Sofern man nicht gerade Ars Magica spielt, ist es im Rollenspiel allgemein nicht üblich, dass Spieler mehr als einen Charakter gleichzeitig spielen. Das hat den Vorteil, dass die meiste Zeit klar ist, wer gerade spricht, wenn ein Spieler spricht. Unterscheiden muss man dann nur noch zwischen dem Spieler und seinem eigenen Charakter, aber das ergibt sich oft schon aus der Situation heraus.
Anders sieht es für den Spielleiter aus. Er muss im Normalfall nicht nur einen Charakter darstellen, sondern Dutzende. Im Verlauf einer Kampagne sogar Hunderte. Davon auch nicht selten einmal mehrere auf einmal. Diese zu unterscheiden, ist wichtig für das Spiel.
Aber auch bei Spielern ist es grundsätzlich hilfreich, zwischen verschiedenen Charakteren und zwischen Spieler und Charakter unterscheiden zu können. Besonders wenn ein Spieler mehrere Charaktere nacheinander spielt, die sich in ihren Rollen sehr ähnlich sind.
In solchen Fällen hilft ein wenig Schauspielerei, speziell diese drei Dinge:
Stimme, Akzent und Redegewohnheiten.
Stimme
Anfangs mag es ein wenig Überwindung kosten, die Stimme beim Sprechen zu verstellen. Vor allem, wenn man der Einzige ist, der das tut. Aber traut euch! Je öfter man es macht, desto leichter wird es und desto besser wird man darin. Man kann etwas höher sprechen, etwas tiefer, etwas rauer oder etwas sanfter. Man kann nasal sprechen oder beim Sprechen einen Flunsch ziehen wie Marlon Brando im Paten. All das verändert die Stimme des Sprechenden immens und hilft so dabei, zwischen unterschiedlichen Charakteren zu unterscheiden. Wenn möglich, widersteht der Versuchung, Frauen schrill und piepsig zu sprechen, falls ihr Männer seid. Das gleitet schnell ins Lächerliche ab. Eine bereits leicht gehobene Tonlage reicht oft völlig aus. Etwas mehr Kopfstimme. Wartet mit den komödiantischen Einlagen lieber, bis ihr etwas Erfahrung damit gesammelt habt.
Akzent
Fragmente einer anderen Sprache, übertragen in eine neue. Menschen sprechen mit Akzent mangels Sprachgewohnheit in der neuen Sprache. Manche behalten ihren Akzent, weil sie zu selten die zweite Sprache sprechen, weil sie ungebildet sind, weil es sie nicht interessiert, oder auch, weil sie es als stolzen Teil ihrer Identität betrachten. Hinzu kommt, dass Sprache sich verändert und niemand einen objektiven Anspruch darauf hat, irgendeine Aussprache als richtig oder falsch zu betrachten. Es gibt nur üblich und unüblich, aber mit der Zeit kann das eine zum anderen werden. Während meine Großmutter noch vom Balkon sprach und es wie Baal-Kohn aussprach, höre ich heute häufiger etwas, das wie Ballkong klingt. Das ist nichts Ungewöhnliches.
Als Rollenspieler brauchen wir uns dazu keine weiteren Gedanken zu machen und können das den Sprachwissenschaftlern überlassen. Wir können Akzente als das nehmen, was sie sind: fantastische Geschenke für die Darstellung von Diversität.
Wenn ich in der Lage bin, einen fremden Akzent zu imitieren, verdoppelt sich auf einen Schlag mein Repertoire gleichzeitig darstellbarer Charaktere. Wenn ich imstande bin, in zwei verschiedenen Tonlagen zu sprechen, und ich einen Akzent hinzufüge, werden aus zwei Varianten plötzlich vier.
Klar, Akzente sind Klischees. Und? Alle Formen von Geschichten arbeiten und spielen mit Klischees. Mal etwas geschickter und manchmal etwas plump. Traut euch. Ihr habt nichts zu verlieren.
Dabei kann man Akzente zusätzlich abschwächen, aufweichen und variieren. Wer ein Talent dafür entwickelt, kann nicht nur die Aussprache von Wörtern ändern, sondern auch die Grammatik an die anderer Sprachen anpassen.
Anstat dassu dan ene einzije Variande hast, hassde direkt en halbet Dutzend. Is doch dufte.
Sprachgewohnheiten
Nicht nur die Stimme oder der Akzent können Charaktere eindeutig voneinander unterscheiden. Auch die Art, wie jemand spricht, ist ein Werkzeug, das man sich zunutze machen kann.
Ungebildete Menschen sprechen in kurzen Sätzen. Machen viele Punkte. Die fügen dann oft Dinge so aneinander. So eben, wie ich das grad mache. Auch mit kurzen Worten und nix, was zu kompliziert wird. Also nicht so diese langen Worte, bei denen ja eh keiner weiß, was die bedeuten. Verstehste, ne?
Dahingegen tendieren insbesondere Akademiker spezifisch dazu, im Allgemeinen sehr viel komplexer zu kommunizieren, Sätze in lindwurmhaften Dimensionen zu kreieren, auf unnötig anachronistische Begriffsschöpfungen zurückzugreifen, welchselbige dann selbstredend die Verständlichkeit des zu vermittelnden Inhalts in seiner Verständlichkeit signifikant reduzieren. (Dahingegen wirkt normale Sprache dann geradezu unterkomplex.)
Aber das ist nur die Komplexität der Sprache. Manche würden es auch die Kompliziertheit nennen. Beide haben im Übrigen recht. Aber es gibt noch viele andere Sprachgewohnheiten. Es gibt Menschen, die jeden zweiten Satz mit „Du,“ anfangen, oder „Weißte?“. Ich selbst habe beispielsweise die unangenehme Angewohnheit, in Diskussionen sehr oft zu sagen: „Der Punkt hier ist ja“, oder „Der eigentliche Punkt ist, dass“ und so weiter. Es gibt „Hm“-Sager, Menschen, die ständig „Ähm“ machen, jede Antwort auf eine Frage mit „Nun,“ oder „Naja,“ beginnen.
Auch Sprach- und Aussprachefehler sind Munition für kreative Sprachkünstler. Dabei kann man die auch noch auf verschiedenste Arten einsetzen. Zum Beispiel, indem man zwischen anatomischen Sprachfehlern (Lispeln, Stottern, Lallen …) und intellektuellen Sprachfehlern unterscheidet. Ein Charakter, der ständig versucht, komplizierte Wörter zu benutzen, um klüger zu erscheinen, als er ist, dabei aber immerzu irgendwas vermasselt, kann sehr witzig sein.
Völlig ohne die Stimme zu verstellen, können wir mit solchen Mitteln nicht nur eine große Menge an Informationen über einen Charakter vermitteln. Wir können auch zwei Charaktere, die abwechselnd sprechen, sehr deutlich voneinander abgrenzen. Je mehr solcher Abstufungen wir beherrschen und je mehr davon wir kombinieren und verschränken können, desto vielseitiger und umfangreicher wird unser Repertoire.
Technische Hilfsmittel
Man kann seine Stimme auch mit physischen Hilfsmitteln oder mit Technik verändern. Zwei Wattestäbchen in den Backen haben nicht nur Marlon Brandos Gesicht verändert, sondern auch seine Sprache beeinflusst. Und dann ist da ja auch noch die berühmte Wäscheklammer auf der Nase. Bei einem physisch beeinträchtigten Charakter oder irgendeinem fremden Wesen wie einem Oger oder Ork kann man auch die Finger in die Mundwinkel haken. Mehr eine Erwähnung ehrenhalber, denn am Spieltisch sind technische Hilfsmittel oft nur sehr schwer verwendbar. Im Online-Rollenspiel sieht es dafür anders aus. Da kommen zunehmend auch elektronische Stimmverzerrer infrage.
Wer vorhat, bis ans Ende seines Lebens nur noch Western zu spielen, kann natürlich auch damit anfangen, Zigarillos zu rauchen. Empfehlenswert finde ich es jedoch nicht, auch wenn sich ein gewisser Effekt (auf Stimme und Lebenserwartung) nicht abstreiten lässt.
Zusammenfassung – Alles in einen Topf
Kombinieren wir nun Tonlage, Akzente in verschieden starker Abstufung und fügen diesem Mix auch noch Sprachgewohnheiten hinzu, so wächst unser Repertoire möglicher Darstellungsweisen mit der Zeit ins Unermessliche. Charaktere, die auf solche Arten unterscheidbar sind, werden nicht nur im Spiel leichter auseinandergehalten, sondern bleiben auch besser im Gedächtnis.
Schreibt uns eine E-Mail, wenn ihr lustige, spannende oder besondere Momente, die etwas mit diesen Techniken zu tun haben, mit uns teilen möchtet. Oder vielleicht habt ihr ein paar gute Ratschläge oder Tipps für Spieler und Spielleiter, die gerade erst anfangen, auf diese Mittel zurückzugreifen?
Extras
Zu guter Letzt noch zwei Links, die vielleicht hilfreich für euch sein könnten: