Bereits vor über 25 Jahren, als ich mit dem Pen & Paper Rollenspiel anfing, hieß es nicht selten „Ich habe das aber ausgewürfelt“, wenn ein Spielleiter irgendetwas Unliebsames verkündete. Beispielsweise bei einer besonders unerfreulichen Zufallsbegegnung oder wenn einem Charakter ein unerwartetes Unglück widerfuhr. Sogar Charaktere wurden damals nicht einfach erstellt. Sie wurden ausgewürfelt. Aber was steckt dahinter, wenn man diese Dinge erwürfelt, und was bedeuten Zufallstabellen und regelmechanische Systeme überhaupt für das Spiel und für die Spielenden?
Regelmechanische Simulation im Rollenspiel
Wenn wir etwas im Rollenspiel auswürfeln, dann haben wir es mit einer simulationistischen und einer gamistischen Komponente zu tun. Der regelmechanische Aspekt des Würfelns ist die Simulation, denn die Regeln versuchen oft bestimmte Verhältnismäßigkeiten und Erwartungen zu bedienen. Idealerweise auch in Relation zu den Fähigkeiten des geprüften Charakters. Das Rollen der Würfel selbst ist zugleich ein gamistisches Element. Es ist, vereinfacht ausgedrückt, Glücksspiel. Wir rollen die Würfel und kreuzen die Finger. Wenn das Glück uns hold ist, kommt hoffentlich ein guter Wurf dabei raus.
Durch die Berechenbarkeit von Wahrscheinlichkeiten bzw. deren grobe Einschätzung wird ein gewisses Maß an spielerischer Simulation möglich. W100-Systeme sind dabei besonders leicht einzuschätzen, da sie ganz direkt mit Prozenten arbeiten. Wenn ich einen Wert von 40 habe und darauf mit einem W100 würfle, liegen meine Chancen auf Erfolg offensichtlich bei 40%. Auch W20-Systeme sind letztlich oft im Kern Prozentsysteme, nur mit einer Granulierung von fünf Prozent. Zwanzig mal fünf ist nämlich einhundert, sodass jede Zahl auf dem W20 einem Sprung um fünf Prozent entspricht.
Komplizierter wird es bei Systemen, die verschiedene Würfeltypen kombinieren, Summenrechnungen machen oder Schwellwerterfolge zählen. Auch dahinter steckt aber nichts anderes als Mathematik, auch wenn sie beispielsweise im Falle der bei DSA verwendeten 3w20-Probe mit Talentwertkompensation und Überschussauswertung kaum noch von irgendjemandem richtig eingeschätzt werden kann. Statistik und Mathematik ist es nichtsdestotrotz.
Simulation als Statistik
Simulation im Rollenspiel ist daher oft nichts anderes, als die Annahme einer Wahrscheinlichkeitseinschätzung mithilfe der Regeln zu überprüfen. Oder kurz: Die Spielleitung oder die Autoren eines Rollenspielbuchs bestimmen eine Wahrscheinlichkeit und würfeln dann nach irgendeinem System, um zu überprüfen, ob diese Wahrscheinlichkeit eintritt und im Spiel real wird.
In diesem Artikel geht es um diesen spezifischen, regelmechanischen Aspekt von Simulationstechniken im Rollenspiel. Es geht nicht um kreative Agenda, im Sinne des sogenannten „Big Models“, und auch nicht um das Streben nach sinnvollen Zusammenhängen und logischen Strukturen im Weltenbau.
Über das Thema der regelmechanischen Simulation lässt sich natürlich vortrefflich streiten. Das war bereits der Fall, als ich in den 90ern mit Rollenspielen anfing, und daran hat sich seitdem auch nicht viel geändert. Dieser Artikel ist daher auch nicht als Versuch zu verstehen, eine Definitionshoheit zu erringen. Es ist schlicht eine Meinungsposition unter vielen, der man sich genauso anschließen kann, wie man sie verwerfen oder kontrastieren könnte.
