Unsere Leser haben zwei Dinge besonders hervorgehoben, als wir sie fragten, was dieser Serie noch fehlt: Seereisen und Schiffskämpfe. In Teil 3 dieser Reihe werde ich daher der Seereise und dem Leben an Bord besondere Aufmerksamkeit widmen. Damit du möglichst viel aus diesem Artikel ziehen kannst, empfehle ich dir auf jeden Fall die Lektüre des zweiten Teils zur Mannschaft.
Seereisen sind nicht spannend
Direkt zum Auftakt und geradeheraus gesagt: Seereisen für sich genommen sind überhaupt nicht spannend. Ganz im Gegenteil sind sie sogar todlangweilig. So langweilig, dass die meisten Seeleute früher die Hälfte der Zeit vollkommen zugedröhnt waren. Anders kann man sich die Rumrationen der Royal Navy kaum erklären. „Moment, mal!“, höre ich nun einige von euch zu Recht ausrufen. „Wenn Seereisen überhaupt nicht spannend sind, warum sollte ich dann eine nautische Kampagne spielen wollen?!“
Seereisen (und dadurch auch jede Form von Seefahrtkampagne im Rollenspiel) sind nicht für sich genommen spannend. Der Alltag ist todöde Maloche für die meisten der Männer an Bord eines Schiffes. An gewöhnlichen Tagen ist das Wetter einfach nur Wetter – der Wind weht so vor sich hin, und in alle Richtungen ist nicht besonders viel zu sehen, was kein Wasser wäre. An guten Tagen ist die Seefahrt in etwa so spannend, wie es eine längere Autofahrt für Kinder ist. Und wie sehr Kinder längere Autofahrten lieben, das ist ja bereits ein allseits bekanntes Klischee.
Das schwimmende Dorf
Es gibt aber einen wichtigen Unterschied zwischen einem Schiff und einem Auto. Selbst der überfüllteste Camper hat kaum mehr als ein Dutzend Personen an Bord. Ein Segelschiff jedoch ist ein lebendiger Mikrokosmos. Genau genommen ist ein Segelschiff auch nur ein schwimmendes Dorf. Es gibt Autoritätsfiguren, Aristokratie, Patrizier, Handwerker und einfaches Volk. Es wird gearbeitet, gekocht, gegessen und auch gestritten.
Die Seereise selbst mag die meiste Zeit über nicht interessant sein. Das ist aber kein Problem, wenn der Mikrokosmos an Bord es ist! Für eine spannende Seefahrtkampagne braucht es soziale Verflechtungen. Gute Nebencharaktere sind die Pfeiler auf denen alles aufbaut: Leute an Bord des Schiffes, die einander nicht leiden können, jemanden, der irgendwelche krummen Dinge dreht, Faulenzer, Kameraden, die durch Inkompetenz das Leben anderer in Gefahr bringen, Diebe, autoritäre (und/oder inkompetente) Offiziere.
Die Fahrt von Bristol nach Jamaika mag für sich genommen nicht interessant sein. Wenn aber der Kapitän die Rumrationen gekürzt hat, um Geld zu sparen, der erste Offizier reihenweise Matrosen auspeitschen lässt und der Koch fortlaufend das Essen versalzt, köchelt es schnell an Bord auch außerhalb der Kombüse.
Ein Schiff, das auf hoher See ein Ruderboot mit ausgesetzten Offizieren findet, die Opfer einer Meuterei wurden, liefert nicht annähernd so viel Stoff für Drama, als wenn das Schiff seine eigenen Konflikte und Spannungen mitbringt. Nahezu alles, was einem Schiff zustoßen könnte, wird komplexer, wenn es an Bord bereits Komplikationen gibt. Diese sorgen dann nämlich auch dafür, dass Schwierigkeiten, die von außen kommen, Fingerspitzengefühl und clevere Ideen brauchen.
Das Salz in der Suppe
Die andere Komponente, die Spannung und Abwechslung erzeugt, sind Ausnahmesituationen. Ein Kriegsschiff, das ohne weitere Warnung das Feuer eröffnet, Piraten am Horizont, die Begegnung mit einem Geisterschiff oder ein schwerer Sturm, der das Ruder beschädigt.
Wenn du eine nautische Kampagne leiten möchtest, dann rate ich dir, ein Brainstorming zu machen. Schreib einfach mal alle Dinge auf, die dir so einfallen, die passieren könnten. So simpel oder so umfassend, wie auch immer du magst. Wenn dir nichts mehr einfällt, schau dir noch schnell einen Film oder eine Serie an, die sich mit dem Thema befasst. Eine Liste guter Inspirationsquellen findest du am Ende des Artikels.
Jetzt aber kommt der entscheidende Punkt: Alles, was an Ausnahmesituationen passieren könnte, kann nur ein einziges Mal passieren. Im Zuge einer Kampagne sollte ein Schiff nur einmal seinen Hauptmast in einem Sturm verlieren, nur einmal einem tot im Meer treibenden Wal begegnen und nur einmal eine Woche lang in einer Flaute festsitzen. Jede Wiederholung, ohne ausreichende Abwandlung, macht Ereignisse zur Routine, und Routine ist niemals spannend. Willst du also etwas erneut benutzen, dann musst du es mindestens mit einer zweiten Sache kombinieren.
Das Ziel
Wenn wir eine lange Fahrt mit dem Auto unternehmen, dann hat das meist etwas damit zu tun, wo wir als Nächstes sein wollen. Kaum jemand möchte als Selbstzweck im Auto auf der Autobahn sitzen. Anders als bei buddhistischer Philosophie ist nicht der Weg das Ziel. Das Ziel ist das Ziel.
Auch eine maritime Kampagne profitiert sehr davon, wenn jede Reise ein klares Ziel hat. Am besten ein bedeutsames Ziel. Nach Barbados zu segeln, weil man da günstig Zucker kaufen kann, ist nicht spannend. Nach Barbados zu segeln, weil man hofft, dort den letzten Überlebenden der Expedition von Captain Rafferty zu finden, im Glauben, etwas über den verschollenen Großvater zu erfahren, ist wesentlich interessanter. Dies zu tun, während man weiß, dass eine andere Crew genau das gleiche Ziel hat, ist noch mal eine Nummer besser. Und wenn dann auf einmal die halbe Mannschaft krank wird und nicht segeln kann, weil der Koch verdorbenes Fleisch gekauft hat, um Geld zu sparen, welches er unterschlagen hat, damit er seine Spielschulden beim Schiffszimmermann bezahlen kann …
Entscheidungen und Konsequenzen
Alle Abschnitte einer Geschichte sollten Entscheidungen beinhalten, denn es sind Entscheidungen, die den Spielern Einfluss auf die Geschichte geben. Für einen Reiseabschnitt eine Probe auf Segeln zu würfeln, ist so langweilig, dass man es am liebsten gleich sein lässt. Entscheidungen hingegen sind immer persönlich. Der Spieler des Kapitäns, der eine Probe auf Navigation würfelt, ein schlechtes Ergebnis hat und daher von Piraten überfallen wird, hat im Grunde keinen Einfluss gehabt. Der Spielleiter hätte das auch allein für sich regeln können.
Die Entscheidungskette braucht einen Anreiz
Stell dir folgende Situation vor: Der Wind ist gut, und das Schiff könnte leicht ein paar Extraknoten gutmachen. Dazu müssten aber die Booster-Segel des Schiffes gehisst werden, die Takelage müsste genauer überwacht und regelmäßig justiert werden, und die Männer müssten allesamt härter arbeiten.
Der Kapitän und der Bootsmann können das nutzen, aber sie müssen nicht. Wenn sie es nutzen, dann wird die Stimmung der Crew eventuell leiden, und es könnte zu Unfällen kommen. Um diese zu vermeiden, könnte man die Rumrationen kürzen. Tut man das aber, leidet die Stimmung umso mehr. Verspricht man der Crew aber einen Bonus auf ihren Lohn, dann könnte sich das ausgleichen. Wenn man nun aber den guten Wind nicht nutzt, sitzt man vielleicht später in einer Flaute fest. Oder man wird von Piraten eingeholt. Selbst wenn man das nicht hat kommen sehen, wird die Mannschaft dann sagen, dass man ja bessere Fahrt hätte machen können, als der Wind noch gut war …
Konflikte in der Mannschaft brauchen echte Persönlichkeiten
Darum ist es wichtig, dass die Charaktere, welche dieses „Dorf auf See“ bewohnen, echte Persönlichkeit haben. Haben die Spieler nämlich keine persönliche und emotionale Verbindung zu den Haupt- und Nebencharakteren an Bord, dann spielt es auch keine Rolle, ob man diese auf seine Seite ziehen muss, ob sie Ärger machen oder kritische Entscheidungen skeptisch hinterfragen. Willst du auf diesen ganzen Mikrokosmos verzichten, dann sind die Seereisen vermutlich kein guter Inhalt für deine Geschichte, und du solltest das Schiff als reines Transportmittel nutzen und die Reisezeiten schlicht mit einer kurzen Zusammenfassung überspringen.
Entscheidungen und Konsequenzen aus den Umständen, zusammen mit dem Mikrokosmos an Bord des Schiffes, verbunden mit besonderen Ereignissen, und das alles im Kontext mit dem Ziel der Reise? Das ist es, was eine Seereise im Rollenspiel spannend und abwechslungsreich macht.
Zusammenfassung
Seereisen sind genauso langweilig wie die meisten anderen Reisen
auch, bis etwas Spannendes passiert. Da Schiffe wie schwimmende Dörfer
sind, besteht die Möglichkeit, externe Elemente mit internen Spannungen
und Konflikten zu kombinieren. Das Sozialgefüge und die Konsequenzen aus
früheren Entscheidungen können aus kleinen externen Problemchen echte
Herausforderungen machen. So kann etwas sehr Interessantes entstehen,
aus Komponenten, die für sich allein nicht besonders aufregend wären.
Dazu benötigst du allerdings eine interessante Crew, die auch Spannungsfelder und Konflikte erlaubt.
Inspirationsquellen
Hier eine unvollständige Liste von Filmen und Serien, die gute
Inspirationsquellen für nautische Kampagnen und Abenteuer liefern.
Filme
- In the Heart of the Sea (2015)
- Michiel de Ruyter (2015)
- Master and Commander (2003)
- Pirates of the Caribbean: The Curse of the Black Pearl (2003)
- Cutthroat Island (1995)
- Treasure Island (1990)
- Roman Polanski‘s Pirates (1986)
- The Bounty (1984)
- H.M.S. Defiant (1962)
- Mutiny on the Bounty (1962)
- Moby Dick (1956)
- Against all Flags (1952)
- Treasure Island (1950)
TV-Serien
- Black Sails (2014–2017)
- To the Ends of the Earth (2005)
- Hornblower (1998–2003)
- Moby Dick (1998)
- Treasure Island (1966)