Vor Kurzem arbeitete ich an einer Mikro-Setting-Kartenserie mit dem Thema „Die Pirateninsel“, die mittlerweile erschienen ist. Jetzt arbeite ich an einer neuen Serie, die den klangvollen Namen „Die Insel des Vulkangottes“ trägt. Das, was beides verbindet, ist klar: das Meer.
Bei der Arbeit an den Karten greife ich für das Entwerfen der spielerischen Aspekte und der Dramatisierung der Schauplätze auf den Erfahrungsschatz von zwei Seefahrtskampagnen zurück. Die längere dauerte um die 120 Spielsitzungen und führte uns kreuz und quer durch die Karibik. Von Barbados bis Jamaika, von Hispanola bis Boston. Obendrein habe ich jede Menge Bücher zu dem Thema verschlungen und dazu vermutlich jeden Piratenfilm gesehen, den es in Farbe gibt (und ein paar in Schwarz-Weiß).
Tatsächlich ist eine meiner frühesten medialen Erinnerungen, die nichts mit Kinderkram wie der Biene Maja, Tao-Tao dem Panda oder Puschel dem Eichhorn zu tun hat, jene an „Die Schatzinsel“, die ich zusammen mit meinem damals besten Schulfreund Folge für Folge im Fernsehen verschlungen habe. Bei beiden Projekten kommt mir außerdem zugute, dass meine Mutter fast zwei Jahrzehnte lang wissenschaftliche Grafikerin am Geologischen und am Meteorologischen Institut der FU Berlin gewesen ist.
Aber das eine sind Karten, und hier geht es jetzt um praktische Tipps für Rollenspieler! Darum fasse ich einige meiner Erfahrungen in Textform zusammen. Vielleicht spielst du ja selbst mit dem Gedanken, mal eine Seefahrtkampagne zu spielen, oder planst bereits eine. Dabei hilft dir dieser Artikel hoffentlich. Einige historische Einblicke geben dir unsere Geschichtskrümel zur Seefahrt.
Das große Ganze
Am Anfang jeder Seereise stehen ein Startpunkt und irgendein Ziel. Das klingt jetzt etwas banal, aber es ist tatsächlich sehr, sehr wichtig. Eine Seefahrtkampagne ist vergleichbar mit einem alten Computerspiel-Adventure, bei dem es eine Karte gibt, aber nur bestimmte Orte der Karte angeklickt werden können, denn an den meisten Orten ist schlicht nichts Interessantes.
Eine Weltkarte, gleich, wie präzise oder unpräzise sie auch sein mag, ermöglicht es den Spielern erst, ein Ziel zu setzen und sich gedanklich auf die Reise zu machen. Das ist ein wenig wie bei Indiana Jones, wenn man übereinander geblendet ein Flugzeug oder ein Schiff mit der Weltkarte sieht: Bestenfalls einzelne Abschnitte der Reise sind tatsächlich Teil des Abenteuers, das meiste wird einfach übersprungen, jedoch durch die Überblendung dargestellt.
Im Rollenspiel bedeutet das, dass man das meiste mit wenigen Worten zusammenfasst, einige Highlights betont und eventuell einen einzelnen Encounter ausspielt. Dabei hilft wieder die Karte. Zu wissen, wo man ist, wohin man will und wie man in etwa dorthin kommt, verbildlicht das Konzept der Reise und macht es greifbar. Das gilt auch für Inseln, auf denen man anlandet, die ebenfalls von einer Karte profitieren.
Eine Stärke der Realität: sie ist real
Ist dein selbst ausgedachtes Setting nur schwach ausgearbeitet, dann liegt eine große Stärke der Realität. Die Realität ist nun einmal real und ihre Geschichte leichter greifbar als jede Fiktion. Es gibt tolle Seekarten aus vergangenen Zeiten, die man als Grundlage benutzen kann. Auch wenn nicht jede Insel genau so aussieht, wie man es gerne hätte – aber hier kann man ja neue hinzufügen, solange sie nicht gerade so groß sind wie Kuba.
Fast jeder Spieler hat zudem irgendwelche Bilder im Kopf, wenn ich von der Karibik spreche, von Tortuga oder von Jamaika. Diese Bilder mögen Klischees sein oder sich gar als unwahr erweisen, aber sie sind vorhanden und können genutzt, abgerufen und umgeformt werden. Obendrein hat die reale Geschichte eine immense Informationsdichte.
Selbst wenn man sie stark abwandelt, Zauberei und Ungeheuer einbaut oder ganze Abläufe verändert, ist die Realität ein sehr gutes Setting für eine Seefahrtkampagne. Entscheidet man sich dennoch für ein völlig fiktives Setting, so muss man die Dichte der Realität und die starken Bezüge alle selbst aufbauen. Das ist eine Menge Arbeit, aber lass dich davon im Zweifel nicht abhalten, wenn es das ist, was du willst! Du tust dir dabei einen Gefallen, wenn du das Gebiet der Handlung ausreichend einschränkst. Eben nur die Karibik statt die sieben Weltmeere.
Was deshalb prima funktioniert – und so machen wir es selbst –, ist, die Realität zu ergänzen. Kleine Inseln, einsame Strände usw. kann man zu Hunderten in die Welt werfen, ohne dass sie das große Ganze verändern. Auch einzelne verfeindete Kapitäne, ein korrupter Gouverneur oder ein wütender Admiral sind kein Problem, selbst wenn der Admiral eine kleine Flotte in Bewegung setzt.
Politik
Sicher, Piraten wollen Rum, Pieces-of-Eight und mehr Rum. Je nach Inklusivität Huren, Lustknaben oder finanziell fair kompensierte Tagesabschnittsgefährt*Innen. Trotz Rum und Huren ist aber vor allem die Politik absolut entscheidend für eine gute Piratenkampagne!
Welches sind die Mächte in der Welt oder der Epoche und der Region? Welche Nationen verfügen über große Flotten? Man kann schließlich nur dann spanische Galeonen voller Silberbarren überfallen, wenn es Spanien gibt und wenn Spanien über eine Armada von Galeonen verfügt, die von einem Ort, wo es Silber gibt, nach Spanien fahren. Logisch so weit.
Keine politischen Konflikte – keine Freibeuter
Ohne miteinander in Konflikt stehende Nationen gibt es auch keine Freibeuter, denn niemand wäre da, um Kaperbriefe auszustellen. Es gäbe auch keine raffgierigen oder inkompetenten Kolonialgouverneure, weil es ohne Imperien auch keine Kolonien gibt.
Wenn du also eine Piratenkampagne planst, überlege dir, welches die Machtblöcke der Welt sind, denn sie werden definitiv eine Rolle spielen und die Geschichte prägen. Dann überlege dir, wo in diesem Machtgefüge die Spielercharaktere stehen bzw. deine eigene Spielfigur, falls du selbst Spieler bist. Persönliche Abneigungen und Vorlieben zu haben, ist ebenso wichtig wie das Spiel der Nationen untereinander.
Werde persönlich
Manch ein Pirat war von persönlichen Animositäten getrieben. Captain Bartholomew „Black Bart“ Roberts, nicht zu verwechseln mit Edward „Black Beard“ Teach, griff beispielsweise besonders gerne Schiffe an, die unter englischer Flagge fuhren. Er erklärte sogar den Kolonien Barbados und Martinique persönlich den Krieg. So etwas hat Pathos und beinhaltet einen schönen Schuss Extravaganz. Beides Dinge, die einer Piratenkampagne sehr guttun können und zu sehr interessanten Verwicklungen führen.
Das Schiff
Der wichtigste Charakter einer Seefahrtkampagne, neben den Protagonisten selbst, ist das Schiff. Gleich, ob es ein Piratenschiff ist oder ob man auf einem Schiff Ihrer Majestät spielt: Das Schiff ist viel mehr als nur ein Fahrzeug.
Schiffe haben eine Persönlichkeit, einen spezifischen Stil, und sie haben eine eigene Kultur. Manche Besatzungsmitglieder der Mannschaft leben auf diesen Schiffen über Jahre und Jahrzehnte. Die Klasse eines Schiffs spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Größe. Sogar der Name ist überaus wichtig.
Jedes Schiff hat ein anderes Flair
Du wirst mir sicher zustimmen, dass es völlig unterschiedliche Bilder und Gedanken in dir hervorruft, wenn ich folgende Schiffsnamen nenne:
- Kobold II
- Swift Wind
- HMS Damnation
- Nuestra Señora de la Concepción
Bei der Kobold II vermute ich mal, dass du an ein sehr kleines Schiff denkst. Noch dazu eines, das nicht als Erstes diesen Namen trägt. Swift Wind klingt nach einem schnellen, wendigen Schiff, und bei der HMS Damnation hast du vermutlich direkt das Bild eines großen Kriegsschiffs mit mehreren Kanonendecks vor Augen. Und was könnte eine „Nuestra Señora de la Concepción“ anderes sein als eine Schatzgaleone?
Grade groß genug aber nicht zu groß
Der erste Schritt ist also, das passende Schiff zu wählen. Dabei sollte ein Schiff im Rahmen einer Rollenspielkampagne nicht allzu mächtig sein. Viele Spieler träumen sich gern in Machtfantasien hinein, aber ein zu gewaltiges Schiff schließt dramaturgisch mehr Türen, als es öffnet. Wer mit der HMS Victory auf Kaperfahrt geht, der fürchtet weder Tod noch Teufel. Allerdings nicht, weil er so mutig wäre, sondern weil er dem Teufel jederzeit den Hintern grillen könnte.
Ein gutes Spielerschiff reicht geradeso aus, um das zu tun, was im Mittelpunkt der Kampagne stehen soll. So bleibt gewährleistet, dass List und Tücke, Raffinesse und Taktik stets von Bedeutung bleiben. Eine zügige Sloop mit zwei Masten ist oft schon genug!
Auch Bündnisse mit anderen Kapitänen braucht es nur dann, wenn man die Aufgabe nicht genauso gut auch allein bewältigen könnte. Außerdem bedeuten große Schiffe auch, dass immer mehr Charaktere vorhanden sind, welche den Spielern die Show stehlen können. Niemand will ein Rädchen im großen Getriebe sein.
Die Spielercharaktere
Was ist der Platz für die Charaktere der Spielenden in einer Schiffskampagne? Ein naheliegender Ansatz ist, die Spielercharaktere alle zu Offizieren zu machen und ggf. sogar einen von ihnen zum Kapitän. Das ist ein Ansatz, der funktioniert. Es sorgt für eine flache Hierarchie unter den Protagonisten, vom Kapitän einmal abgesehen. Es gibt den Spielern auch viele Freiheiten und Befugnisse.
Allerdings hat es auch eine Menge Nachteile. Es verhindert sehr leicht, dass alle Charaktere zusammen sind, wenn man das Schiff einmal verlässt. Spielt nämlich eine Spielerin die Kapitänin, ein Mitspieler den ersten und ein weiterer Mitspieler den zweiten Offizier, dann ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass sie alle drei mit dem Ruderboot an Land gehen, um die alte Maya-Ruine zu erkunden. Einer wird zurückbleiben müssen, um das Kommando über das Schiff zu führen.
Im Einzelfall kann man das umgehen, aber auf Dauer wird es immer schwerer werden, diese Aspekte vernünftig zu managen. Auch das Problem mit dem Schlafzyklus kommt hinzu, denn wenn alle Offiziere sind, dann überlappen ihre Tagesrhythmen einander. Irgendwer hat schließlich die Frühschicht und jemand anderes die Spätschicht.
Auch kommt mit der Führung eine Menge Verantwortung daher. Selbst wenn man es eher locker spielt, werden die Spieler von Offizieren sich Gedanken über ihren Aufgabenbereich machen. Im schlimmsten Fall haben die Spieler dabei völlig unterschiedliche Ansichten darüber, wie ernst bestimmte Aspekte davon genommen werden sollten. Daraus können Konflikte entstehen.
Soziale Bande
Eine gute Alternative ist es, einen sozialen Kreis zu spielen, der neben dem Machtgefüge der Schiffsführung existiert. Vor allem eine asymmetrische Charaktererschaffung kann dabei sehr gut funktionieren. Nicht alle Charaktere müssen schließlich mit dem gleichen Ausmaß an Fähigkeiten erschaffen werden. Auch wenn viele Spieler davor zurückschrecken, kann ich nur empfehlen, es einmal auszuprobieren und eine asymmetrische Gruppe zu erschaffen.
Ein sozialer Kreis, der hervorragend funktionieren kann, sind beispielsweise der Kapitän, der Schiffsjunge, den er quasi als Ziehsohn adoptiert hat, der imposante Sklave, den der Kapitän befreit hat und der ihm nun ähnlich wie Chewbacca folgt, sowie der Schiffsarzt, der an Bord ist, weil er das Abenteuer sucht. Wir haben hier ein Beispiel für eine Gruppe, die im klassischen D&D-Sinn Krieger, Barbar, Dieb und Priester ist.
Wichtig ist dabei nur, dass der Schiffsjunge nicht einfach nur schnell, geschickt und diebisch ist. Er sollte schon flink wie ein Wiesel und geschickt wie ein Äffchen sein. Sonst stechen ihn die anderen zu leicht aus. Der Chewbacca-Charakter sollte genauso nicht einfach nur stark sein, sondern ruhig der stärkste Mann auf dem ganzen Schiff. Der Arzt wiederum muss überhaupt nichts sein, außer Arzt. Selbst wenn er ein saufender, herumhurender Stümper ist, der das Ableben der Hälfte seiner Patienten eher befördert, als es zu vermeiden, ist er besser als das, was andere Piratenschiffe haben. Ein Arzt ist nämlich ein gesuchter Experte und ein echter Luxus.
Familienbande
Was auch gut funktioniert, sind Geschwister oder ehemalige Waffenbrüder. Kaum jemand wird als Pirat geboren. Das ist nur eine Etappe auf dem Lebensweg. Aber Blut? Das ist dicker als Wasser. Und auch das Band, das auf dem Schlachtfeld geknitet wird, bindet lebenslang durch dick und dünn.
Dabei ist es mit dem Geschwisteransatz auch möglich, tiefe Abgründe an Bord zu überbrücken. Für Geschwister spielt es keine Rolle, wenn einer Zahlmeister ist und der Bruder lediglich der Koch. Die reden dann trotzdem miteinander und machen gemeinsame Sache bei Abenteuern, denn als Spieler hast du es ja in der Hand, zu entscheiden, dass sie das tun.
Eine Gruppe, die in der Armee bei der Artillerie gedient hat, ist zum Beispiel ein sozialer Kreis, der auch auf einem Schiff leicht Bestand haben kann. Zumal alle Beteiligten dabei über äußerst gefragte Fähigkeiten verfügen, und wer etwas kann, das man nicht so einfach ersetzen kann, der kann es sich erlauben, etwas exzentrischer zu sein.
Sogar eine Handwerkergruppe ist problemlos möglich, denn Handwerker sind ebenso gefragte Spezialisten an Bord. Den Schiffszimmermann und seinen Gesellen zu spielen, ginge also auch gut und ist ausbaufähig und kompatibel zu anderen Gruppen.
Zusammenfassung
Kampagnen auf See bieten viel Platz für starke und eigenständige Charaktere und bieten sich prima an für relativ offene Geschichten, bei denen die Spieler viele Entscheidungen treffen, denn das Schiff begrenzt ganz natürlich den Drang der Gruppe, auseinanderzudriften. Damit das Spiel gut klappt, gibt es einige Dinge, die dabei helfen, den Überblick zu behalten.
Zum einen ist es wichtig, dass das große Ganze geklärt ist: die politischen Machtblöcke der Welt müssen jedem begreiflich sein, denn gerade der Streit der Nationen und die kolonialen Handelsströme sind eine wichtige Triebkraft im „Golden Age of Piracy“ und seinen fantastischen Ablegern. Ist deine ausgedachte Welt nur schwach ausgebaut, dann haben angepasste Varianten der realen Geschichte hier klare Vorteile, denn die Realität, die ist bekannt, und man kann auf reales Material zurückgreifen. Selbst ausgedachte Inseln, Organisationen usw. kann man hervorragend in die Realität einfügen, denn um 1700 herum war nun mal vieles noch schlecht erforscht.
Das Schiff ist einer der zentralen „Charaktere“ einer Seefahrtkampagne. Was für ein Schiff die Spieler fahren, definiert stark das Spielgefühl und den Umgang mit Gefahren und anderen Kapitänen. Die Faustregel ist: Grade groß genug, aber niemals so mächtig, dass man keine cleveren Pläne und Verbündete mehr braucht, um sich den Antagonisten zu stellen.
Die restlichen Artikel zum Rollenspiel auf See findest du hier.
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