Weihnachten, das ist doch das Fest, an dem der Geburtstag von Jesus gefeiert wird, nicht wahr?
Nun… auch das! Aber eben nicht nur. Die Geschichte der „traditionellen Weihnacht“, wie sie vielen Leuten aus ihrer Kindheit in warmer Erinnerung geblieben ist, hat noch keine 200 Jahre auf dem Buckel. Weihnachtsbaum, singende Kinder, Geschenke unterm Tannengrün und die Christkind-Krippe sind recht neu, wenn man die lange Geschichte Europas betrachtet. Dabei wurde sich die Weihnacht international immer ähnlicher. Kein Wunder, dass sie 1914 für einen kurzen Moment drohte den Ersten Weltkrieg zu beenden.
Nicht aber die Festlichkeiten im Dezember. Die, die sind alt! Bereits im alten Rom wurde zu dieser Zeit gefeiert. Ebenso bei uns im Norden, in Deutschland und in Skandinavien. Die Weihnacht hat also keine einzelne Herkunft, sondern hat viele verschiedene vorchristliche Traditionen zu einem neuen Ganzen verschmolzen und sich die alten Feste zu eigen gemacht. Und das ist ja schon immer eine Stärke des Christentums gewesen: Es ist anpassungsfähig, es absorbiert und verbindet.
Das Winterfest, eine jahrtausendealte Tradition
Man könnte meinen, dass unsere Vorfahren mitten im Winter Besseres zu tun gehabt hätten, als ein großes Festmahl auf die Beine zu stellen. Sobald man sich aber vor Augen führt, wie die Leute gewohnt haben und welche Technologien ihnen zur Verfügung standen, ergibt das plötzlich Sinn. Vor allem aber sagt es etwas aus über die Beziehung der Menschen zu ihrer Umwelt.
Wir Europäer haben die Natur gezähmt und unsere Umwelt eingehegt. Von Unwettern und den schlimmsten Naturgewalten abgesehen, fürchtet kaum einer hierzulande noch Regen, Kälte, Schnee oder gar etwas so Triviales wie „Dunkelheit“. Schlimmstenfalls ärgern wir uns über die Strompreise und die Heizölkosten. Kaum jemand denkt noch darüber nach, was die Jahreszeiten eigentlich mit sich bringen. In den Städten sehen wir nachts nicht mehr die Sterne, und Smartphones gelten seit einer Weile als häufige Ursache von Einschlafproblemen. Kurz: Wir haben Wärme und Licht immer bei uns und können jederzeit mit jedem reden, wie es uns gefällt.
Unsere Vorfahren hingegen waren sich ihrer Umwelt sehr wohl bewusst. Die winterlichen Feierlichkeiten waren Teil eines Verständnisses von einem ewigen und anhaltenden Wechsel der Jahreszeiten und dem Respekt vor den Naturgewalten, denen man auf Gedeih und Verderb unterworfen war. Wenn also kurz vor dem Jahresende und dem Beginn der kältesten Monate ein Festmahl auf die Beine gestellt wurde, dann findet sich darin ein Verständnis dafür, dass irgendwann auch wieder der Frühling kommt.
Praktische und religiöse Gründe treffen aufeinander
Wer eine feuchte Wohnung hat, der achtet auf das Lüften oder beschwert sich bei seinem Vermieter. Vermutlich wird er aber nicht fürchten müssen, dass er die nächsten Monate hungert, weil ihm seine Vorräte verfaulen.
Kalte Keller hin oder her: Was im Sommer und im Herbst eingelagert wurde, konnte den feuchten Winter kaum gut überstehen. Was nicht ordentlich gesalzen, eingelegt oder anderweitig präserviert war, das musste weg.
Es war also eine gute Idee, sich noch einmal mit allem, was sowieso verderben würde, den Bauch vollzuschlagen. Das Extrafett auf den Rippen konnte eventuell sogar den Unterschied machen zwischen Tod und Leben. Gerade, wenn im tiefen Winter auch noch Krankheiten auftraten.
Gleichzeitig ging das alte Jahr zu Ende und das neue Jahr begann. Die dunkelste Jahreszeit, unfruchtbar und tödlich, stand bevor. Es bot sich also an, die göttlichen Mächte der Natur noch einmal freundlich zu stimmen. Irgendwann musste der Winter schließlich vorbeigehen und der lebensspendende Frühling den Schnee schmelzen.
Das Winterfest als Fruchtbarkeitsritus
Diese Idee des Fruchtbarkeitszyklus, der die Welt bestimmt, findet sich nicht nur in den römischen Festen wieder, sondern auch in der Julzeit der Stämme Nordeuropas. Leben und Tod lagen hier immer eng zusammen.
