Freibeuter, und das muss ganz an den Anfang, sind keine Piraten! Sie sind Teil einer Strategie von Staaten, während Kriegszeiten ihre Fähigkeiten zur Seekriegsführung zu stärken, um die feindlichen Handels- und Kriegsflotten einzuschränken und zu bekämpfen. Klingt komplizierter, als es ist.
Worauf ich dabei hinauswill, ist, dass Freibeuter Teil des Zusammenspiels aus dem Staat und privaten Akteuren waren, um in Kriegszeiten die eigenen Ziele durchzusetzen. Dabei wechselten zivile Seeleute fast reibungsfrei von der zivilen Schifffahrt in den Kriegsdienst, ohne sich dabei in der Flotte des Staates zu verpflichten. Der sich ausbildende frühe Staat steckte vielerorts noch in den Kinderschuhen. Durch Freibeuterei konnte er seine Fähigkeit, Krieg zu führen, durch relativ geringen Aufwand verbessern – jedoch auch mit eher geringer Kontrolle über das Ergebnis..
Bei Freibeutern denkst du jetzt vielleicht sofort an die Karibik. Die wichtigsten Gewässer für den Seekrieg europäischer Mächte waren allerdings immer nahe der heimatlichen Küsten, aber auch dort kamen Freibeuter zum Zug. Gerade Frankreich machte eifrigen Gebrauch von Kaperbriefen für seine Seefahrer.
Das hatte auch Auswirkungen auf die Entwicklung der diplomatischen Beziehungen. Durch das Einsetzen von Konsuln, um die erbeuteten Schiffe rechtlich sicher abzuwickeln, entstanden vielerorts erste langfristige diplomatische Vertretungen in den Häfen. Denn Freibeuter sind keine Piraten – und das sind sie aufgrund der Prisengerichte.
Wo der Pirat sich nimmt, was er will, mussten die Opfer von Freibeutern gewisse Kriterien erfüllen, und die Beute war bei einem Prisengericht zu überprüfen, bevor sie verkauft werden konnte.
Staat oder Privat?
Die ersten Kaperbriefe wurden irgendwann im oder sogar noch vor dem 13. Jh. ausgestellt, und die ersten Prisengerichte entstanden bereits 1373 in Frankreich und 1426 in England. Also zu einer Zeit, die viele Leute nicht klassischerweise mit der Seefahrt verbinden. Auch wenn die Hanse hier natürlich protestierend aufschreit – zu Recht. Im Mittelalter waren die meisten Könige allgemein stark auf die Schiffe privater Händler angewiesen. Eine großangelegte Invasion, wie die von König Edward in Frankreich, wäre logistisch sonst gar nicht zu stemmen gewesen.
Der Krieg, der wird im ausgehenden Mittelalter und in der frühen Neuzeit nicht mehr in Form von Fehden und Kleinkriegen geführt. Ein (National)Staat oder ein legitimer, souveräner Herrscher erklärt Krieg, niemand sonst. Konzepte wie Piraterie oder Räuberei erfordern zwingend, dass es jemanden gibt, der als „legitime“ Instanz angesehen wird, um Gewalt anzuwenden. Im Europa nach dem Mittelalter war das zunehmend der Staat.
Noch lange war es jedoch üblich, dass Privatleute wie z.B. Stadtbürger ihre Freiheiten auch dadurch betonten und verteidigten, dass sie Waffen besaßen und trugen. Erst im 17. Jh. professionalisierten sich die Streitkräfte und entwickelten sich langsam zu stehenden Heeren. Gerade in der Übergangsphase ergänzten allerdings Milizaufgebote und Söldner die Truppen der Herrscher.
Schiffe sind teuer – und zwar langfristig!
Die herrschaftliche Flotte wie beispielsweise die Royal Navy ist sehr viel besser geeignet, um Krieg zu führen – nur ist sie auch sehr viel teurer. Die Industrie und Wirtschaft Englands war in vielen Bereichen allein auf den Aufbau und Erhalt der Flotte ausgerichtet – logisch, denn England ist ja eine Insel. Diese Arbeitskraft war für andere Dinge verloren, während allerlei Tüftler daran arbeiteten, die Flotte besser zu machen, auch mit solch scheinbar simplen Dingen wie modernere Schiffsküchen. Entsprechend mussten die Engländer ihre Flotte auch nutzen – ein Grund, warum sie ihr Weltreich aufbauten und auch weithin als Piraten verschrien waren. Die Kontrolle über die Aktivitäten englischer Seeleute in aller Welt durch die englische Krone war nämlich eher lax.
Frankreich – Freibeuterstaat
Frankreich hingegen war die Macht Kontinentaleuropas. Entsprechend war die Flotte nie die erste Priorität, denn im Süden lauerte Spanien und im Osten das Habsburgerreich. Bis ins 17. Jh. war die französische Flotte kaum relevant für den Krieg gewesen und Frankreich hatte eine lange Tradition der Freibeuterei aufgebaut. Das änderte sich erst unter Richelieu.
Später baute Minister Colbert, der Marineminister des Sonnenkönigs Louis XIV. darauf auf. Er strebte danach, eine Flotte aufzubauen, die es mit England zumindest grundsätzlich aufnehmen konnte. Nach einigen Siegen zur See verschwand der Enthusiasmus für die Flotte jedoch 1695 bald wieder, denn es fehlte an einem klaren Nutzen und strategischen Zielen für die Flotte.
Privatleute in den Krieg – Freibeuter
Frankreich wollte sich also nicht die teure Infrastruktur leisten, um ein schlagkräftiges Heer und eine mächtige Flotte zu finanzieren, die es konstant in Schuss hielt. Ähnlich ging es auch vielen anderen Staaten, die nicht wie England oder die Niederlande auf eine Seepräsenz angewiesen waren.
Eine Möglichkeit für einen Herrscher, seine Schlagkraft zu erhöhen, ohne selbst großen Aufwand zu betreiben, waren eben Freibeuter, denn Krieg kann eine lukrative Sache sein! Unter anderem, weil Krieg gleichzeitig schlecht ist fürs Geschäft. Viele Kapitäne sahen es als opportun an, im Kriegsfall lieber Jäger als Beute zu sein, denn die Handelswege in Europa waren dann alles andere als sicher. Zumal es kaum günstigere Waren gibt als die, welche man nicht bezahlt hat. Die Initiative für Kaperbriefe ging darum oftmals von Investoren und Kapitänen aus, die ihren Anteil an der möglichen Kriegsbeute haben wollten.
Deshalb ist Freibeuterei auch kein simples „Outsourcing“ der Fürsten Europas. Stattdessen ist es mehr ein Tausch. Der Staat erhält ein Kriegsschiff, das dem Feind Schaden zufügt. Der Freibeuter erhält eine legale Möglichkeit, fremde Schiffe zu kapern. Ein Nachteil für die Herrscher war jedoch, dass sie nahezu keine Kontrolle darüber hatten, was die Freibeuter taten. Die meisten von ihnen waren schließlich hier, um Geld zu verdienen – und suchten sich ihre Ziele gut aus. Auch war kaum ein Freibeuter so dumm, sich in große Seeschlachten verwickeln zu lassen, wenn er es vermeiden konnte. Da er ein Privatmann war, konnte ihn der König dazu auch nicht zwingen. Für echte militärische Operationen musste also trotz allem eine staatliche Flotte her.
Kaperbriefe
Der Dreh- und Angelpunkt der Freibeuterei ist der Kaperbrief (Engl. letter of marque and reprisal; Franz. lettre de marque; lettre de course). Dieses Schriftstück erlaubt es einer Person, die Schiffe von Nationen anzugreifen und zu erbeuten, welche im Krieg mit dem Staat stehen, der den Kaperbrief ausgestellt hat. Sobald ein Schiff erbeutet wurde, muss es in einen Hafen mit einem Prisengericht überführt werden. Stellte das Gericht dann fest, dass alles korrekt abgelaufen war und das erbeutete Schiff die notwendigen Kriterien erfüllte, dann wurde es versteigert und das Geld zwischen Freibeuter und Staat aufgeteilt. Wie all das abzulaufen hatte, war in Gesetzen festgeschrieben.
Die französischen Regularien
Als Beispiel dafür möchte ich die französischen Gesetze heranziehen. Frankreich setzte sehr stark auf Freibeuter und entwickelte seine Regularien entsprechend mehrmals weiter.
Die Ordonnance de la marine von 1681 legt fest, dass ein zukünftiger Freibeuter für die Bewaffnung eines Schiffs vom König oder von der Admiralität eine Erlaubnis benötigt. Danach musste das Schiff registriert und eine Sicherheit von 15‘000 Livre hinterlegt werden – eine beträchtliche Summe.
War das erledigt, konnte nun in See gestochen werden! Sollte der Freibeuter erfolgreich sein, dann war er angewiesen, das erbeutete Schiff zurück in einen französischen Hafen zu bringen, am besten in den Heimathafen des Freibeuterschiffs.
Eine gute Prise
Der wichtige Unterschied zwischen einem Piraten und einem Freibeuter war, dass ein Prisengericht seine Beute als legal anerkannte. Was war nun aber legale Beute bzw. Prise, wie es nautisch korrekt heißen muss?
Legale Prisen für Freibeuter waren:
- Schiffe, die zu einer feindlichen Macht gehörten.
- Schiffe unter der Kontrolle von Piraten.
- Schiffe, die keine Kommission eines souveränen Staats oder von einem Fürsten vorweisen konnten.
- Schiffe, die über Kommissionen/Registrierungen aus mehr als einem Staat verfügten.
- Schiffe, die unter falscher Flagge kämpften.
- Schiffe, die Waren von feindlichen Staaten transportierten.
- Schiffe, die nicht nachweisen konnten, woher ihre Waren kamen. Entsprechende Nachweise vor dem Prisengericht geheimzuhalten, um die Prise legal erscheinen zu lassen, war explizit verboten.
Sobald ein Schiff erbeutet war, musste der Kapitän alle Papiere und Dokumente, die als Beweisstück relevant sein konnten, einsammeln und sicher verwahren. Jedes Durchsuchen der erbeuteten Ware oder das Verkaufen von Teilen davon war nicht gestattet.
Danach musste das Schiff zusammen mit allen Gefangenen direkt zum Heimathafen des Freibeuters gebracht werden, um die Prise prüfen zu lassen. Geschah dies nicht, dann verlor der Kapitän jeden Anspruch auf die Beute und erhielt eine Strafzahlung aufgebrummt.
Die einzige Ausnahme von dieser Regel waren das Wetter und Feinde, vor denen die Freibeuter fliehen mussten. In diesem Fall durfte ein anderer Hafen gewählt werden. Jedoch mussten in diesem Fall schnellstmöglich die Investoren des Freibeuters informiert werden, denn die wenigsten Freibeuterschiffe gehörten nur einer einzigen Person.
Prisengerichte
Direkt nach dem Einlaufen in den Heimathafen meldete der Kapitän sich bei den Beamten der Admiralität. Dort erstattete er Bericht über die Umstände, wie und wo das Schiff erbeutet wurde. Das Prisengericht übernahm nun das erbeutete Schiff und erstellte eine Inventurliste mit Menge und Qualität der Waren, die sich an Bord befanden. Sobald alles begutachtet war, wurde das Schiff versiegelt und bewacht.
Im zweiten Schritt musste überprüft werden, ob der Kapitän nicht gelogen hatte. Dazu befragten die Beamten die Gefangenen vom erbeuteten Schiff. Gab es keine Gefangenen, dann wurde stattdessen die Crew befragt. Ergab diese Befragung keine Ungereimtheiten, wurden die Waren verkauft, entweder direkt oder per Auktion. Die Admiralität erhielt 10%, der Rest ging an das Kaperschiff. Die Anteile der Crew waren das Problem des Kapitäns und der Investoren.
Alles perfekt organisiert – in der Theorie
Man könnte also meinen, dass Frankreich hier seinen (Handels)krieg praktisch auf Privatleute abgewälzt hatte und dennoch die Kontrolle behielt. Dem war nicht so.
Gerade wenn die Schiffe zu weit weg waren, um sicher nach Frankreich zurückzufahren, war diese gerichtsfeste Kette schnell gebrochen. Schiffe, welche in der Karibik und den Tropen erbeutet wurden, mussten nicht nach Frankreich zurückgebracht werden – was Tür und Tor öffnete für Piraterie, die sich als Freibeuterei tarnte.
Außerdem erhielten später die Gouverneure der Kolonien das Recht, selbstständig zu entscheiden, ob eine Prise legal war oder nicht. Was auch bedeutete, dass sie zu ihrem eigenen Vorteil entscheiden konnten oder Bestechung ins Spiel kam.
Es war auch immer leicht, das Schlupfloch zu nutzen, welches die Regularien vorsahen: Wind und Wetter oder eben Feinde verunmöglichten angeblich regelmäßig die Rückkehr nach Frankreich. So oft, dass ab 1779 sogar feste Regeln eingeführt wurden, wie Konsuln in fremden Ländern vorzugehen hatten, wenn sie erfuhren, dass eine Prise in einen Hafen ihrer Zuständigkeit einlief.
1856 wurde die Freibeuterei dann in der Deklaration von Paris verboten, auch wenn sich einige Staaten wie die USA nicht anschlossen. Fortan verfügten nur noch reguläre Kriegsschiffe über das Prisenrecht.
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„Geschichtskrümel“ ist eine wöchentlich erscheinende Serie aus Kurzartikeln. Sie soll Autoren, Spielern und Spielleitern als Anregung dienen und Inspiration fürs Rollenspiel oder Geschichten bieten. Die Geschichtskrümel drehen sich um historische Ereignisse oder Themen, über die ich in meinem Alltag stolpere. Sie sind manchmal lehrreich, manchmal skurril und manchmal einfach nur lustig.
Quellen:
- Colás, Alejandro, und Mabee, Bryan, Hrsg. Mercenaries, Pirates, Bandits and Empires. London, 2010.
- Higman, Barry W. A Concise History of the Caribbean. 1st ed. New York, 2011.
- Witt, Jan M. Piraten. Eine Geschichte von der Antike bis heute. Darmstadt, 2011.