Auf den Straßen Londons war eine Menge los. Sänftenträger eilten von einem Ort zum anderen (und rempelten Leute an), die Reichen führten ihre Kutschen aus, und immer wieder blockierten Viehherden die Straßen, sodass sich Krämer und Diener an ihnen vorbeiquetschen mussten, während der Verkehr zum Stillstand kam. Doch irgendwo mussten die ganzen Menschen, welche auf den Straßen ihren Geschäften nachgingen, ja auch wohnen! Nur, wie sah die Wohnsituation im London von 1750 tatsächlich aus?
Das Titelbild gibt uns eine Idee: Thomas Idle, der Protagonist der zwölfteiligen Bilderserie „Industry and Idleness“ des Künstlers Hogarth, wohnt hier mit einer Prostituierten zusammen. Waffen und Schlösser zeigen eindrücklich, dass man immer wieder damit rechnen musste, sein Hab und Gut zu verteidigen. Die Wohnung ist heruntergekommen, wird mit Ratten geteilt und ist winzig.
The tired, the poor, the huddled masses – die Slums
Die meisten Leute waren arm. Heute reden wir ja wieder über Wohnungsnot und überhöhte Mieten in den Städten. Das ist allerdings noch nichts, verglichen mit den Slums und den Mietshäusern des damaligen London.
Das traditionelle Baurecht
Ich habe bereits in den vorhergehenden Artikeln dargelegt, dass die Verwaltung Londons zu dieser Zeit recht schlampig war, ja nahezu völlig inexistent. Altes Baurecht, das verhindern sollte, dass London aus allen Nähten platzte, wurde schlicht nicht eingehalten.
Eigentlich galt nämlich, dass in London keine neuen Häuser gebaut werden durften, die nicht auf dem Fundament eines bereits vorhandenen Gebäudes errichtet wurden. Das hätte, in der Theorie, verhindert, dass die Stadt sich immer weiter verdichtete. Logisch, dass sich damit kein Geld scheffeln ließ – und irgendwo musste man die Armen ja auch hinstopfen.
Illegale Bauten
Also bauten Miethaie illegal und billig. Krude konstruierte Gebäude wurden in Hinterhöfe gequetscht, wo die Beamten sie nicht zu Gesicht bekamen. Diese Häuser hatten natürlich weder anständige Beleuchtung noch taugliche Kamine, geschweige denn Müllentsorgung oder guten Zugang zur Kloake.
London wurde durch das wilde Bauen zu einem unübersichtlichen Netzwerk winziger Gassen und ineinander verschachtelter Häuser – ein Albtraum für jede Form von Strafverfolgung. Viele dieser Mietshäuser waren mehrstöckig mit einem großen Raum auf jedem Stockwerk. Sie hatten drei, vier oder mehr Türen in alle möglichen Richtungen. Sie waren also perfekt, um jede Art von Verfolger abzuhängen!
Gefährliche Bausubstanz
All diesen schnell hochgezogenen Bauten war gemein, dass sie nach ein paar Jahren bereits baufällig wurden. Nachrichten von eingestürzten Häusern waren an der Tagesordnung, und immer wieder kamen bettelarme Familien darin zu Tode. Dass sie eine Feuergefahr waren, kommt natürlich auch noch hinzu.
Nach dem großen Feuer von 1666 wurde ein Jahr später zudem ein neues Baurecht erlassen, das Brände verhindern sollte. Alle Häuser sollten nun eigentlich Brandmauern besitzen und über angemessene Abstände verfügen. Viele dieser Abstände in Form von Freiflächen wurden illegal zugebaut!
Die Vermieter scheffeln Geld
Dass sich das Vermieten mieser Bausubstanz ohne Rücksicht auf die Mieter lohnt, ist ja auch heute wieder Thema und war es in den 1960er Jahren bereits einmal.
Auch die Miethaie Londons kassierten bare Münze ab. Eine beispielhafte Vermieterin kassierte ein kleines Vermögen. Sie vermietete 20 Bruchbuden mit jeweils vier Stockwerken. Auf jedem Stockwerk fanden vier oder fünf Betten Platz. In jedem Bett konnten zwei Leute unterkommen. Eine Nacht kostete 2 Penny pro Person oder 3 Penny für ein Paar.