Das alte Jahr stirbt, das neue Jahr wird geboren. Die Pflanzen verwelken und erwachen im Frühling zu neuem Leben. Die immergrünen Weihnachtsdekorationen aus Tannenzweigen, die wir noch heute überall wiederfinden, sind Symbol genau dafür: Das Leben ist nicht gänzlich ausgelöscht, es wartet nur auf die wärmenden Strahlen der neuen Sonne.
Die römischen Feiertage: Saturnalia und der Geburtstag von Sol Invictus
Die alten Römer feierten im Dezember gleich mehrere Festtage. Zum einen die ausgelassenen Saturnalien ab dem 17. Dezember, die übergingen in die Festlichkeiten der Kalenden des ersten Monats des neuen Jahres im Januar, und zum Dritten den Geburtstag des römischen Sonnengottes Sol Invictus. Alle davon trugen etwas zur Geschichte des Weihnachtsfests bei.
Saturnalia: Geschenke und Mildtätigkeit
Die Saturnalien waren eine ausgelassene Sause. Es wurde gebechert, gegessen und gefeiert. Dieses Fest sollte Saturnus ehren, den Gott des Ackerbaus und Schutzherrn des „goldenen Zeitalters“ in grauer Vorzeit.
Während der Saturnalienzeit war Rom ein Hort der Fröhlichkeit. Gebäude wurden hell erleuchtet und mit immergrünen Pflanzen dekoriert. Festliche Prozessionen zogen durch die Stadt, und man tauschte Geschenke aus.
Auch die sozialen Erwartungen und Regeln waren während dieser Zeit der Ausgelassenheit aufgehoben. Ein schelmischer „Zeremonienmeister“ herrschte über die Gelage, und generell stand die Gesellschaft kopf. Die Herren tischten ihren Sklaven auf und bedienten sie, während Dinge, die sonst verboten waren, für diese Zeit plötzlich erlaubt waren. Glücksspiel war gestattet, obwohl sonst verboten. Männer gewandeten sich in krude Tierhäute oder verkleideten sich als Frauen, während Frauen als Männer auftraten.
Der Geburtstag von Sol Invictus
Mitten in der mehrwöchigen Narretei kam dann die Wintersonnenwende am 25. Dezember (so festgelegt von Julius Caesar). Und damit der Geburtstag von Sol Invictus, der unbesiegten Sonne. Dies war auch der höchste Feiertag des Mithraskults, eines einflussreichen Mysterienkults. Dieser geheimen Religion gehörten viele Offiziere und Geschäftsleute an, sodass der Mithraskult großen Einfluss ausübte.
Der Kult um Sol war darum auch einer der größten Konkurrenten des Christentums im Römischen Reich. Als die katholische Kirche dann irgendwann den Geburtstag von Jesus Christus festlegte, entschied sie sich vermutlich mit gutem Grund für den 25. Dezember. Damit belegte sie nicht nur einen bereits wichtigen Feiertag neu, sondern ermöglichte weiterhin das Feiern an diesem Tag, was verhinderte, dass die Kirche zu hart mit alten Traditionen brechen musste.
Die Julzeit
Derweil feierte man in den Wäldern des kalten Nordens – also auch hier bei uns in Deutschland und in Skandinavien – die Julzeit. Nicht weniger ausgelassen und ebenso satt und feuchtfröhlich wie in Rom begannen die dunklen Monate. Die großen Feuer wurden entzündet, um die Dunkelheit zu durchbrechen und der schwindenden Sonne „komm wieder und vergiss uns nicht“ zuzurufen.
Die sowieso schon dunklen und manchmal auch furchteinflößenden Winternächte waren in der Julzeit von besonderer Bedeutung. Während dieser Zeit wurden die mystischen Kräfte vollends entfesselt. Geister und Dämonen, so glaubte man, waren von ihren üblichen Einschränkungen befreit und konnten durch das Land streifen. Ein wenig wie beim keltischen Samhain, den noch heute viele als Halloween begehen.
Auch die Geschenke für die lieben Kleinen finden sich schon in grauer Vorzeit. Genau wie bei den Saturnalia war das Geschenkgeben Teil des Jahresendes. Odin selbst verwandelte sich in der Julzeit in einen Jul-Dämon mit grausiger Fratze und Hörnern, nur um dann den Kindern Geschenke zu bringen. In einigen Bereichen Deutschlands begleitet nach wie vor der garstig aussehende „Klausauf“ den Heiligen Nikolaus auf seinen Reisen zu den Kindern.
Die Julzeit entspricht in ihrem Kern bereits stark dem, was wir heute unter einer „traditionellen Weihnacht“ verstehen. Man versammelt sich im warmen Haus rund um das heimelige Feuer, in dem vielleicht auch noch ein Christklotz brennt, und verbreitet mit warmem Punsch gute Laune. Derweil pfeift draußen in der dunklen Nacht der kalte Wind. Wenn man für einen Moment innehält und das Licht ausmacht, dann sieht man vielleicht in der Dunkelheit auch den einen oder anderen Winterdämon herumschleichen.
Der Geburtstag von Jesus Christus
Wann wurde nun aber aus der Julzeit, den Saturnalien und dem Geburtstag von Sol Invictus die „Weihnacht“?
Das frühe Christentum interessierte sich zunächst nicht für den Geburtstag von Jesus. Zum einen erwartete man die Wiederkunft Christi zeitnah, und zum anderen sind „Geburtstage als Feiertage“ eine vorchristliche Sache, die gerade außerhalb der Kirche eine Rolle spielten.
Erst im 4. Jh. erhob der Bischof von Rom, Julius I., das Weihnachtsfest zu einem kirchlichen Feiertag. Vermutlich wurde es schon vorher gefeiert. Jedoch erst in dieser Zeit hat sich die „offizielle Kirche“ dieses Fests angenommen und den alten „heidnischen“ Ritus in die eigene Tradition integriert.
Ein Fest des Geistes, ein Fest des Körpers
Von Anfang an tat sich die Kirche schwer mit der Weihnacht. Zum einen war die Geburt des Herrn eine wichtige Angelegenheit. Neben dem Osterfest stand Weihnachten ganz oben in der Hierarchie der christlichen Feste.
Nur drehte sich das Weihnachtsfest in vielen Aspekten um genau die Dinge, welche man mit der Sünde in Verbindung brachte: Völlerei, Trunkenheit, die Umkehrung aller Regeln. All das war der hohen Priesterschaft ein Dorn im Auge. Denn wer nun denkt, dass mit der Vereinnahmung durch die Kirche plötzlich das Tragen von Tierhäuten, die saturnalischen Gelage oder das generelle „Chaos“ verschwand, der irrt. Veränderung von Traditionen dauert Generationen.
Zudem waren die meisten Priester kaum gebildeter als die Leute, denen sie predigen sollten. Viele von ihnen konnten kaum lesen, nur wenige waren geschult in der richtigen Auslegung der Bibel usw. Der Dorfpriester war also nur in den wenigsten Fällen ein Bollwerk gegen die alten Bräuche.
Bereits im Jahr 389 klagten deshalb christliche Theologen, dass „der wahre Geist der Weihnacht“ bedroht sei. Was, wenn die eigentliche Bedeutung der Weihnacht bei der ganzen Feierei unterging? Die Nachricht, dass Gott Mensch geworden war, sollte doch eigentlich den Mittelpunkt bilden!
Heidnische Bräuche und die Kirche – alte Verbündete
Nicht alle Kirchenherren wiesen allerdings mit erhobenem Zeigefinger auf die Gefahren der traditionellen Festlichkeiten hin. Papst Gregor I. (6. Jh.) betonte beispielsweise den großen Nutzen, den es haben konnte, wenn man die alten Bräuche aufgriff. Damit, so fand er, konnte man Zugang bekommen zu den einfachen Menschen, die ihr Verständnis über die Welt nicht aus Büchern zogen, sondern aus ihrem gelebten Alltag.
Statt das Opfern von Tieren zu verdammen und den Teufel dabei an die Wand zu malen, sollte man die Tat umdeuten. Das Volk sollte weiterhin ein Tier schlachten. Nur diesmal, um es selbst zu verspeisen und dabei dem Herrn zu danken, dass er den Menschen Nahrung gab. Gregors Logik war deshalb simpel: Wenn man den Leuten die körperliche Freude nahm, dann würden sie sich ebenso für die spirituellen Freuden verschließen. Er folgte der Idee, dass man „Schritt für Schritt“ den Berg erklomm.
Noch lange Zeit überwogen aber die heidnischen Aspekte. Das darf trotz allem Enthusiasmus von Papst Gregor nicht vergessen werden. Erst gegen Ende des Mittelalters war Europa weitestgehend christianisiert. Die Bereitschaft der christlichen Kirche, heidnische Bräuche zu übernehmen, umzudeuten und anzupassen, war, neben dem Willen auf Zeit zu spielen, eine ihrer größten Stärken.
„Geschichtskrümel“ ist eine wöchentlich erscheinende Serie aus Kurzartikeln. Sie soll Spielern und Spielleitern als Anregung dienen und Inspiration fürs Rollenspiel bieten. Die Geschichtskrümel drehen sich um historische Ereignisse oder Themen, über die ich in meinem Alltag stolpere. Sie sind manchmal lehrreich, manchmal skurril und manchmal einfach nur lustig.
Quellen: