Wer kennt das nicht? Man liest ein gutes Buch, genießt einen Film oder schaut eine Serie. Immer wieder denkt man sich: „Das könnte ich doch für meine Rollenspielkampagne übernehmen!“
Es wirkt im ersten Moment verlockend, die Struktur einer Erzählung einfach zu übernehmen. Die Ausführung als Rollenspielabenteuer ist jedoch eine ganz eigene Herausforderung. Jedem Medium – Film, Buch, Rollenspiel – wohnt eine ganz eigene Art der Vermittlung inne. Jedes Medium verfügt über gewisse Stärken und Schwächen. Man muss die „Sprache“ des Mediums verstehen lernen, um die Magie der Geschichte erfahren zu können.
Im Film gilt die Maxime „show, don‘t tell“. Bücher hingegen glänzen mit ihrem direkten Zugang in die Köpfe der Charaktere. Rollenspiel ist nicht Film und auch nicht Buch oder Radiohörspiel. Mit Videospielen hat das Pen&Paper Rollenspiel zumindest die Interaktivität gemein. Mit modernen TV-Serien wiederum die Mischung aus Charakter- und Storyentwicklung.
Fast jeder eignet sich den „Code“ der großen Medien wie Film oder Buch durch Erfahrungen an. Im Rollenspiel fehlen dazu leider die ganzen Hilfsmittel, die dabei so nützlich sind. Film und Fernsehen haben Dokus, Kommentare und eine rege Abdeckung durch Journalisten. Beim Pen&Paper fehlt es an einer professionellen Entwicklerszene, die sich öffentlich austauscht. Jeder Spielleiter und jeder Spieler ist zudem auch irgendwie Regisseur, Schauspieler und Geschichtenschreiber in einem. Das ist anders als beim Film, wo das reine Anschauen nur wenig Vorwissen benötigt. Deshalb profitieren alle am Spieltisch sehr davon, wenn jeder die Sprache des Mediums sprechen lernt.
Die Elemente, aus denen sich Geschichten zusammensetzen, sind unabhängig von ihrem Erzählmedium immer ähnlich. Das gilt aber nicht für die Art, wie die Geschichte tatsächlich erzählt wird. Wenn wir eine Geschichte erzählen, dann müssen wir auf diese spezifischen Umstände eingehen. Für One-shot Abenteuer und Conventions gelten natürlich andere Regeln als für feste Gruppen, die eine Kampagne spielen. In meinen Artikeln gehe ich aber in erster Linie auf Kampagnen ein.
In dieser mehrteiligen Artikelserie möchte ich meine Gedanken mit euch teilen, wie ihr dem Medium Rollenspiel gerecht werdet. Es soll euch helfen, wenn ihr als Spielleiter eure Geschichten entwickelt und erzählt. Parallel dazu werden wir hier auf dem Blog auch noch einige Artikel veröffentlichen, was eine Geschichte unserer Meinung nach eigentlich ist und wie man sie entwickelt.
Wir Rollenspieler müssen unser Medium ernst nehmen
Es geht mir dabei vorrangig um den Story-Teil von Rollenspiel und nicht um den Tabletop-Anteil. Beide Dinge wohnen unserem Hobby in unterschiedlich großem Maße inne. Es ist aber wichtig, dass wir uns bewusst sind, dass ein Dungeon-Abenteuer nicht dasselbe Maß an erzählerischer Tiefe aufweisen wird wie ein Intrigenabenteuer am Hofe. Die Zeit, die man investieren kann, um ein Szenario zu bearbeiten, ist schließlich endlich. Beides sind aber Aspekte von Rollenspiel und müssen respektiert werden. Sie verweisen auf eine weitere Problematik, nämlich die Frage, wie viel Geschichte in einem Pen&Paper Rollenspiel enthalten sein muss. (Kurze Antwort: Nahezu keine.)
Es geht mir im Kern darum, zu erläutern, wie die Spieler die Geschichten wahrnehmen und durch ihre Mitwirkung beeinflussen und gestalten. Kurz: wie sie Rollenspiel machen. Es ist ja auch ein zentrales Problem jeder Geschichte, dass sie erst durch ihre Erzählung, Wahrnehmung und Interpretation tatsächlich Form erhält. Genau hier liegt auch der Knackpunkt des Vermittelns der Storyinhalte. Genau deswegen ist es wichtig, sein eigenes Medium zu verstehen, damit die Gruppe noch wochenlang begeistert über die Geschichte spricht.
Es ist meine Überzeugung, dass das Medium Rollenspiel nie ausreichend diskutiert wurde. Viele Missverständnisse und Streite, die in Rollenspielgruppen und auch in der Rollenspielszene als Gesamtes immer wieder auf ein Neues auftreten, können darauf zurückgeführt werden. Wir reden darüber, was wir spielen, und wir reden über die Abenteuer, die wir erleben. Kaum ein Rollenspiel oder Rollenspielentwickler macht sich aber die Mühe, darüber zu reden, wie genau das „Erlebnis Rollenspiel“ eigentlich entsteht. Rollenspiel ist durch seine Interaktivität eine besondere Art des Erzählens.
Da Rollenspiel vor allem von Laien entwickelt und von Laien gespielt wird, fehlt es an einer professionellen Szene von Entwicklern und Meinungen, die Rollenspiele analysieren und weiterbringen können. Videospiele können als Krücke dienen, da sie von großen Teams von Spezialisten entwickelt werden. Einiges von der Theorie aus dem Videospielbereich kann mit etwas Aufwand transferiert werden.
Ich finde, dass die Pen&Paper Szene ein Problem damit hat, sich ernst zu nehmen. Wir stellen kollektiv unser eigenes Licht unter den Scheffel. Gerne verteidigen wir die mangelnde Anerkennung des Hobbys mit Sprüchen wie „Es ist ja nur ein Spiel“. Damit verhindern wir, dass wir als Rollenspielszene unser eigenes Medium besser verstehen und voranbringen können. Ich möchte meinen Beitrag zu diesem Diskurs leisten, indem ich meine Gedanken zum Erzählen von Geschichten in Pen&Paper Rollenspielen mit euch teile.
Zusammenfassung
Rollenspiel wird als Medium innerhalb der Rollenspielszene viel zu wenig diskutiert. Das was unser Hobby besonders macht, ist der direkte Zugang und die Mitgestaltung aller beteiligten Personen. Ich finde, dass wir diese Besonderheiten viel stärker ergründen sollten, um herauszufinden, wie wir unser Hobby noch spannender, immersiver und lehrreicher gestalten können.
Dadurch, dass Rollenspiel vor allem von Laien vorangetrieben wird, fehlt es an einem professionellen Diskurs und hochwertigen Debatten. Viele Spieler lassen sich ihr Hobby kleinreden. Damit akzeptieren sie die Mainstream-Meinung, dass es ja „nur ein Spiel“ sei. Diese Einschätzung bringt mit sich, dass wir das Potenzial von Rollenspielen falsch einschätzen und viele Gelegenheiten für spannende Spielstunden verschwenden. Hier geht es zum ersten Artikel der Serie.