Man mag meinen, dass wir heute ganz schön aufgeklärt sind. Alles geht, alles darf, alles ist in Ordnung. Vordergründig zumindest.
Bereits Vor ca. 3800 Jahren veröffentliche Hammurapi seinen Gesetzeskodex. Der Staat und damit der König höchstselbst mischte sich immer in die Durchsetzung von Sexualgesetzen ein. Ab ca. 1000 v.u.Z. wurde es sogar üblich, in den Eheverträgen festzulegen, dass ausschließlich der Staat die Normen durchsetzen sollte – um eigenmächtige Rache der Ehemänner abzuwehren.
Tatsächlich ist der Gedanke von völlig unregulierter Sexualität für eine Gesellschaft auch heute noch fast undenkbar. Wenn schon nicht Gesetze für Ordnung sorgen, dann muss das Tabu oder die Gemeinde einspringen. Die „Konsens-Zustimmungs-Formulare“, die an diversen amerikanischen Universitäten aufgekommen sind, wären so ein Beispiel, wo auch unsere moderne Sexualität wieder reguliert wird, ohne dass wir noch Homosexualität staatlich verfolgen würden oder Frauen dafür pfählen, dass sie sich mit einem fremden Mann in ihrem Wohnzimmer unterhalten haben.
Wir regulieren heute interessanterweise viel stärker das Gegenteil: das Recht, zu tun und zu lassen, was man will. Stichwort Antidiskriminierungsgesetze. Kurzum: Sogar heute regulieren wir noch, nur nicht mehr so wie einst.
Göttliche Ordnung spielt keine Rolle mehr – gesellschaftliche Ordnung aber schon
Was wir in Westeuropa nicht mehr tun, ist, die „richtige“ Sexualmoral staatlich aufrechtzuerhalten, da wir fürchten würden, dass sonst die Weltordnung zerbräche. Etwas, was wir noch vor ein paar Hundert Jahren definitiv taten. Weiß man erst einmal, dass die Welt sowieso jederzeit dem Ende nahe ist, dann ist es um so wichtiger, dass falsches Sexualverhalten nicht göttlichen Zorn heraufbeschwört! Von Regeln über den Umgang mit Menstruationsblut bis hin zur Frage, ob das Licht beim Sex an oder aus sein sollte – die Gesellschaft entwickelte schon immer Standpunkte zu allen Fragen, die Körperlichkeit und das „karnale Verlangen“ berühren.
Logischerweise beschäftigen sich dann auch der Staat und seine Gesetze mit dem Thema Sex, beispielsweise bei Ehefragen. Das schon ziemlich lange und meist mit dem Hinweis auf angeblichen göttlichen Ursprung – auch wenn die folgenden Beschreibungen eine Idee vermitteln, warum das mit dem Göttlichen wirklich nicht weit her sein konnte.
Die ersten Sexualgesetze
Angenommen, du treibst dich auf der Straße herum, und du siehst, wie jemand im Park uriniert – entscheidest dich aber nicht, das der Polizei zu melden, dann wäre es doch angemessen, dich dafür auszupeitschen, nicht wahr?
So sah das jedenfalls der Staat in Mesopotamien und seinen Nachbarländern. Wer die Vergehen (auch die kleinen) anderer nicht meldete, der machte sich selbst schuldig. Das galt ganz besonders beim Thema Sex, das auch ein wichtiger Aspekt öffentlicher Gerichtsbarkeit im kolonialen Amerika war!
Ehrbare und weniger ehrbare Frauen
Was du dabei wissen musst: Sexualgesetze trafen vor allem Frauen. Männer waren nicht gänzlich unberührt davon, aber alles in allem war es fast immer das Problem der Frau. Oder zusätzlich auch noch das Problem der Frau, wenn sie schon selber nichts gemacht hatte.
Eine wichtige Unterscheidung war dabei immer die Frage, ob man es mit einer ehrbaren (Ehe)frau zu tun hatte oder beispielsweise mit einer Prostituierten. Diese waren klar markiert: Frauen trugen einen Schleier, wohingegen dies Prostituierten unter Strafe verboten war. Ein Mann, der nicht meldete, dass eine Prostituierte es wagte, sich zu verschleiern, wurde ausgepeitscht. Danach zog man Leinen durch seine Ohren und führte ihn wie einen Esel durch die Stadt.
Schankmägde in Tavernen waren wiederum angehalten, ihren Gästen nachzuspionieren und etwaige verbrecherische Pläne oder Vergehen zu melden. Dies nicht zu tun, konnte direkt mit dem Tod bestraft werden.
Der Status der Frau
„Damned if you do, damned if you don‘t“ sagt ein englisches Sprichwort. Das fasste auch ein wenig den Status der Frau zusammen. Menstruation? Eine unreine Sache, die Reinigungsrituale und Quarantäne verlangt. Ehebruch? Vorrangig das Problem der Frau. Jungfräulichkeit „verschwendet“? Vorrangig das Problem der Frau. In einem Streit mit einem Mann einen seiner Hoden verletzt? Natürlich verliert die Frau dafür einen Finger. Sollte der zweite Hoden ebenfalls Schaden nehmen, dann müssen ihre beiden Augen dran glauben.
Kurz: Sexualgesetze im frühen Altertum waren vor allem Frauengesetze. Durchgesetzt von Vätern, Ehemännern und wenn nötig dem Staat.
Die Obsession mit der Jungfräulichkeit
Bis zur Hochzeit war die Sexualität der Frauen in erster Linie das Problem der Väter und Brüder. Wenn der Vater nicht gerade seine Familie für drei Jahre als Sklaven verlieh, um seine Schulden zu bezahlen, dann war er stets darum besorgt, dass seine Töchter ihre Jungfräulichkeit bewahrten.
Natürlich nicht einfach so ohne Grund! Die Begründungen für die Frage nach der Jungfräulichkeit sind oft recht fadenscheinig und reichen vom eher absurden „Männer mögen es lieber eng“ bis hin zur Frage, ob etwaige Kinder denn tatsächlich die Nachkommen des Ehemannes wären. Allerdings konnte man auch damals schon die Monate bis zur Geburt zählen…
Näherliegend ist darum eher folgende Idee: Es ging um Kontrolle. Frauen waren allgemein dominiert durch die Männer. Es war nötig, sie frühzeitig zu unterwerfen, und einer der Aspekte, die Frauen traditionell zu Frauen machten, war ihre Fähigkeit, Kinder zu gebären – also ihre Sexualität. Die Jungfräulichkeit war also ein Test für den Vater und ihre Brüder, ob sie in der Lage waren, die zukünftige Ehefrau unter Kontrolle zu halten und zu brechen.
Sex vor der Ehe? Das wird teuer…
Die Jungfräulichkeit war also viel wert. Nicht nur für das soziale Ansehen, sondern auch ganz direkt für den Vater auf dem Heiratsmarkt. Es ist darum nur logisch, dass es überall im Nahen Osten im Altertum verboten war, üble Nachrede zu treiben. Wer behauptete, eine Frau sei nicht mehr gänzlich unberührt, und das nicht beweisen konnte, schuldete ein Strafgeld.
Wie bewies man die Jungfräulichkeit? Das war schon immer schwierig gewesen. Die Juden hielten es so, dass das Laken von der Hochzeitsnacht von den Ältesten auf seine Blutigkeit begutachtet wurde – kein sehr überzeugender Test. Andere Völker waren sich dessen bewusst, und die einzige, wirkliche Möglichkeit, sicherzugehen, war ein dicker Bauch oder ein Kind.
Doch keine Jungfrau – was nun?
Eine Möglichkeit, wie Frauen, ohne es zu wollen, ihre Jungfräulichkeit verlieren konnten, war eine Vergewaltigung. Bei den Assyrern galt um das Jahr 1000 v.u.Z.: War die Frau bereits verlobt, dann wurde der Vergewaltiger hingerichtet. Damit wurde der zukünftige Ehemann des Opfers entschädigt für seine nun gestohlene Gelegenheit, sie zu entjungfern.
War sie nicht verlobt, dann hieß es stattdessen den Vater mit dem dreifachen Brautpreis zu entschädigen. Zudem konnte der Vater den Täter zwingen, die Tochter zu heiraten, wenn er niemanden fand, an den er sie sonst für einen Preis loswurde. So oder so: Die Tochter kam dabei nicht gut weg. War der Vater sogar besonders rachsüchtig, dann war es ihm auch erlaubt, die Ehefrau des Täters als Sklavin zu verlangen, um sie nun seinerseits zu missbrauchen, wie es ihm gefiel.
Das war nicht der Fall, wenn die Tochter freiwillig mit dem Mann geschlafen hatte! In diesem Fall wurde zwar trotzdem der dreifache Preis fällig, aber der Vater war angehalten, seine Rache an seiner Tochter auszulassen (Inzest war allerdings tabu.)
Die Freuden der Ehe
War eine junge Frau erst einmal aus den Armen ihres Vaters entlassen und nun das Eigentum ihres neuen Ehemannes, dann musste sie vorsichtig sein, wie sie sich verhielt. Jedem Mann stand es frei, sein Weib zu schlagen, auszupeitschen, sie an den Haaren zu ziehen oder sie gar zu verstümmeln.
Immer ging es dabei um Kontrolle und um die „Ehre“ des Ehemannes und vor allem darum, den Anschein eines Ehebruchs zu vermeiden. Den Frauen im Palast der assyrischen Herrscher war es sogar verboten, allein bei einem Mann zu stehen. Sollte eine andere Frau des Palastes das sehen und es nicht melden, wurde sie in einem Ofen verbrannt!
Die Gesetze von Hammurabi bedrohten Frauen mit dem Ertränken, wenn sie ihren Mann verächtlich machten oder das Haus ohne Erlaubnis verließen. Damit wurde die Schande schlicht „weggewaschen“, wenn der Ehemann das wünschte. Machte sie ihn öffentlich lächerlich oder stahl sie von ihm, dann konnte der Ehemann sie verstoßen oder als Sklavin behalten, während er neu heiratete.
Ehebruch und seine Folgen
Alles dreht sich also um den Ehebruch. Im Allgemeinen führte dieser zum Tod (durch Pfählung). Bei den Sumerern war es dem Ehemann auch nicht möglich, seiner Frau zu vergeben, das Gesetz war klar:
„Am Tag, an dem eine Frau im Schoß eines anderen Mannes erwischt wird, soll sie sterben. Sie soll nicht leben.“
Später war es in der Gegend von Mesopotamien möglich, seiner Frau zu vergeben – aber nur, wenn auch der Mann, bei dem sie gelegen hatte, ein Pardon bekam. Manchmal ging es auch anders aus: Ishtar-ummi wurde von ihrem Mann in flagranti erwischt, der sie und ihren Liebhaber mit einem Seil ans Bett fesselte und sie mitsamt dem Bett zum Gericht schleppte. Dort warf er ihr zusätzlich vor, dass sie von seinen Kornvorräten gestohlen hatte und ohne seine Erlaubnis am Sesamtopf gewesen sei. Neben dem Ehebruch selbstredend geringwertige Anklagen – aber sie dienten dazu, Ishtar-ummi als schlechte Ehefrau zu zeichnen. Schlechte Ehefrauen gingen nicht nur fremd, sie stahlen auch und verschwendeten den Besitz ihres Mannes!
Ihre Strafe war nicht der Tod, stattdessen wurde ihr Schamhaar rasiert, und man durchbohrte ihre Nase mit einem Pfeil, um sie an einer Leine wie einen Esel durch die Stadt zu führen. Eine klassische Schandprozession, wie sie auch im Mittelalter noch stattfand.Vermutlich lebte sie danach als Sklavin im Haushalt ihres ehemaligen Mannes.
Männer und ihre Liebhaberinnen
Die Ehemänner konnten hingegen so viele Liebhaberinnen haben, wie es ihnen passte. Solange sie nicht wussten, dass diese verheiratet waren – das war ein wichtiger Faktor in etwaigen Gerichtsprozessen. Allerdings boten sich als sichere Alternative ja Sklavinnen und Prostituierte an.
Frauen konnten sich nur dann über ihre Männer beschweren, wenn diese ihnen den Sex gänzlich verweigerten oder sie öffentlich mit ihren Liebhaberinnen bloßstellten oder anderweitig beschämten. In der Folge war es theoretisch möglich, eine Scheidung anzustreben. Dabei beschäftigte sich das Gericht aber auch mit dem Verhalten der Frau, und sollten die Richter zum Schluss kommen, dass die Frau auch nicht immer keusch war, landete sie im Fluss zum Sterben. Lieber eine Frau mehr umbringen als leichtfertig die Ehre eines Mannes in Zweifel ziehen.
Das Gericht
Immer wieder habe ich nun Tribunale erwähnt, die sich mit der Sexualität befassten. Vor allem mit Ehebrüchen, Vergewaltigungen oder Brautpreisen. Vielfach vollzogen Ehemänner ihren Rechtsanspruch einfach selbst, indem sie direkt Rache an Liebhabern oder Ehefrauen nahmen.
In der spätbabylonischen Zeit hatte sich hier jedoch der Ehevertrag zunehmend durchgesetzt, der klärte, wie im Fall eines Vergehens vorzugehen war. Vielfach wurde dabei garantiert, dass die Frau nicht vom Ehemann, sondern vom Staat gerichtet werden sollte. Damit wurden die Chancen der Frauen ein wenig verbessert, zumindest eine gewisse Gerechtigkeit zu erfahren.
Göttliche Intervention
Manchmal waren die Fälle allerdings unklar, oder Angeklagte mussten damit rechnen, dass ihre Geschichte nicht standhielt. War der Fall zweifelhaft, dann kam erneut der allseits beliebte Fluss zum Einsatz. Sicher ist sicher.
Egal ob Mann oder Frau, man konnte seine Unschuld in vielen Rechtsfragen dadurch klären, dass man ein Gottesurteil wagte. Die Details sind nicht überliefert, aber grundsätzlich ging es so, dass jemand sich dem Fluss aussetzte und hoffte, wieder aufzutauchen, nachdem er vor dem Ganzen seinen Schwur der Unschuld abgeliefert hatte. Das könnte so ausgesehen haben, dass der oder die Angeklagte den Fluss durchschwimmen musste, einen Mühlstein hinübertragen sollte oder einfach nur gefesselt hineingeworfen wurde, um zu sehen, ob der Fluss ihn oder sie wieder freigab. Ähnliche Tests wurden ja auch während der Hexenverfolgung angewandt – nur mit anderen Begründungen.
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„Geschichtskrümel“ ist eine wöchentlich erscheinende Serie aus Kurzartikeln. Sie soll Autoren, Spielern und Spielleitern als Anregung dienen und Inspiration fürs Rollenspiel oder Geschichten bieten. Die Geschichtskrümel drehen sich um historische Ereignisse oder Themen, über die ich in meinem Alltag stolpere. Sie sind manchmal lehrreich, manchmal skurril und manchmal einfach nur lustig.
- Quellen:
- Berkowitz, E. (2012). Sex & Punishment. 4000 Years of Judging Desire. London: The Westbourne Press.
- Wells, B. (2012). Ordeals, ancient Near East. In The Encyclopedia of Ancient History (Online). https://doi.org/10.1002/9781444338386.wbeah01149
- Karte Mesopotamien: Goran tek-en, CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons.