Mit fast 670‘000 Todesopfern war der Bürgerkrieg der USA zwischen den sezessierten Konföderierten Staaten und den verbliebenen Staaten der Union eine blutige Angelegenheit. In knapp 4 Jahren verstarben so über 2 % der Bevölkerung der USA.
Zu Beginn des Krieges gab es weder in den CSA (Confederated States of America) noch in den USA eine Wehrpflicht. Überhaupt war der Gedanke an eine Wehrpflicht dem amerikanischen Geist immer ein Gräuel gewesen. Schließlich war der Zwang an sich ja gerade etwas, das die europäischen Monarchien auszeichnete.
Zu Beginn des Krieges 1860 war es auch kein Problem, Freiwilligenregimenter und Milizregimenter aufzustellen. Zwei Jahre später sah das schon ganz anders aus. Die Südstaaten hatten 1862 nach herben Rückschlägen eine Wehrpflicht eingeführt, die allerdings alles andere als absolut war. Der Norden hatte im selben Jahr im Militia Act of 1862 schwarzen Soldaten den Eintritt in die Armee gestattet.
1863 war die Union Army mit der Aussicht konfrontiert, dass fast 130 Regimenter, welche in den Jahren zuvor aufgestellt worden waren, im Begriff waren, nach Hause zu gehen. Die Wirtschaft war durch die industriellen Notwendigkeiten des Krieges am Boomen, und die Arbeitslosigkeit war entsprechend niedrig. Zudem hatten alle Männer, die aus patriotischen Gründen oder aufgrund von Abenteuerlust für die Armee zu gewinnen waren, ihr Kreuz schon in den vergangenen zwei Jahren gemacht. Zu guter Letzt war auch so langsam ein Bewusstsein entstanden, dass das Armeeleben alles andere als romantisch war. Kurzum, es waren kaum noch Rekruten zu finden.
Gegen den Willen der Demokraten erließ Lincolns Republikanische Partei mit ihrer Mehrheit im Kongress den „Enrollment Act“ von 1863. Das Kriegsministerium entsandte Beamte in die einzelnen Wahlbezirke der USA, wo sie alle männlichen Staatsbürger und Immigranten, welche die Staatsbürgerschaft beantragt hatten, im Alter von 20 bis 45 registrierten.
Auf Basis der so erfassten Personen wurde jedem Distrikt ein Kontingent an Personen zugewiesen, welches er für die Armee zu stellen hatte. Wenn nicht genug Freiwillige gefunden werden konnten, wurde gelost. Wen das Los traf, der wurde einbestellt. Man könnte jetzt annehmen, dass derjenige, der per Los ausgesucht wurde, auch tatsächlich den Dienst an der Waffe antrat – das war allerdings die unwahrscheinlichste Option!
In den vier Wehrpflicht-Lotterien wurden insgesamt 776‘000 Personen ausgelost. Davon erschienen schon einmal 161‘000 einfach nicht. Sie gingen nach Kanada oder verschwanden in den Weiten Amerikas. 65‘000 hatten Glück, denn ihre Distrikte hatten ihre Quote bereits erfüllt. Weitere 313‘000 wurden nach Hause geschickt, weil sie psychisch oder physisch nicht in der Lage waren, zu dienen, oder weil sie Kinder, Witwen oder Eltern unterstützen mussten.
All das war allerdings nicht der Grund, warum der Wehrdienst für böses Blut sorgte.
Von den verbleibenden 207‘000 Personen, die ihren Dienst hätten antreten müssen, dienten am Ende nur 46‘000 in der Union Army. 87‘000 bezahlten 300 Dollar, um sich freizukaufen (Commutation), und 74‘000 heuerten einen Ersatz an, der an ihrer Stelle kämpfte. Die meisten dieser Ersatzsoldaten waren junge Burschen von 18 oder 19 Jahren, oftmals auch aus Einwandererfamilien.
Das System trieb allerdings seltsame Blüten. Zum einen waren viele der Beamten bestechlich, und zum anderen trauten sie sich in einige Bezirke schlicht nicht hinein. Die Kohleminen von Pennsylvania oder einige Bezirke von New York waren kein sicheres Pflaster für die Rekrutierer des Kriegsministeriums.
Außerdem wurde lautstark beklagt, dass das System der Ersatzzahlung oder des Stellvertreterkaufs den Krieg zu einem „Krieg der armen Leute“ machen würde. Die öffentliche Wahrnehmung war hier strikt einseitig. In der Realität wurden beide Möglichkeiten von einfachen Leuten wie von Fachkräften gleichermaßen genutzt. Vielerorts übernahmen auch die Arbeitgeber oder Vereine die Kosten für den Wehrpflichtersatz.
Viele Gemeinden versuchten die Wehrpflicht auch, so gut es ging, zu vermeiden, indem sie Bonuszahlungen auslobten, um Freiwillige zu gewinnen. Die Bundesregierung tat das Gleiche, und so gab es Leute, die gleich 3 verschiedene Boni von insgesamt mehr als 1000 Dollar kassierten. Gewiefte Geschäftsleute nutzten das System aus, indem sie die besten Bonuskombinationen zusammenstellten – für einen Anteil. Andere vermittelten Stellvertreter. Vielerorts wurde Schindluder getrieben, und mehr als nur ein Soldat ließ sich anheuern, nur um sofort zu desertieren und sich andernorts unter falschem Namen erneut anheuern zu lassen.
Dieses Wehrpflichtsystem war eigentlich darauf ausgelegt, dass neue Freiwillige in die Armee gedrängt wurden. Auf die eine oder andere Art und Weise gelang das auch, und fast 750‘000 Soldaten wurden so aufgetrieben. Leider waren viele von ihnen nicht wirklich taugliche Kämpfer, und die Hauptlast des Krieges wurde von den Veteranen der ersten beiden Jahre getragen. Diese sahen in den Neuen den Abschaum der Slums und der Welt, Diebe, Verbrecher und anderes Gesindel.
Das diffuse Gefühl, dass die Reichen kampflos davonkamen, nutzten die Demokraten für ihre politischen Zwecke aus. Ihre demagogischen Hetzkampagnen gegen die Wehrpflicht führte zu den „Draft Riots“ in New York, wo im Juli 1863 die angespannte Stimmung in der armen, oftmals irischen, Bevölkerung überkochte. 4 Tage lang wütete der Mob. Schwarze wurden gelyncht und „reich aussehende Personen“ mussten als „300-Dollar-Männer“ um ihr Leben fürchten. Büros der Armee wurden angezündet und Geschäfte geplündert. Erst das Einschreiten der Streitkräfte sorgte für unruhigen Frieden. Die Stadtregierung entschied in der Folge, alle Ersatzzahlungen für die Stadtbevölkerung aus der Stadtkasse zu tragen.
„Geschichtskrümel“ ist eine wöchentlich erscheinende Serie aus Kurzartikeln. Die Geschichtskrümel drehen sich um historische Ereignisse oder Themen, über die ich in meinem Alltag stolpere. Sie sind manchmal lehrreich, manchmal skurril und manchmal einfach nur lustig.
Quelle: McPherson, James: Battle Cry of Freedom. The Civil War Era. Oxford University Press: New York 2003 (1988), S. 600–610, 619, 854.
Bild: Public Domain, Wikipedia.