Im Rollenspiel werden unzählige Fragen gestellt. Was tust du? Was sehe ich? Kann ich diesen Goblin da hinten mit meinem Bogen angreifen? Gibt es in dieser Stadt eigentlich einen Süßwarenhändler? Manche Fragen sind sinnvoll, viele notwendig, aber welche davon sind möglicherweise völlig überflüssig?
Überflüssige Fragen?! Was sind überflüssige Fragen?
Die Hälfte dieser Überschrift, zum Beispiel. Jeder der beiden Sätze für sich allein hätte vollkommen ausgereicht. Das ist aber nicht die Art überflüssiger Fragen, um die es mir hier geht. Dieser Artikel dreht sich um die Frage, ob es Fragen gibt, die man besser gar nicht erst stellen sollte. Die Antwort direkt vorweg, sozusagen als Spoiler: Ja, die gibt es.
Wie kann eine Frage überflüssig sein?
Was sind die Kriterien für eine überflüssige Frage im Rollenspiel? Um Zeitersparnis geht es mir ausnahmsweise nicht. Es gibt viele Arten, Zeit zu sparen, indem man beispielsweise „Tim Cook of Apple“ abkürzt auf Tim+Apple und andere, weniger konstruierte. Zeit zu sparen, ist gut, aber es gibt im Rollenspiel Fragen, die nicht nur Zeit zur Beantwortung verbrauchen, sondern die das Spiel tatsächlich beschädigen können und die Handlung auf Abwege führen. Diese Fragen sind die wahrhaft nutzlosen.
Falsche Fragen schließen Türen
Manche Fragen schlagen Türen zu, ehe klar ist, wozu sie überhaupt dienen sollten. Wenn ein Spieler seine Spielleiterin fragt, ob es in dieser Stadt ein Fachgeschäft für Hanggleiter gibt, dann ist das sowohl eine binäre – geschlossene – Frage, hochgradig spezifisch und unklar bezüglich der Hintergedanken. Die Fragestellung ist nicht lösungsneutral.
Die Spielleiterin kann vermuten, dass der Spieler mit seinem Charakter einen Hanggleiter kaufen möchte. Zusätzlich schließt die Frage dabei zusätzlich aus, ob man einen Hanggleiter eventuell mieten könnte. Oder stehlen. Der Spieler fragt nur, ob es ein Fachgeschäft dafür gibt. Eventuell gibt es ja sogar eine Abteilung im Sportgeschäft, aber eben kein eigenes Fachgeschäft.
Die Spielleiterin müsste all das abwägen und könnte doch nie erraten, was der Spieler hier eigentlich will. Wenn sie einfach nachdenkt und „Nein. Gibt es nicht.“ sagt, ist die Frage erledigt. Der Spieler formuliert jetzt entweder weitere Fragen, oder er gibt diesen Gedanken sogar gänzlich auf. In jedem Fall war der Vorgang nicht besonders produktiv.
Falsche Fragen führen zu Simulation und Simulation frisst Story
Schlimmer ist aber, dass jede Frage zu Simulation führen kann. Wird die Spielleitung gefragt, ob X existiert, dann kann sie auf verschiedene Arten an diese Frage herangehen. Wäre es cool, wenn X existieren würde? Wäre es potenziell interessant? Witzig? Absurdistisch? Konsistent? Im schlimmsten Fall fragt sich die Spielleitung, ob es wahrscheinlich wäre. Diese Frage ist deshalb nicht gut, weil sie zu Simulation führt. Dabei meine ich natürlich nicht, sich zu Fragen ob Ereignisse glaubwürdig sind oder vielleicht sogar realistisch. Simulation, das meint hier der Versuch, möglichst viele Aspekte der Welt parallel ablaufen zu lassen und Herleitungen zwingend im eigenen Kopf durchzugehen oder sogar auszuspielen, anstatt sich einfach zu entscheiden und festzulegen.
Warum ist Simulation denn schlecht?
Vielleicht fragst du dich jetzt, warum Simulation schlecht ist. Viele Rollenspieler glauben, dass das genau andersherum wäre. Dass Simulation eine tolle Sache und ein nützliches Werkzeug wäre. Dem ist nicht so.
Es gibt genau genommen nur zwei Optionen: Entweder man hat die Simulation so weit manipuliert, dass sie lediglich getarnte Willkür ist und damit im Kern eine Lüge gegenüber den Spielern und Selbstbetrug gegenüber der Spielleitung. Version zwei hingegen ist pure Ereignislosigkeit. Simulation allein produziert nämlich zuverlässig nur einen einzigen Zustand: dröge Mittelmäßigkeit und Langeweile.
„DIE HARD – Das Rollenspiel“ könnte eine Menge Regeln und Ratschläge für coole John-McClane-Aktionen haben, Werte für Gruber und seine Terroristen und ein paar interessante Schauplätze im Nakatomi Tower als Bodenpläne.
Simulation muss Langeweile und Mittelmäßigkeit mitsimulieren
DIE HARD ist aber keine Simulation. Die entspräche eher „Nakatomi Plaza – Das Rollenspiel“, nur dass darin dann haufenweise Bodenpläne des Nakatomi Towers zu finden wären, typische Büroarbeitspläne, beispielhafte Tagesabläufe der Verwaltung, ein Organigramm des Gebäudepostdienstes, Regeln für die Wartung der Aufzüge und dergleichen. Irgendwo auf Seite 183 fände man dann unter Abenteuerideen eventuell den Vorschlag, ob es nicht mal eine spannende Abwechslung wäre, wenn Terroristen zu Weihnachten den Tower überfallen würden, nachdem man monatelange Langeweile simuliert hat.
Schokoladeneis ist schließlich auch keine „interessante Abwechslung“ nach mehreren Monaten, wo es jeden Tag nur exakt eine Scheibe Toastbrot gab. Dann ist es mehr eine Rettung, ein Lichtschimmer am Horizont – die Oase für den Verdurstenden in der Wüste. Kein Kind schrie jemals im Hochsommer am Strand nach einer Scheibe Toastbrot. Eiscreme hingegen? You scream, I scream, we all scream for Icecream. Der zufällige spannende Moment bei der Simulation ist wie der Grießpudding in einem viktorianischen Waisenhaus zu Weihnachten. Nett, aber das Leben dort ist trotzdem grau und dröge.
Falsche Fragen führen zu mehr nutzlosen Fragen
Wenn ein Spieler die Spielleiterin also fragt, ob es ein Fachgeschäft für Hanggleiter gibt, dann beendet ein simples „Nein“ vielleicht diesen Gedanken. Nicht, weil die Spielleiterin etwas gegen Hanggleiter hätte, und nicht, weil die Geschichte vielleicht nicht von einem Hanggleiter profitieren würde. Schlimmer noch, wenn der Spieler als Nächstes fragt, ob es einen Fahrradladen gibt, und dann, weil die Spielleiterin auch das verneint, bei einer ALDI-Filiale landet. Gibt es eine ALDI-Filiale? Ja? In wie vielen Kilometern Distanz? Kann man da mit Karte zahlen?
Dann erst, ganz am Ende dieser Kette aus Fragen, simulationistischen Gedanken und der Lösung selbst geschaffener Komplikationen, steht der Charakter des Spielers bei ALDI an der Kasse und… kauft einen Fahrradhelm. Da er selbst neulich Helme bei einem Fachgeschäft für Hanggleiter gesehen hatte. Ein Gleiterpilotenhelm wäre ihm am liebsten gewesen, aber auch ein Fahrradhelm ist okay. Dummerweise wusste das keiner der Mitspielenden, und auch die Spielleitung war ahnungslos, bis es am Ende auf einmal ein Fahrradhelm von ALDI war. So was kann niemand vorhersehen, und so etwas zu spielen, macht, zumindest meiner Erfahrung nach, auch keinerlei Spaß.
Gute Fragen sind Dramafragen!
Geht es also darum, einen Helm, neue Hosen oder einen kostenlosen Bleistift zu beschaffen, dann sollte der Spieler lieber direkt fragen, ob es eine einfache Möglichkeit gibt, an so was ranzukommen. Besser noch, wenn man solche Lappalien einfach so gut es geht aus dem Spiel entfernt und stattdessen das Erzählrecht für solchen Kleinkram selbst in die Hand nimmt. „Mein Charakter kennt jemanden, der Hanggleiter fliegt und von dem er sich einen leichten Schutzhelm leihen kann!“
Nehmen wir aber mal an, die Frage drehte sich tatsächlich um Hanggleiter, weil der Spieler eine gute Idee hat (oder zu haben glaubt), die einen solchen erfordert. Du wirst mir sicherlich zustimmen, wenn ich jetzt behaupte, dass es viel zielführender wäre, zu sagen: „Ich denke, man könnte vermutlich mit einem Hanggleiter direkt auf dem Gelände landen! Müsste man den kaufen oder könnte man irgendwo vielleicht einen mieten oder anderweitig auftreiben?“ Und dazu darf man ruhig auch mal fragen: „Und ist das etwas, das wir ausspielen müssen?“ – Besonders wichtig, wenn der spannende Teil sowieso erst mit dem Anflug und der Landung beginnt.
Gute Antworten sind zielführend.
Wenn du die Spielleitung bist, behandle deine Spieler nie, als wären sie dumm. Das klingt jetzt offensichtlich aber die Struktur von einigen Rollenspielen fördert ein Machtgefälle zwischen Spieler und Spielleiter. Um das zu erhalten, ist es manchmal verführerisch, den Spielern Informationen vorzuenthalten oder sie zumindest einzuschränken.
Die Tradition, dass Spielende von der Spielleitung durch vage Antworten und unsinnige Gegenfragen in hanebüchenen Unfug verheddert werden, geht zurück bis in die Tage von Gary Gygax, aber sie war nie eine sinnvolle Art, mit derartigen Situationen umzugehen.
Wie bereits im Artikel über passives Spiel gesagt, ist es im Zweifel besser, einmal zielführend nachzufragen, als Spieler in die Irre laufen zu lassen. „Warum genau willst du das wissen? Was ist dein Ziel?“ ist besser, als die simulationistische Überlegungskette anzuwerfen, wie denn jetzt eventuell die lokale Hanggleiterwirtschaft strukturiert und aufgestellt ist.
Zusammenfassung
Rollenspiel basiert auf der Interaktion individueller Gedanken und der Vorstellung, die sich in einem gemeinsamen, imaginären Raum überschneiden. Nur wenn wir uns darauf einlassen, unsere Mitspielenden zu verstehen, können wir ohne Stolpersteine in die gemeinsame Vorstellungswelt eintauchen und einander unterstützen, statt uns im Weg zu stehen und wertvolle Zeit zu verbrennen.
Fragen auf den Punkt gebracht
- Jede Frage hat irgendeinen Zweck, aber nicht jede Fragestellung dient ihm auch.
- Versuche, im Rollenspiel geschlossene Fragen zu vermeiden, wenn du durch die Frage selbst nicht bereits sehr genau lenken möchtest. Stelle darum deine Fragen so offen und lösungsneutral wie möglich. D.h., schließe keine möglichen Antworten bereits durch die Frage aus. („Woher bekomme ich einen Hanggleiter?“ statt „wo kann ich einen Hanggleiter kaufen?“ statt „Gibt es in der Stadt Hanggleiter?“)
- Wenn du eine Frage stellst, willst du etwas erfahren! Deine Hintergedanken sind sehr wichtig und oft hilfreich, um die Frage richtig einzuordnen. Stell lieber zwei oder drei Fragen nacheinander, die nach und nach einengen, worauf du hinauswillst.
- Manche Fragen sind schlicht überflüssig, und einige scheinen es zu sein, solange man nicht die richtige Gegenfrage stellt.
- Ist die Antwort offensichtlich oder eine Lappalie? Dann definiere die Antwort doch einfach, statt der Spielleitung aufzubürden, sich um Kinkerlitzchen kümmern zu müssen.
- Simulation funktioniert nicht. Ihr habt vermutlich weder die Zeit noch die Kapazitäten, um euch mit langweiligen und statistischen Wahrscheinlichkeiten abzugeben.
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