Grundlegende Definition
Um dieses Thema angemessen diskutieren zu können, muss zunächst geklärt werden, wovon denn überhaupt die Rede ist. Mit Simulation ist hier die Erzeugung eines mathematischen oder zumindest eines pseudomathematischen Modells gemeint. Eine Art Rechenmaschine, in die Wahrscheinlichkeiten eingespeist werden und die mithilfe von mehr oder minder komplexen Spielregeln Ergebnisse ausspuckt. Darunter fallen daher genauso komplizierte Kampfregeln wie auch einfache Begegnungs- und Reaktionstabellen.
Ich beginne mit einer Abwägung von Vor- und Nachteilen dieser Simulationswerkzeuge.
Vorteile der Simulation
Das Gute an der regelmechanischen Simulation ist die Unberechenbarkeit. Das gilt sowohl für die Spielenden als auch für die Spielleitung. Sofern die Spielleitung sich an die gesetzten Regeln hält, produziert die Nutzung simulationistischer Elemente unerwartete Situationen oder zumindest Variationen des Erwarteten.
Überraschungen
Es kann zu Ereignissen kommen, die absichtlich niemandem in den Sinn gekommen wären. Wenn Darth Vader auf Bespin überraschend aus dem Schatten tritt und Luke Skywalker mit dem Lichtschwert angreift, käme niemand auf die Idee, dass er dabei unglücklich stolpert, mit dem Kopf an eine Rohrleitung stößt, sein Schwert dabei versehentlich fallen lässt und vor Luke zu Boden geht. Im Rahmen einer Simulation kann so etwas aber womöglich passieren. Es gibt Rollenspielende, die das als eine Bereicherung betrachten und Situationen wie diese sogar besonders schätzen.
Einzigartigkeit
Es erschafft etwas Einzigartiges, wie es eben nur im Rollenspiel zustande kommen kann. In keinem Film gibt es solche bedeutenden Zufälle, da die Regie dann „CUT!“ ruft und die Szene noch einmal dreht. Bücher sind sogar noch kontrollierter. Einzigartigkeit ist großartig, denn sie verankert Ereignisse sehr stark im Gedächtnis und fördert ein gemeinsames Gefühl von Erfolg und Misserfolg. Es macht irgendeinen Konflikt, irgendeinen Kampf, zu dem Konflikt, dem Kampf.
Abwechslung
Simulation sorgt fast immer für Abwechslung und Unberechenbarkeit, und das kann etwas Gutes sein. Selbst die kreativste Spielleitung hat nicht endlos viele Ideen. Obendrein sind Menschen berechenbar. Sie haben verräterische Verhaltensweisen, Muster, Gewohnheiten. Eine berechenbare Spielleitung reduziert den Reiz von Spielrunden, die auf (taktischen) Herausforderungen aufbauen, da die Spielleitung irgendwann eben anfängt Muster zu entwickeln – wie ein Gegner beim Pokerspiel. Ich hatte beispielsweise mal einen Spielleiter, bei dem alle Gegner immer flohen, sobald der zweite von ihnen im Kampf fiel. Das haben wir bemerkt und haben daher in Zukunft mit einer Alpha-Strike-Taktik gekämpft. Stets darauf abzielend, möglichst schnell zwei Gegner zu Fall zu bringen und dabei notfalls alle anderen zu ignorieren.
Damit haben wir zwar einen strategischen Sieg errungen, aber nicht über unsere Gegner im Spiel, sondern über den „Gegner“ hinter dem Spielleiterschirm. Gute Simulation, also die konsequente Anwendung tauglicher Regeln, reduziert dieses Risiko und sorgt für mehr Abwechslung. Manche Gegner fliehen nun schneller, andere kämpfen bis zum Ende, um nur ein Beispiel zu nennen.
Glaubwürdigkeit
Das Bestreben, Abläufe und Zusammenhänge durch Mathematik zu simulieren, zielt oft darauf ab, die Glaubwürdigkeit zu steigern und die Komplexität des Erlebten zu erhöhen. Diese Intention bleibt auch dann erhalten, wenn die Simulation scheitern sollte, und ist für sich allein eine gute Sache. Glaubwürdigkeit wird in Diskussionen oft mit Realismus verwechselt, aber das eine hat mit dem anderen nur bedingt etwas zu tun. Dinge können glaubwürdig sein, zugleich aber vollkommen unrealistisch. Die Schlacht um den Todesstern bei Star Wars wirkt glaubwürdig und überzeugend, ist aber alles andere als realistisch.
