.
Martha „Calamity“ Jane Canary als Charakterinspiration
Für Rollenspieler ist sie ein interessantes Beispiel dafür, wie jung zahlreiche Legenden früherer Zeiten im Höhepunkt ihres Wirkens gewesen sind. Calamity Jane war 22, als sie als Späherin in den Dienst der Army trat, und als sie mit 24 nach Deadwood reiste, war sie bereits eine lokale Legende, über deren Ankunft sogar in der Zeitung berichtet wurde!
Sie ist auch ein gutes Beispiel für eine Frau, die großes Leid in ihrem Leben erdulden musste, sich aber dennoch niemals unterkriegen ließ. Zwar trug vieles davon sicherlich zu ihrem als immens überlieferten Alkoholkonsum bei, aber wenn man den Berichten glauben darf, war sie den größten Teil ihres Lebens optimistisch und abenteuerlustig. Verbittert und depressiv wurde sie erst zusehends, als die meisten ihrer früheren Freunde verstorben waren und sie in konstanter Geldnot lebte.
Vorlage für Frontiercharaktere
Man kann Calamity Jane als Vorlage benutzen, um einen ungemein vielseitigen Frontiercharakter zu erschaffen. Vor allem ist sie ein Beleg dafür, dass „Tochter eines Farmers“ keine relevanten Einschränkungen in nicht akademischen Bereichen mit sich bringt. Calamity konnte schießen, spielen, kämpfen, Ochsen- und Pferdewagen lenken und nach zahlreichen Berichten hervorragend reiten. Sie versorgte Kranke und Verletzte, verhandelte mit Indianern und rettete Postkutschen vor Banditen.
Personen wie Calamity Jane sind auch eine Erinnerung daran, dass eine fünfzigjährige Frau in einem Westernbordell, die sich um die Wäsche und das Essen kümmert, keineswegs eine alte Vettel sein muss, sondern eben genauso gut auch eine Westernlegende sein könnte. Ihre physischen Fähigkeiten mögen nicht mehr auf der Höhe gewesen sein, aber zumindest mir fällt es nicht schwer, mir eine Calamity Jane im letzten Abschnitt ihres Lebens vorzustellen, die sich in einer plötzlichen Notlage die Schürze vom Leib reißt, ein Repetiergewehr greift und ein Dutzend Männer anbrüllt, was sie jetzt zu tun haben.
Tamar die Große
Die Tochter eines Königs ist eine Prinzessin und wird irgendwohin verheiratet, um Bündnisse zu schmieden. Nicht so Prinzessin Tamar von Georgien, Tochter von König Giorgi dem Dritten und Urenkelin Davids des Erbauers. Im Jahr 1178, als sie gerade 18 Jahre alt war, machte ihr Vater sie nicht nur zu seiner Thronfolgerin. Er ernannte sie auch direkt zu seiner Co-Regentin!
Alleinherrscherin von Georgien
Nach seinem Tod übernahm sie den Thron, wurde zur alleinigen Herrscherin gekrönt und heiratete ein Jahr darauf den russischen Prinzen Yuri Bogolyubsky aus Novgorod. Als der sich aber als untreu und versoffen erwies, strebte Tamar die Scheidung an. Dazu sicherte sie sich zuerst die Unterstützung der Kirche und jagte ihn schließlich aus dem Land. Yuri kehrte zwar 1191 mit einem Heer zurück, um sich nun Georgien mit Gewalt zu unterwerfen. Tamars Loyalisten besiegten ihn jedoch. Sie begnadigte ihn und verbannte ihn des Landes, aber 1193 versuchte er erneut, die Herrschaft mit einem Aufstand an sich zu reißen. Tamar besiegte ihn ein zweites Mal und verwies ihn erneut des Landes.
Tamar sucht sich ihren eigenen Ehemann aus
Obwohl ihr nach ihrer Scheidung zahlreiche Herrscher Europas Söhne zur Hochzeit anboten, entschied sich Tamar diesmal für einen Gemahl nach ihrer eigenen Wahl. 1189 heiratete sie David Soslan, einen Prinzen aus Alanien. Er stärkte ihre Kontrolle über das Heer, war maßgeblich an der zweiten Vertreibung von Yuri beteiligt und unterwarf die Adligen, die sich Yuris Revolte angeschlossen hatten. David und Tamar hatten zwei gemeinsame Kinder.
Rechtsreformerin und Schmiedin der nationalen Einheit
Tamar, die als Tamar die Große in die georgische Geschichte einging, modernisierte das Land, verbesserte das Rechtssystem und stärkte das Heer und die nationale Einheit. Unter ihrer Regentschaft blühte die Kultur Georgiens auf, und das Rittertum wurde romantisiert. All das brachte ihr noch zu Lebzeiten den Ehrentitel „König Tamar“ ein, also die maskuline Bezeichnung anstelle der weiblichen, um ihre besondere Kompetenz und Machtfülle auszudrücken.
Tamar die Große als Charakterinspiration
Für Rollenspieler beweist Tamar die Große, dass die Geschichte voll ist mit vielseitigen Wendungen. Georgien war kein Gleichberechtigungs-Wunderland, und die Ernennung Tamars zur Regentin war kontrovers und gefährlich. Georgien war ein christliches Land, mit byzantinischen und persischen Einflüssen. Tamars Bedingungen waren also alles andere als ideal. Wenn sie und ihr Vater nicht so kompetent gewesen wären, wie sie es waren, dann wäre sie vermutlich von ihrem ersten Mann entmachtet oder im Zuge des ersten Aufstandes gestürzt worden. Wenn man also in einem historisch inspirierten Setting spielt, ohne dabei zwingend die tatsächliche Geschichte nachzuspielen, man also eine alternative Geschichte spielt, dann kann man Tamar als Schablone für eine Herrscherin für nahezu jedes europäische Land des Mittelalters heranziehen.
Alternativ kann jemand wie Tamar auch als Mentor eines weiblichen Charakters fungieren oder als Idol. Dergestalt motiviert oder gefördert, wären zahlreiche Türen geöffnet, die im klischeehaften Geschichtsbild sonst geschlossen wären. Auch wenn Tamar sich vor allem auf männliche Verbündete stützte, wäre es nicht uncharakteristisch für sie, eine Frau mit einer diplomatischen Mission zu betrauen oder auf eine Handelsexpedition zu entsenden. Eine solche Frauenrolle wäre zwar eine Untergebene, aber anders als in klassischen Machtverhältnissen eben die Untergebene einer selbstbewusst herrschenden Königin.
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