Rechnen wir das einfach mal hoch und gehen davon aus, dass die Hälfte der Leute Paare waren, dann verdiente sie pro Nacht 200 Penny oder 16 Shilling und 8 Pence. Das entsprach dem Tageseinkommen von knapp 11 Zimmermännern auf dem Bau!
Acht in einem Bett – Leben in den Slums
Die Armen in den Slums lebten so, wie man es erwarten muss, wenn man nun Bescheid weiß über die Häuser und ihre Vermieter (Englisch ja etwas passender landlord genannt!). Wer nicht in einem dieser bald wieder einstürzenden Bauwerken wohnte, der musste anderswo unterkommen. Keller wurden beispielsweise auch oft an die Ärmsten vermietet. Dort teilten sich dann ganze Familien ein Bett – und sei es im Schichtbetrieb.
Viele dieser Häuser wurden eigentlich nicht mehr erhalten und waren mehr Ruinen als Wohnhäuser. Immer wieder „lebten“ Arme diese Gebäude auch „ab“, indem sie die Holzteile graduell als Brennmaterial verbrauchten. Die Vermieter interessierte das im Zweifel ja nicht. Schlimmstenfalls baute man irgendwann neu.
Alles dunkel!
Die Wohnungen der Armen waren aber vor allem eines: dunkel. Das lag auch an der Fenstersteuer, die ab 1695 erhoben und graduell gesteigert wurde. Diese Steuer war eine der wenigen Möglichkeiten des Staates, mit geringem Aufwand Immobilienbesitz zu besteuern – man zählte die Fenster, und jedes Fenster kostete einen gewissen Betrag.
Das verleitete die Vermieter dazu, selbst die kleinen Fenster, die den Slumbewohnern etwas Atemluft verschafften, zuzumauern, um Geld zu sparen.
Aus den Augen, aus dem Sinn
Von Zeit zu Zeit kam es zu Räumungen, wenn sich eine Gelegenheit bot. Ein gewichtiges Argument für den Bau von Blackfriars Bridge war unter anderem, dass man so das Nordende der neuen Brücke planieren konnte. Dort hatte sich eine „No-go-area“ entwickelt, mit Trinkhäusern, Ginverkäufern, seltsamen Pfandleihern und Prostitution. All das wurde dann eben alsbald woanders wieder aufgebaut, während die Einwohner verdrängt wurden – nur, um woanders erneut in miesen Hütten zu hausen. Öffentlichen Wohnungsbau gab es schließlich nicht, und niemand interessierte sich dafür, Wohnraum für alle zu garantieren.
Obdachlose
Wer sich nicht einmal so ein überteuertes Wohnloch leisten konnte, das sein Geld kaum wert war, der musste jede Nacht hoffen, irgendwo unterzukommen. Mit etwas Glück fand er einen Platz in einer der Glasfabriken oder der Ziegelbrennereien, wo die Öfen noch lange warm blieben, nachdem die Arbeit für den Tag getan war.
Die Mittelschicht
Ganz unten in der Fresskette der Mittelschicht, aber immerhin über den Armen in den Slums, standen die Leute, die über ein einigermaßen geregeltes Einkommen verfügten, aber keineswegs gut lebten. Kleine Häuschen und reguläre Mietshäuser waren das Heim von Handwerksgesellen, Sänftenträgern, Hebammen und anderen Arbeitern. Sie lebten nach Möglichkeit in der Nähe der Orte, wo sie regelmäßig Arbeit zu finden hofften.
Kleine Häuschen für die kleinen Leute
Die Räumlichkeiten waren ebenfalls nicht besonders groß, und an getrennte Räumlichkeiten für Schlafen, Wohnen und Arbeiten war nicht zu denken. Jedoch gab es Fenster, echte Möbel, einen anständigen Herd, und es war sauber! Hin und wieder hielten sich Leute auch Tiere. So wurde eine Hebamme vor Gericht wegen Grausamkeit gegenüber ihrer Gesellin verurteilt, weil sie das Mädchen im Keller schlafen ließ, wo sie ihre Schweine hielt!
Das bürgerliche Eigenheim
Wer sich ein Haus mit mehreren Zimmern, fließend Wasser und eigener Küche leisten wollte, der legte dafür ungefähr 600 bis 700 Pfund auf den Tisch. Das wiederum bedeutete, dass das Zusammenhalten von Immobilienbesitz und das Vererben eine wichtige Methode war, zu Wohlstand zu gelangen. Ansonsten musste man schließlich mieten.
Kohle und Wasser frei Haus
Die Küche befand sich oftmals in einem Kellergeschoss und hatte direkten Zugang zum Kohlekeller unter der Straße. Durch ein Loch in der Straße, das mit einem eisernen Deckel verschlossen war, konnte die Kohle direkt hinabgekippt werden.
Auch der aus Blei gefertigte Wassertank befand sich im Keller, sodass die Küche direkten Zugriff darauf hatte. Wasser wurde alle paar Tage in die einzelnen Gebiete gepumpt, sodass der Tank durch die Hauptleitung in der Straße neu gefüllt wurde, denn diese lag ja oberhalb des Tanks, sodass die Schwerkraft die Arbeit erledigte.
Ein beispielhaftes Häuschen
Ein annehmbares Haus verfügte neben der bereits erwähnten Küche im Keller auch noch über zwei Salons im Erdgeschoss, wo Gäste empfangen werden konnten oder wo man sich gemütlich hinsetzen mochte. Ein Stockwerk darüber fand man dann den Speisesaal und das große Schlafzimmer. Darüber dann noch einmal zwei Schlafräume und eine Kammer, z.B. für Kleidung etc. Die drei bis vier Bediensteten schliefen im ausgebauten Dachboden.
Vor dem Haus selbst fand sich die Treppe, die ein halbes Stockwerk nach oben führte, bevor man durch die Haustür hineinkam. So wurde der Straßenschmutz etwas auf Abstand gehalten. Zudem fand sich immer ein fest angebrachtes Eisen, um den Dreck von den Schuhen zu kratzen. Bei besseren Häusern waren da zudem noch die Löscheimer für die Fackeln, wo angeheuerte Fackelträger ihre Fackel löschen konnten, sobald sie die Herrschaften sicher zu ihrem Haus gebracht hatten. Immer war über der Tür natürlich eine Laterne. Wer es sich leisten konnte, der besaß hinter dem Haus auch einen hübschen Garten.
Villen und Paläste – die Häuser der Reichen
Apropos „Wer es sich leisten konnte“. Da waren ja auch noch die Earls and Dukes, die Lords and Ladies! Ihre Stadtvillen waren – für den Laien vielleicht unerwartet – in den meisten Fällen weniger grandios, als man glauben mag. Schlicht, weil der Platz in der Stadt fehlte, um den Glanz ihrer Landsitze nachzuahmen. Oft nahmen sie darum vorlieb mit einem Haus an einem der Plätze, ohne Vorgarten und andere Annehmlichkeiten – klassische Stadthäuser eben.
Denn, und das muss man verstehen, die Reichen wohnten nicht in London, weil es dort so schön war. Landbesitz und dazugehörige Landschlösser waren das eigentliche Heim des Adels. Wer jedoch politisch etwas erreichen wollte, geschäftlich voranzukommen oder auch einfach Allianzen zu schließen versuchte, der musste in die Hauptstadt. Wo sonst konnte man Verbündete gewinnen und passende Heiratspartner für die eigenen Kinder finden? Dafür brauchte man natürlich ein Stadthaus.
Prächtige Wohnsitze
Es ist natürlich ein wenig übertrieben, wenn ich sage, dass die Häuser nicht grandios waren. Sie waren nur weniger grandios als auf dem Land. Einige waren jedoch ausgesprochen prächtig.
1763 wurde das Haus des Earl Granville in der Arlington Street versteigert. Für 15’000 Pfund! Das war der Preis eines größeren Kriegsschiffes mit Kanonen und voller Ausrüstung.
Zu so einer Villa gehörten dann natürlich auch Ställe, ein Arbeitszimmer, Platz für die Kutsche(n), ein oder zwei Nebengebäude, z.B. für die Diener, eine große Halle usw.
Gepachtet!
Interessant dabei ist auch, dass das Land, auf dem die Häuser standen, oftmals nur gepachtet war. Die Frage, wie lange die Landpacht noch galt, bis das Land mitsamt Gebäude zurück an den Landbesitzer fiel, war darum ein wichtiger Faktor beim Preis von Gebäuden. Warum sollte man schließlich investieren, wenn man das Haus nur noch wenige Jahrzehnte benutzen konnte?
Pachtverträge von 100 oder mehr Jahren waren bei teuren Häusern darum durchaus üblich, gerade weil in London das Aufbauen von Immobilien zur „Dynastiegründung“ sehr aktiv betrieben wurde. Der älteste Sohn blieb nach Möglichkeit im selben Haus. Diese absurd langen Pachtverträge waren darum etwas spezifisch Englisches.
Preise
Die 15’000 Pfund für das Haus des Earl Granville waren allerdings ein Ausreißer. Die Häuser im Grosvenor Square, einer noblen Wohngegend mit 51 Häusern und gleich 16 Nobelleuten, unter anderem Herzöge und Herzoginnen, kosteten im Allgemeinen zwischen 3500 und 7500 Pfund – in letzterem Fall allerdings voll möbliert!
Die größten Wohnsitze der großen Leute
Nur die prächtigsten Stadtvillen verfügten über Gartenanlagen mit Pavillons und eventuell sogar einem eigenen Park. Kleine Paläste wie das Northumberland House, das größte Anwesen seiner Zeit, konnte bei Festlichkeiten über 1500 Personen beherbergen. palast
Einige dieser Anwesen verfügten auch über einen Vorplatz, wo die Kutschen der Gäste anhalten und ihre Herrschaften ausladen konnten. Wann immer die prächtig geschmückten Prozessionen von Kutschen unterwegs waren zu einem Event in einem der Häuser, kamen auch die einfachen Leute heraus, um sich die protzigen Karossen anzuschauen. Dabei kam es zwangsläufig zu einem Verkehrschaos und zu Stau. Immer wieder nutzten anarchistisch angehauchte Witzbolde die Gelegenheit, um mit Kreide lustige oder provokante Sprüche an die Seitentüren der Kutschen zu kritzeln, deren Besitzer nichts dagegen tun konnten.
Und die Royals?
Ich nehme an, du sagst nun, dass die in einem Palast lebten, nicht wahr? Damit liegst du allerdings falsch. Whitehall Palace war 1698 niedergebrannt, und Wilhelm III. von Oranien lebte nach Möglichkeit außerhalb Londons, denn er hatte Asthma. Darum wurde kein neuer Palast gebaut, der eigentlich dringend gebraucht worden wäre für Staatsgeschäfte und Empfänge.
So wurde der alte St. James Palace wieder zum Herrschaftssitz, der 1530 errichtet worden war. Er war weder ein komfortabler Wohnort, noch konnte man ausländische Diplomaten damit beeindrucken. George III. war darum heilfroh, als er Buckingham House am Ende des Parks unweit des Palastes kaufen konnte. Für 28’000 Pfund! Ein gewaltiger Preis, wenn man bedenkt, dass das Anwesen 1705 für gerade mal 8000 Pfund errichtet worden war.
The Queen’s House
Buckingham House gehörte der Gemahlin von George III., die dafür ihren Besitz am langsam verfallenden Somerset House aufgab. Somerset House wiederum diente noch einige Jahrzehnte als feuchtes und wenig imposantes Gebäude für die Unterbringung von ausländischen Staatsgästen, die davon sicherlich wenig beeindruckt waren. 1775 wurde es dann abgerissen, nachdem es auch noch eine Weile als Kaserne gedient hatte.
George lebte derweil im Erdgeschoss von Buckingham House, wo er vier Bibliotheken einrichtete, zusätzlich zu einem Gewächshaus und einer Voliere für den guten Ausblick und angenehme Lesestunden. Von dort ging er regelmäßig hinüber zum St. James Palace, wann immer seine Arbeit das verlangte. Königin Charlotte hingegen bewohnte das Obergeschoss. Die Wasserversorgung stellte ein gewaltiger Wassertank unter dem Dach sicher.
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„Geschichtskrümel“ ist eine wöchentlich erscheinende Serie aus Kurzartikeln. Sie soll Autoren, Spielern und Spielleitern als Anregung dienen und Inspiration fürs Rollenspiel oder Geschichten bieten. Die Geschichtskrümel drehen sich um historische Ereignisse oder Themen, über die ich in meinem Alltag stolpere. Sie sind manchmal lehrreich, manchmal skurril und manchmal einfach nur lustig.
Quellen:
- Landers, John. Death and the Metropolis. Studies in the Demographic History of London, 1670–1830. Cambridge, 1993.
- Picard, Liza. Dr. Johnsons London. Everyday Life in London 1740–1770. London, 2003.
- Seymour, Robert. A Survey of the Cities of London and Westminster, Borough of Southwark, and Parts Adjacent. Bd. 2. London, 1735.