Simulationistische Techniken und Elemente haben den Vorteil, dass sie eine Steigerung der Glaubwürdigkeit quasi als Nebenprodukt erzeugen, einfach nur dadurch, dass der Erzeuger des Systems komplexer denkt, als einfach nur im Moment willkürlich zu entscheiden. Die Bereitschaft, Zusammenhänge herzustellen und Dinge zu vernetzen, fügt Facetten zu einem großen Ganzen zusammen.
Nachteile der Simulation
Wenn ein Maler blaues Wasser in sein Bild pinseln will, aber überraschend Neongrün aus der Tube kommt, dann ist offenbar etwas in der Fabrik falsch gelaufen. Die meisten Maler werden sich über diese abwechslungsreiche Überraschung vermutlich nicht besonders freuen. Nur die Künstler aus der Gruppe der Genies und der Wahnsinnigen werden mit den Schultern zucken, einfach stattdessen mit Neongrün malen und gucken, wohin sie das führt.
Simulation enttäuscht Erwartungen
Kein Zufallsalgorithmus liefert uns jemals das, was wir uns wünschen. Er mag nach einer vorhersehbaren Wahrscheinlichkeitsverteilung arbeiten, aber selbst wenn die Chancen tausendmal A zu einmal B stehen, kann Fall B eintreten. Wenn man genau dieses Ergebnis erhofft hat, großartig! Der Freudentaumel wird bestimmt groß sein. Anders sieht es aber aus, wenn man sich darauf verlassen hat, dass es ganz sicher A sein wird. Das ist vor allem dann ein Problem, wenn die Simulation fehlerhaft oder vorurteilsbehaftet ist.
Schlechte Simulation verzerrt die Ergebnisse
Ein W20-System, bei dem eine 1 einem kritischen Fehlschlag entspricht und eine 20 einem kritischen Erfolg, jeweils mit besonders dramatischen Konsequenzen, bildet ganz offensichtlich nicht die Wirklichkeit ab. Ein Fußballspieler kann hundertmal den Ball kicken, ohne das Tor des Jahres zu schießen. Überhaupt gibt es real eigentlich keine Tätigkeiten, bei denen wir eine 5%-Chance auf grandioses Gelingen und eine ebenso große Chance für gleichermaßen drastisches Scheitern beobachten würden.
Besonders deutlich merkt man das bei Zufallstabellen, wie sie bei sehr alten Rollenspielen große Beliebtheit genossen und im Zuge der sogenannten Old School Renaissance wieder verstärkt aufgekommen sind. Wenn ich einen W100 werfe und die Chance, einem fünfköpfigen Drachen zu begegnen, lediglich 1 beträgt, ist sie vermutlich noch immer viel zu groß, um plausibel zu erscheinen. Der durchschnittliche Mensch trifft schließlich, statistisch betrachtet, nicht alle 3,65 Tage auf einen fünfköpfigen Drachen. Müsste er aber, wenn man für jeden Menschen, jeden Tag einen Wurf auf Zufallsbegegnungen machen würde. Die Biester wären eine regelrechte Landplage. Hier müssten nun wieder Regeln her, die klären, wann und wie oft gewürfelt wird! Das wird dann schnell sehr kompliziert.
Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast
Dieses Zitat wird Winston Churchill zugeschrieben… allerdings auch Joseph Goebbels und stammt vermutlich von keinem von beiden! So oder so, die Aussage weist auf ein interessantes Problem hin, wenn nicht sogar auf das größte Problem der Simulation überhaupt: Der Schirmherr der Simulation hat unglaubliche Macht, zu manipulieren.
Wenn ich als Spielleiter auf eine Tabelle würfle, die ich selbst erstellt habe, dann habe ich bereits bei der Erstellung die Wahrscheinlichkeiten beeinflusst. Es ist schließlich kein statistisches Mittel und auch kein Naturgesetz, dass bei einer 100 auf W100 ein fünfköpfiger Drache erscheint. Sobald ich danach auswürfle, wie er auf die Charaktere reagiert, stellt sich bereits die Frage, ob ich „überhaupt nicht“ mit auf die Liste gesetzt oder es ausgelassen habe.
Die Lüge der Objektivität
Der Anspruch von Objektivität ist es, der jeder Simulation einen Beigeschmack gibt. Wenn man sagt: „Ich habe das mal ausgewürfelt“, dann verschweigt man dabei oft, darzulegen oder sogar sich selbst bewusst zu machen, wie man den Wurf manipuliert hat. Nicht durch Würfeldrehen, nein. Durch die Auswahl der möglichen Ergebnisse.
Angenommen, ich kaufe 10 verschiedene Dosensuppen für unser Wochenende auf der Berghütte. Ich kann dann auswürfeln, in welcher Reihenfolge wir die essen, aber ich habe ja bereits entschieden, dass es Dosensuppen gibt, und ich habe auch ausgesucht, welche Dosensuppen überhaupt zur Auswahl stehen. Wenn du jetzt gefriergetrocknetes Curry willst, kannst du würfeln, so viel du magst. Jeder Wurf ergibt dennoch Dosensuppe.
Simulation tendiert zum langweiligen Mittelmaß
Wenn die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen in einem simulationistischen System erfasst wird und wenn bei dieser Erfassung der Versuch unternommen wird, objektive Kriterien anzusetzen, dann produziert das System im statistischen Mittel nichts als Langeweile. Das ist zwingend der Fall, da ein langweiliges und unspektakuläres Ergebnis entweder am wahrscheinlichsten ist oder aber das System sich selbst als parteiisch entlarvt und den objektiven Anspruch verliert, der es erst so attraktiv gemacht hat.
Das gilt auch für die Simulation ohne festgelegte Mechanismen. Wenn ein Spieler mich fragt, ob es vor Ort ein Fachgeschäft für Hanggleiter gibt, dann kann ich eine Münze werfen. Das ist eine Form von Simulation und stellt die Behauptung auf, dass die Chance auf Hanggleiterfachgeschäfte bei 50% läge. Alternativ fange ich als Spielleiter an zu überlegen. Wie wahrscheinlich ist es, dass es ein Hanggleiterfachgeschäft gibt? Ist Hanggleiterfliegen in dieser Gegend ein häufiger Sport? Wird dieses spezifische Angebot eventuell von größeren Sportfachgeschäften mit abgedeckt? Wie auch immer ich hier entscheide, nichts davon dreht sich darum, ob es spannend, cool oder interessant wäre. Würfel-Simulation kann das nicht, weil das nicht ihre Aufgabe ist.
Ich kann nur simulieren, was ich auch verstehe
Wenn ich keine Ahnung habe, wie etwas richtig einzuschätzen ist, kann auch meine Simulation nicht funktionieren. Bei vielen Rollenspielsystemen dringt dieses Problem bis in die DNS der Regeln selbst. Wenn ein Regeldesigner nicht einmal die allerleiseste Vorstellung davon hat, wie ein Kampf mit Blankwaffen aussieht oder aussehen könnte, dann kann er ihn auch nicht simulieren. Und wenn ein Autor glaubt, dass die Kampftechnik von Theaterschauspielern in irgendeiner Weise repräsentativ wäre, dann kommt dabei am Ende ein sehr verschrobenes System heraus. Dieses System simuliert dann aber keinen Kampf, sondern bestenfalls die Dynamik eines Bühnenkampfes. Schlimmstenfalls vergeudet es nur Zeit, was übrigens bei allen Simulationssystemen passieren kann.
Simulation macht Spaß!
Dies ist ein Aspekt, den ich nicht bei den Vorteilen listen wollte, den ich aber dennoch wichtig finde. Fiktive Abläufe zu simulieren, kann ungemein viel Spaß machen. Sogar dann, wenn man keine Ahnung hat, was man tut, mit fehlerhaften und sogar manipulierten Systemen arbeitet und krude Ergebnisse dabei herauskommen. Teile der Simulation kann man nämlich für sich selbst spielen, auch als Spielleitung. Manch einer könnte hier von fantastischer Masturbation sprechen, und völlig falsch ist das auch nicht.
Vielen Spielleitern macht es mehr Spaß, Dinge auszuwürfeln, als sie einfach gradlinig zu entscheiden. Ist das sinnvoll? Ja, nein, vielleicht. Aber es schadet nicht wirklich, solange man die Simulation nicht guten Ideen überordnet und solange man nicht der Illusion verfällt, damit irgendetwas tatsächlich Objektives erschaffen zu haben.
Interaktionsdiagramme
Eine besondere Form von Simulation, gerade auch im Rollenspiel, sind Flussdiagramme, mit denen die Interaktionen verschiedener Kräfte und Fraktionen dargestellt und überwacht werden. Man kann sie auch als Interaktionssysteme oder -maschinen bezeichnen. Eine solche Simulation macht Zusammenhänge übersichtlich und ermöglicht es, Einflüsse zu verfolgen.
Am besten kann man das Konzept mit einem Beispiel erklären: Lord Manning ist reich und hat Kapital, in dieser Simulation quantifiziert mit dem Wert von 10 Punkten. Lord Manning ist ein Freund von Sir Reginald und ein Investor in dessen Handelsunternehmen. In einem Diagramm können wir nun das Verhältnis der beiden zueinander erfassen sowie den Fluss von Ressourcen von Lord Mannings Kapital zum Kapital der Handelsgesellschaft seines Freundes Sir Reginald. Diese Handelsgesellschaft hat verschiedene Einkommensquellen, und sie hat eine ebenso quantifizierte Liste an Ausgaben. Egal wie viel sie einnimmt und ausgibt, Lord Manning steckt 6 Einheiten von seinen 10 Einheiten Kapital hinein.
Wenn nun, im Zuge der Geschichte, die Freundschaft zwischen Sir Reginald und Lord Manning beeinträchtigt wird, sinkt eventuell die finanzielle Zuwendung von Manning zu Reginald. Über das Diagramm, das durch die Veränderung von Zuständen als Simulationsmaschine fungiert, kann die Spielleitung diese Veränderung nachverfolgen und quantifizieren. Sir Reginald verliert nun bis zu 6 Punkte Kapital, wohingegen Lord Manning dieses Kapital auf einmal anderweitig investieren kann. Zum Beispiel in das Unternehmen von Sir Reginalds Konkurrenten, dem verschlagenen Count van Griet. Der kann sonst eigentlich nicht mit Sir Reginalds und Mannings gebündelter Kapitalkraft mithalten. Nun jedoch…
Interaktionsdiagramme helfen bei Sandbox-Spielen den Überblick zu behalten
Gerade beim Sandbox-Rollenspiel mit einem Fokus auf Wirtschaft und/oder Intrige sind solche Interaktionsdiagramme und die damit verbundene Simulation mitunter nützlich. Sie helfen obendrein nicht nur dabei, der Spielleitung die Verwaltung zu erleichtern. Sie sorgen auch für mehr Fairness und Berechenbarkeit, da sie die Spielleitung an Zusammenhänge und deren Konsequenzen erinnern und gewissermaßen ketten. Spieler können so, im Rahmen des Spiels, taktisch und strategisch handeln und Erfolge erringen, die sonst nur auf willkürlicher Basis möglich wären. Es entsteht eine emergente Spieldynamik. Neues Drama und neue Interaktionen, Aktionen und Reaktionen entstehen in dem System, aus sich selbst heraus.
Das Spiel entwickelt sich auf unvorhersehbare Arten im Verlaufe seiner selbst, eingeschränkt vor allem durch die Kurz- oder Weitsichtigkeit der Spielleitung, dem System die nötige Komplexität mitzugeben. Diese kann im Verlauf des Spiels nachgerüstet werden, aber je mehr Schaltstellen man im laufenden Betrieb hinzufügt, desto willkürlicher wird das System. Es entlarvt letztlich seine eigene Unzulänglichkeit. Spielleiter, die mit solchen Systemen arbeiten, lernen allerdings aus ihren Fehlern und können mit der Zeit immer zuverlässigere Interaktionsmaschinen für ihre Kampagnen entwerfen. Vorausgesetzt, sie und ihre Gruppe mögen diese Art, zu spielen.
