Jeder Rollenspieler hat das Wort „Kampagne“ schon einmal gehört oder benutzt. Die Definition davon ist allerdings wie eine geölte Sau: ziemlich schwer zu fassen. Das liegt daran, dass Rollenspiel eine große Bandbreite der Spielstile hat. Es gibt nur wenige echte Leitmeinungen, auf die man sich beziehen könnte.
Wenn ich beispielsweise alle Dinge aufzählen müsste, in denen sich (fast) alle Rollenspieler einig sind, dann wäre die Liste sehr kurz. Vielleicht so: Man spielt einen Charakter, und es werden Würfel benutzt, um Proben abzulegen. Allerdings höre ich bereits jetzt – zu Recht – die ersten Leser ihr „aber!“ einwerfen.
Wir sprechen in unserem Blog sehr oft über „Kampagnen“. Damit jeder versteht, was wir damit meinen, schreibe ich diesen Artikel. Aus dem Kontrast ist es einfacher zu verstehen, dass vermeintlich „klare“ Worte doch nicht immer so klar sind. Etwas, was vermeintlich eindeutig ist, erweist sich auf den zweiten Blick als vielschichtiger, als man denkt.
Kampagne – ein Definitionsversuch
Es ist klar, dass keine Definition wirklich alles umfassen kann. Spielwelt, Spielstil und gespieltes System können sich immer unterscheiden. Deshalb halte ich die Definition über die Struktur der Kampagne für am sinnvollsten. Folgende Definition ist das, was wir in unserer Spielgruppe eine Kampagne nennen:
„Eine Kampagne ist eine Aneinanderreihung mehrerer Handlungsstränge zu einer übergreifenden Geschichte.“
Diese Definition lässt direkt mehrere Fragen offen: Dürfen die Spielercharaktere ausgewechselt werden oder müssen sie von Anfang bis Ende die gleichen sein? Können Spieler dazukommen? Dürfen die Charaktere sterben? Was ist mit Kampagnen, die gar keine übergreifende Geschichte verfolgen, aber dennoch dieselben Charaktere auf aufeinanderfolgende Abenteuer schickt?
Darum möchte ich die Definition ausweiten, um eine allgemeingültige Definition zu finden, die in den meisten Fällen zutrifft:
„Eine Kampagne ist eine Aneinanderreihung von Ereignissen, welche Teil einer permanenten Spielwelt sind.“
Praktischerweise passt die erste Definition problemlos in die zweite! Die Unterschiede verschiedener Kampagnentypen ergeben sich vor allem aus den Implikationen von Spielstil und Erzählweise – nicht nur aus der Strukturdefinition. Da der Spielstil einer Gruppe zwingend subjektiv und damit individuell ist, kann er in Diskussionen eigentlich gar nicht debattiert werden. Das gilt besonders für Online-Foren. Dort müsste man eigentlich in jeder Diskussion erst einmal erklären, was genau man eigentlich meint. Hierbei helfen Referenzen wie dieser Artikel hier, auf die man sich dann beziehen kann.
Darum möchte ich zwei Begriffe anbieten, die nützlich sein könnten, um das Konzept der Kampagne innerhalb von Diskussionen klarer einzugrenzen. Zum einen wäre da die Episodische Kampagne und zum anderen das Kampagnenepos. Die Episodische Kampagne lebt von der Permanenz ihrer Spielwelt, dem Fokus auf hands-on-action und der Einfachheit der Struktur. Das Kampagnenepos hingegen definiert sich über seine übergreifende Geschichte und seine starke Bindung zu den Charakteren und dem Setting. Charaktere und Setting sind beide Träger und Ursprung der Geschichte. Meines Wissens ist die Episodische Kampagne der verbreitetere der beiden Typen.
Die Episodische Kampagne
Das wichtigste Element einer Episodischen Kampagne steckt ja schon im Namen: Sie wird durch Episoden strukturiert. Diese funktionieren ähnlich wie die Folgen von älteren Fernsehserien. Captain Picard kommt zu einem Planeten, löst das Problem und fliegt wieder davon.
Zum Anfang der Episode wird das Gleichgewicht der Charaktere gestört, aber zum Ende hin im Großen und Ganzen wieder hergestellt. Die Handlung des einzelnen Abenteuers und die Action stehen bei der Episodischen Kampagne im Vordergrund.
Die Charaktere verändern sich während und zwischen den Episoden nur in einem begrenzten Umfang. Der Magier ist am Anfang der Magier, und er ist es auch am Ende. Der Ritter bleibt der Ritter. Selten einmal hat ein Abenteuer einschneidende Auswirkungen auf die Einstellung zur Welt oder verändert den Charakter drastisch.
Die Episodische Kampagne kann im Prinzip unendlich lange fortgeführt werden. Jeder Abschnitt bildet für sich genommen einen abgeschlossenen Handlungsstrang. Dieser verändert die Spielwelt als Gesamtes nur begrenzt oder sogar gar nicht.
Episodische Kampagnen haben den Vorteil, dass die Zusammensetzung der Spielgruppe sich problemlos verändern kann. Jede neue Episode bietet die Gelegenheit, einen neuen Charakter einzufügen oder einen Charakter auszubauen. Die Zeit zwischen den Episoden kann nach Belieben mit Zusammenfassung gefüllt werden. Das erlaubt es den Spielern beispielsweise, Solo-Geschichten für ihre Charaktere zu erdenken oder Zeit in der Heimat zu verbringen. Da die Welt mehr oder minder ewig ist, können beliebig viele Abenteuer und Episoden innerhalb einer Kampagne gespielt werden.
Ein Nachteil von Episodischen Kampagnen ist, dass der Handlungsstrang jeder Episode neu etabliert werden muss. Nichtspieler-Charaktere müssen eingeführt werden, die Motivation aller Akteure muss geklärt und das Setting des Abenteuers will beschrieben sein. Das erfordert immer den vollen erzählerischen Aufwand. Zudem ist es schwerer, auf bereits vorhandene Bindung und Begeisterung zurückzugreifen. Meist reichen allerdings recht oberflächliche Einführungen, da sie ja nur für eine Episode Bestand haben müssen. Dazu können auch Archetypen und Klischees herangezogen werden.
Eine besondere Schwierigkeit der Episodischen Kampagne stellt das Einbinden der Spielercharaktere dar. Wenn die Abenteuer nicht an einem Ort spielen, der die Charaktere von selbst einbindet (beispielsweise ihre Heimat), dann muss jedes Mal ein neuer Grund gefunden werden, warum die Charaktere in die Bresche springen und sich in Gefahr begeben.
Klassische Abenteuerstarter wie „ihr werdet in einer Taverne angeheuert/der Johnson gibt euch Geld für einen Shadowrun“ haben kaum emotionale Bindungskraft. Das macht es dem Spielleiter schwerer, bestimmte erzählerische Stilmittel zu, wie zum Beispiel persönliche Konflikte. Diese geringere persönliche Einbindung der Charaktere kann jedoch gelegentlich kompensiert werden. Beispielsweise indem Verwandte eines Charakters involviert werden oder Besitztümer der Charaktere in Gefahr sind. Allerdings drehen sich viele Abenteuer in Episodischen Kampagnen um die Probleme Dritter (der lokale Baron/eine Gruppe Bauern/der Johnson etc.). Darum ist die Episodische Kampagne davon bedroht, irgendwann zu enden, weil die Themen ausgehen. Dann droht das Spielgeschehen oberflächlich und schal zu werden.
Ein Faktor, der für die Episodische Kampagne spricht, sind Kaufabenteuer. Die meisten Kaufabenteuer bauen nicht aufeinander auf und sind auf eine beliebige Charakterkonstellation ausgerichtet. Sie sind fast immer vollständig in sich abgeschlossene Geschichten. Darum bieten sie sich zwangsläufig an, als Episode gespielt zu werden.
Das Kampagnenepos
Das Herz des Kampagnenepos sind die Charaktere. Sie werden durch persönliche Bindungen, Entscheidungen und dramatische Konflikte in eine übergreifende Handlung hineingezogen. Diese Handlung kann einem klaren Erzählstrang folgen, das einer abgeschlossenen Geschichte mit Spannungskurve folgt. Die Handlung kann aber auch aus dem Setting heraus entstehen. Im Vordergrund steht das Navigieren von Schwierigkeiten auf dem Weg zu einem Ziel, welches die Charaktere meist direkt betrifft. Dieser Weg wird durch die Persönlichkeit und die inneren Konflikte der Charaktere erschwert. Diese Konflikte müssen sie dabei bewältigen, indem sie sich selbst oder ihre Umwelt verändern. In der Folge sind sie gezwungen sich innerhalb der Welt (neu) zu positionieren.
Meist geht es dabei darum, dass die Charaktere vor moralische Entscheidungen gestellt werden. Sie werden durch ihre Bindungen an andere Personen und durch ihre Ideale zu Entscheidungen gezwungen. Diese verändern sie selbst, ihre Umwelt und die Geschichte. Im Verlauf der Kampagnenepos transformieren sich die Charaktere innerlich und äußerlich. Natürlich muss die Transformation nicht zwingend zum Positiven hin verlaufen. Ein strahlender Streiter für das Recht kann auch fallen und am Ende als gehasster Verbrecher durch die Schatten schleichen. Auch ein Kreis ist möglich, wo ein fehlbarer Mensch oder jemand, der seinen Platz im Leben nicht schätzt oder versteht, sich durch die Geschichte selbst findet. In diesem Falle wäre die Veränderung, dass er sich selbst akzeptiert. Am Ende ist er wieder da, wo er anfing, jetzt aber mit einem anderen Blick auf sich und seine Umwelt. Klassischerweise werden die Charaktere aber vor ein Problem gestellt, das einem anhaltenden, tiefen inneren Dilemma entspringt. (Mehr dazu hier: link.)
Der größte Vorteil der Kampagnenepos ist sein hohes Maß an persönlicher Entfaltungsmöglichkeit. Dadurch, dass die Spielercharaktere den Kern der Kampagne ausmachen, können die Spieler mitfiebern. Sie können viele Gedanken in ihre Charaktere stecken, die direkte Auswirkung auf die Geschichte haben.
Anders als bei der Episodischen Kampagne ist es bei der Kampagnenepos sehr schwer, sie endlos fortzuführen. Die Geschichte benötigt ein gut etabliertes Setting mit Personen, die eine Bedeutung für die Spielercharaktere haben. Geschichten, welche keine persönliche Relevanz für die Charaktere haben, bieten wenig Potenzial für Konflikt. Sie befördern darum auch nicht die Transformation der Charaktere. Deshalb können neue Spielercharaktere auch nicht einfach so hinzutreten. Ihr Eintritt in die Geschichte muss vorbereitet sein und mit den anderen Charakteren verknüpft werden.
Es ist zwar möglich, regelmäßig den Ort zu wechseln, aber jedes Mal müssen dabei persönliche und emotional tragende Anknüpfungspunkte für die Charaktere geschaffen werden. Eine Möglichkeit, das Setting zu verändern, ist, das Spielfeld zu vergrößern, jedoch den ursprünglichen Kern zu erhalten. Irgendwann wird man dabei aber zwangsläufig an Grenzen stoßen. Nur schon, weil nicht jeder Aspekt eines Settings für die Spieler interessant sein muss. Jemand, der gerne eine Geschichte über einige lokale Politaktivisten spielen möchte, der will nicht unbedingt spielen, wie sie in Washington D.C. aktiv werden und Bundespolitik machen.
Der zweite Grund, warum das Kampagnenepos irgendwann enden muss, ist, dass Charaktere nur begrenzt wachsen können. Es ist durchaus möglich, mehrere Transformationen mit einem Charakter durchzumachen. Er kann sich emotional, in seiner Persönlichkeit und in seiner Haltung zur Welt mehrfach über den Verlauf mehrerer Geschichten verändern. Irgendwann werden ihn allerdings Versäumnisse des Spielers einholen. Auch das pure Maß an Chaos, welches jeder lang anhaltenden Rollenspiel-Kampage innewohnt, wird irgendwann Tribut verlangen.
Es ist darum völlig legitim, ein Kampagnenepos ohne abgeschlossene Handlung irgendwann mit einem künstlichen Höhepunkt zu versehen und zu beenden. Im Kern steht ja die Beschäftigung mit den Charakteren durch das Bewältigen von Konflikten innerhalb einzelner Handlungsbögen. Bei einer Kampagne mit einer fixen Handlung („Wir müssen unsere Väter retten“, „Wir werden nicht ruhen, bis wir Selenn Velear zur Strecke gebracht haben!“) ist das Ende natürlich absehbar.
Natürlich sind auch Mischformen möglich. Allerdings ist das Ziel hier nicht, verschiedene Spielstile zu diskutieren, sondern eine theoretische Definition für die Struktur einer Kampagne anzubieten. Sicherlich ist das hier auch nicht das Ende jeder Diskussion aber vielleicht hilft es euch ja, klarer zu verstehen, was ihr in eurer Kampagne spielen wollt und warum.
Zusammenfassung
Das Konzept der Rollenspiel-Kampagne ist zwar jedem Rollenspieler bekannt, aber es ist nur schwammig definiert. Darum biete ich meine eigene Definition an, die für unser Blog als Referenz dienen soll:
„Eine Kampagne ist eine Aneinanderreihung von Ereignissen, welche Teil einer permanenten Spielwelt sind.“
Da diese Definition sehr allgemein ist, unterscheide ich des Weiteren in zwei Typen von Kampagnen, die sich strukturell unterscheiden: die Episodische Kampagne und das Kampagnenepos.
Das Kampagnenepos definiert sich über seine übergreifende Geschichte und seine starke Bindung zu den Charakteren. Diese sind der Kern der Geschichte. Außerdem ist das Setting personalisiert, und daraus entspringen die Konflikte der Charaktere. Die Episodische Kampagne hingegen lebt von der Permanenz ihrer Spielwelt, dem Fokus auf hands-on-action und der Einfachheit der Struktur.