Deutschland sieht sich heutzutage ja oft als einen Teil von „Westeuropa“. Wir teilen unser Europa seit einigen Dekaden recht strikt in Ost und West. Kulturhistorisch ist das allerdings nicht sehr nützlich. Zum einen ist diese Einteilung sehr grob und zum anderen sehr modern. Deutschland ist ein Staat an der Schwelle und damit Teil von Zentraleuropa – diesem interessanten Teil von Europa, der in der Großmachtspolitik von Sowjetunion und NATO immer ein bisschen die Rolle der Verfügungsmasse zukam. Es gab die Großen, und dann gab es „die dazwischen“.
Das war aber nicht immer so. Im 13. und 14. Jh. besaß Polen ein dynamisches Staatswesen, das früh auf die Beteiligung des Adels und auf gestreute Macht gesetzt hatte, was ihm Flexibilität und durch die Einbindung des Adels auch eine gewisse Stabilität verschafft hatte. Kurz: Polen war ziemlich modern. Technisch nicht überall auf der Höhe der Zeit, aber politisch agil. Doch nach dem Ende des Mittelalters ebbte diese Dynamik ab und die Strukturen verhärteten sich. So war Diplomatie neben der Armee schon immer eines der wichtigen Werkzeuge jedes Herrschers und jedes Staates. Im 17. Jh. waren die Streitkräfte von Polen-Litauen jedoch verglichen mit den anderen Großmächten zahnlos, die Wirtschaft schwächelte und die Diplomaten waren oft schräge Vögel aus dem Adel.
Polen-Litauen
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war die polnische Republik (ein Zusammenschluss aus Polen und Litauen) der größte Flächenstaat Europas. Mit fast 1 Million Quadratkilometer vereinte es die Länder der heutigen baltischen Staaten, Polen, Weißrussland und der Ukraine. Mit 10 Millionen Einwohnern hatte es so viele Einwohner wie die spanische Halbinsel oder Italien.
Doch um die politische und wirtschaftliche Verfassung stand es schlecht. In den Jahren zuvor hatte es immer wieder Querelen um die Herrschaft und Streitigkeiten mit dem erstarkenden Moskauer Großfürstentum im Osten gegeben, welches 1547 dann das erste Zarenreich begründete.
Die Republik musste immer wieder militärische Niederlagen einstecken und quälte sich mit internen Unruhen und einer gelähmten Adelsversammlung, die seit Urzeiten auf das Einstimmigkeitsprinzip setzte. Die Könige wurden von der Versammlung gewählt und hatten darum oftmals kein Interesse daran, sich weiter um das Land zu kümmern, da sie sowieso nicht davon ausgehen konnten, dass ihre Söhne danach an die Macht kämen.
Viele der Herrschaftsrechte lagen außerdem gänzlich bei der Versammlung, die sich selten einig wurde – der König hatte also kaum etwas zu melden. Andere Länder hingegen stärkten und konsolidierten ihre Staatsmacht und begründeten moderne Ministerien und Institutionen, welche die Machtausübung fortführten, selbst wenn der König wechselte.
Drittweltland
Die Wirtschaft hatte sich in Europa ebenfalls gewandelt. Aufstrebende Handelsmächte wie England und vor allem die industriell fortschrittlichen Niederlande konkurrierten mit den Kolonialmächten Spanien und Portugal um den Wohlstand, während Frankreich Kontinentaleuropa dominierte.
Zentraleuropa hingegen wurde wirtschaftlich abgehängt. Polen-Litauen hatte sich nie von der vormodernen Produktionsweise verabschiedet. Der Reichtum des Staates lag im Land selbst und in den Minen. Die Flotten, mit denen die Niederländer den Weltmarkt eroberten, bestanden größtenteils aus polnischem Holz. Tuch und hochwertige Handwerkswaren kamen jedoch aus Westeuropa – nicht aus Polen. Zentraleuropa produzierte Flachs, Weizen, Holz und Eisen – also Rohstoffe.
Fremde Händler sacken die Gewinne ein
Ein zusätzliches Problem war, dass die Polen über keine Handelsflotte verfügten. Rohstoffe zu verkaufen, hätte ja durchaus Gewinne bringen können, nur sackten die Händler das meiste davon ein. Fast alle Exporte liefen über den Ostseehafen Danzig bei der Mündung der Weichsel, über die aus dem Inland die Waren ans Meer geschafft wurden.
52% der Schiffe, die dort ablegten, fuhren unter niederländischer Flagge, 24% waren friesisch und 12% englisch. Allein diese drei Nationen vereinten also 88 Prozent der Exportkapazität auf sich!
Es ist also kein Wunder, dass Polen wirtschaftlich abgehängt wurde und von der Gnade der westeuropäischen Mächte abhing. Im Osten befand sich das aufstrebende Zarenreich, im Norden waren die schlagkräftigen Schweden und im Süden die Osmanen. Trotz allem war Polen-Litauen natürlich auf der internationalen Bühne aktiv, schließlich mussten neue Könige gefunden, Adlige verheiratet und Verbündete gewonnen werden.
Frühe Diplomatie
Man muss wissen, dass die hochkomplexe Diplomatie von heute früher noch ganz anders aussah. Erst um ca. 1500 setzte sich die Praxis zunehmend durch, einen Botschafter permanent zu stationieren. Vorher wurden meist noch einzelne Würdenträger entsandt, um spezifische Krisen zu lösen oder um temporär als Vertretung zu dienen. Außenministerien waren noch kaum ein Thema. Frankreich besaß das größte davon, und dieses hatte 1780 gerade einmal 70 Angestellte!
Polen hingegen hatte vor allem eines: einen starken Adelsstand, der seine Privilegien hütete. Dagegen gab es nicht einmal eine königliche Kanzlei, die zumindest annäherungsweise so etwas wie eine zielgerichtete Außenpolitik hätte formulieren können.
Die polnischen Diplomaten
Dem einfachen Bürger in fremden Ländern musste Polen entgegen den Realitäten als mächtiges und reiches Land in der Ferne erscheinen, denn die polnischen Gesandten waren berüchtigt für ihr protziges Auftreten. Mit Pomp und Prunk versuchten sie zu beeindrucken, um sich und ihr Land in strahlender Glorie zu präsentieren.
Die polnischen Diplomaten zogen alle Register und karrten regimenterweise Haustruppen in fremde Länder, kleideten jeden in Samt und warfen nur so mit Gold um sich. Derweil waren die Armeen in der Heimat kaum in der Lage, rebellische Kosaken einzuhegen oder die Grenzen zu sichern.
Goldene Hufe und Exoten
Krzysztof Zbaraski traf 1622 in Istanbul ein, um dort für 2 Jahre als Botschafter zu dienen und Geiseln zurückzukaufen, welche die Osmanen im Krieg genommen hatten. Ihm voraus marschierten mehrere Regimenter privater Truppen in feinsten Uniformen, flankiert von Kavalleriepferden, deren Satteldecken aus Samt waren und deren Sättel mit glitzernden Halbedelsteinen verziert worden waren. Dazu kamen Dutzende von Pagen, Kosaken und berittene Musketiere.
11 Jahre später beeindruckte ein anderer Gesandter Rom, als er mit 300 Reitern und 10 Kamelen in Rom einzog, die er mit Federn, Gold und Perlen verschönert hatte. Die Kamele wurden alsbald Standard bei den Gesandten. Immer mehr davon.
Doch das Fanal der Verschwendung kam 1645, als eine Gesandtschaft in Paris ankam, um Marie Louise de Gonzague abzuholen, die den polnischen König heiraten sollte. Er ließ seine Pferde allesamt mit goldenen Hufeisen beschlagen. Der Clou dabei war, dass er darauf achtete, dass die Hufeisen schlecht befestigt waren, sodass die Pferde sie während der Parade quer durch die Stadt nach und nach verloren. Die polnische Delegation ließ also Aberdutzende von goldenen Hufeisen zurück, die auf den Straßen liegend dem Volk von Paris ein Zeichen sein sollten.
Zu viele für Frieden, zu wenige für Krieg
1676 hatte eine Delegation nach Moskau schon einmal 1500 Begleiter. Zum Vergleich: Der Hofstaat von Karl dem Großen war auch nicht gewaltiger und die Muslime hielten Antiochia mit 5000 Mann. Ein Jahr später besuchte Jan Gninski, der Schatzmeister Polens, die Osmanen. Einer seiner Gastgeber fasste die polnische Diplomatie gut zusammen, als er kommentierte, dass der Pole zu viele Leute gebracht habe, um Frieden zu schließen, aber auch zu wenige, um einen Krieg zu führen.
Hat dir der Artikel gefallen? Vielleicht möchtest du uns als Dankeschön ja einen Kaffee ausgeben?
„Geschichtskrümel“ ist eine wöchentlich erscheinende Serie aus Kurzartikeln. Sie soll Autoren, Spielern und Spielleitern als Anregung dienen und Inspiration fürs Rollenspiel oder Geschichten bieten. Die Geschichtskrümel drehen sich um historische Ereignisse oder Themen, über die ich in meinem Alltag stolpere. Sie sind manchmal lehrreich, manchmal skurril und manchmal einfach nur lustig.
Quellen:
- Berend, Nora, und andere. Central Europe in the High Middle Ages. Bohemia, Hungary and Poland, c.900–c.1300. Cambridge, 2013.
- Zamoyski, Adam. Poland. A History. London, 2009.
- http://www.ediplomat.com/nd/history.htm
- Bild, Coat of Arms: Avalokitesvara, Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0
- Bild, Karte: Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0