Tipps für bessere Simulation
Was auch immer du mit Würfeln simulierst, egal ob es spontan ist oder ob du zehn Seiten mit kaskadierenden Tabellen füllst: Vergiss nicht, dass Rollenspiel spannend sein soll und Spaß machen sollte!
Fülle deine Tabellen nur mit spannenden Optionen
Wenn du Zufallstabellen erstellst – immerhin eine der verbreitetsten Formen simulationistischer Werkzeuge im Rollenspiel neben den Regeln selbst –, achte darauf, sie nur mit interessanten Optionen zu füllen!
Statt langweiliges Mittelmaß in deine Simulation einzubauen, streich sie einfach. Du verlierst den Anspruch der Objektivität, aber der ist ja ohnehin nur eine Illusion. Statt das Mittelmaß in die Simulation zu integrieren, simuliere einfach nur dann, wenn etwas Spannendes passiert. Würfle nicht, ob die Gruppe eine spannende Begegnung mit einem zufälligen Problem/Gegner/Monster hat. Würfle, mit welchem spannenden Problem/Gegner/Monster sie es zu tun bekommt. So hast du das Chaos-Element, das für Abwechslung sorgen soll. Du vermeidest aber, dich selbst völlig zu übertölpeln oder Zeit mit langweiligem Krempel zu vergeuden.
Simuliere, was passiert, nicht, ob etwas passiert
Ich habe mal vor Urzeiten irgendein DSA-Abenteuer als Spieler gespielt. Da gab es einen Abschnitt, der voll war mit Zufallsbegegnungen und Zufallsereignissen. Das erfuhren wir aber erst hinterher, denn bei uns passierte… nichts! Absolut nichts. Es war stinklangweilig. Der Spielleiter (bzw. der „Meister des Schwarzen Auges“) meinte damals dann, allen Ernstes, dass ihm das total leidtun würde, aber die Würfelergebnisse seien nun mal so und so. Außerdem habe er das auch schon mit einer anderen Gruppe gespielt, und bei der sei das super spannend gewesen, weil da ganz viel passiert sei. Andere Leute hatten also viel Spaß mit dem Abenteuer, aber wir hatten Würfelpech? Na danke auch!
Wenn du nur würfelst, was passiert, statt zu würfeln, ob etwas passiert, hast du dieses Problem nicht. Schließlich ist „nichts Spannendes passiert“ ja nicht das, weshalb sich Rollenspieler zusammensetzen.
Mach dich schlau
Wenn du Dinge simulieren willst, mach dich schlau darüber! Lies ein Buch oder zwei. Google einige Hintergründe. Je mehr du weißt, desto besser kannst du Abläufe und Wahrscheinlichkeiten simulieren. Mit Würfeln, mit Münzen und auch frei in deinem Kopf. Für einen Spielleiter gibt es kein nutzloses Wissen. Ausnahmslos alles, was du lernst, egal über was, wird dir irgendwann einmal zu irgendwas nützen.
Drehe nicht die Würfel, wenn du simulierst
Die Frage mit dem Würfeldrehen ist so alt, wie sie schwierig ist. Ich persönlich respektiere Regeln nicht besonders, weil die meisten Systeme mir zu sehr von Fehlern, Ungenauigkeiten, Unsinnigkeiten und Ungereimtheiten durchzogen sind. Das ist aber eine Frage der Betrachtung und des Geschmacks. Ich muss mich nicht an fremde Regeln halten und mache stattdessen meine eigenen. Diesen Luxus hat nicht jeder.
Halte dich an deine eigenen Regeln
Verwendet man aber Simulationsmechanismen, beispielsweise Zufallstabellen, dann sollte man sich auch an das Ergebnis halten. Tut man das nicht, führt man das ganze Konzept ad absurdum und betrügt sich nur selbst. Wenn man einfach so lange würfelt, bis das gewünschte Ergebnis zustande kommt, kann man auch einfach direkt entscheiden und sich den Umweg sparen.
Sobald du häufiger bei so was die Würfel manipulierst, denk einmal nach, weshalb du das tust. Wenn du es tust, weil du ein bestimmtes Ergebnis willst, nimm dir den Mut zusammen, in Zukunft einfach zu entscheiden, statt zu würfeln. Daran ist nichts Verwerfliches. Tust du es aber, weil die Simulation unsinnige Ergebnisse produziert und du so lange würfeln musst, bis eines der nicht nutzlosen herauskommt, wirf das System über den Haufen und finde eines, das funktioniert. Zumindest dieser Teilaspekt davon.
Wenn eine Tabelle nicht funktioniert, mach eine neue. Und wenn ein Regelsystem für dich nicht funktioniert, such dir lieber eines, das es tut. Das spart dir am Ende eine Menge Zeit und Stress.
Zusammenfassung
Würfeln wir im Rollenspiel etwas aus, dann enthält das eine simulationistische und eine gamistische Komponente. Der Würfelwurf versucht im Allgemeinen eine vorher festgelegte Wahrscheinlichkeit zu überprüfen („Simulation), während das „Glücksspiel-Element“ die spielerische Spannung erzeugt. („Klappt’s oder klappt’s nicht?“)
Simulation ist hier also ein mathematisches oder pseudomathematisches Modell. Man gibt ein, welche Wahrscheinlichkeiten man erwartet, und dann wird gewürfelt. In den meisten Fällen haben die Autoren des Rollenspiels das Festlegen der Wahrscheinlichkeiten bereits erledigt, sodass man nur noch würfeln muss.
Simulation durch Würfeln hat einige Vor- und Nachteile. Ein Vorteil ist die Unberechenbarkeit. Das gilt sowohl für die Spielenden als auch für die Spielleitung. Sofern die Spielleitung sich an die gesetzten Regeln hält, produziert die Nutzung der Regeln unerwartete Situationen oder zumindest Variationen des Erwarteten. Oftmals sind diese Situationen auch einzigartig, da sie anders sind, als sie die Spieler am Tisch „entschieden‘“ hätten.
Ein wichtiger Nachteil wiederum ist, dass Simulation durch Regeln Erwartungen enttäuschen kann, wenn „absurde“ Situationen eintreten oder erwünschte Situationen durch unwahrscheinliche Ergebnisse zunichtegemacht werden – für einige Spieler ist das allerdings Teil des Reizes!
Zudem hängt die Simulation sehr stark an der Qualität der zugrunde gelegten Mathematik und der praktischen Umsetzbarkeit der Regeln im Spiel. Schleichen sich hier Fehler ein, dann schlägt das System ins Gegenteil um.
Die vermeintliche Objektivität der Würfel ist ebenfalls ein Punkt, auf den du achtgeben solltest. Nur weil etwas gewürfelt wurde, ist es noch lange nicht richtig oder gut. Nur wenn du verstehst, was die Würfel abbilden, und du dich an die selbst gesetzten Regeln hältst, haben die Würfel einen Wert. Passt dir etwas nicht, dann würfle nicht, sondern entscheide, wenn es dem Spiel dienlich ist. Und wenn du erst würfelst und dann doch entscheidest, sei dir dessen bewusst und tue nicht so, als ob du nur gewürfelt hättest.
Spielst du gerne mit Tabellen und Würfeln, dann verzichte darauf, Langeweile als Option einzuplanen. Würfle nicht, ob etwas passiert, sondern was Spannendes passiert.
Vor allem: Wenn du mit Würfeln spielst, halte dich an deine eigenen Regeln. Bringen die Regeln nicht die Ergebnisse, mit denen du bzw. ihr Spaß habt, dann sind es die falschen Regeln, oder ihr solltet überlegen, in welchen Aspekten des Spiels ihr lieber stärker narrativ spielt und einfach Entscheidungen trefft, statt zu würfeln.
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