In meiner Kindheit war es üblich, dass die Schweizer Armee regelmäßige Übungen abhielt und als volksnahe Miliz dazu auf die lokale Infrastruktur zurückgriff, namentlich auch auf meine Grundschule. Hinter der Turnhalle auf dem Fußballplatz bauten sie ihren Versorgungsposten auf, wo wir von den Soldaten Militärschokolade und Militärbiscuits schnorrten. Auch wenn Kinder 800 Jahre früher vermutlich weder Kekse noch Schokolade erhaschen konnten, galt schon immer: „Eine Armee marschiert auf ihrem Magen“ (Friedrich der Große).
Als drittes Kapitel der Reihe „Fantasy-Krieg oder Kriegsfantasien“ (Teil 1, Teil 2, Teil 4) möchte ich über Kriegslogistik sprechen. Ich greife natürlich auf das Mittelalter zurück, weshalb die Fans von High-Fantasy möglicherweise enttäuscht sein werden, dass ich nicht auf Transportdrachen und großflächig angewandte Teleportation eingehen werde und die Heere, die ich beispielhaft verwende, feudal organisiert sind und nicht den organisierten Streitkräften der Römerzeit nacheifern.
Innerhalb von eher bodenständigem Fantasy spielen Boote, Karren, Esel, Häfen und Mühlen vermutlich fast die gleiche Rolle wie für die Armeen des Mittelalters. Ich werde in diesem Artikel nur Historisches erläutern, aber in einem Folgeartikel einige Ideen beleuchten, wie man fantastische Elemente einfließen lassen kann, die auch gerade Magiern eine Aufgabe bieten. Hier gibt es aber erst einmal nur Bodenständiges, inklusive einiger Zahlen und Fakten als praktische Hilfe.
(Zum Artikel über Logistik im fantastischen Krieg)
Grundsätzliches
Den Kern von Logistik verstehen wir alle: Dinge, die am Ort B gebraucht werden, müssen von einem anderen Ort A herangeschafft werden. Je weiter man entfernt ist, desto schwieriger wird das. Ist alles erst einmal angekommen, muss es gelagert, eventuell verarbeitet und dann verbraucht sowie ggf. bewacht werden, bevor die Arbeit von vorne beginnt. Bei all diesen Zwischenschritten kann es zu Komplikationen kommen, entweder durch die Natur der Sache an sich (Weizen kann verrotten, Flaschen können zerbrechen …), feindliche Sabotage oder Überfälle oder einfach nur durch organisatorisches Versagen.
Dasselbe Problem existiert für die Armee selbst. Die Soldaten müssen ausgehoben, ausgebildet, ausgerüstet, zusammengeführt und dann bewegt werden. Das ist ebenfalls ein Teil des logistischen Problems.
Kurz: Soldaten, Equipment und Versorgungsgüter müssen aus den verschiedensten Winkeln des eigenen Territoriums dorthin gebracht werden, wo sie gebraucht werden, und wenn es vorbei ist, auch wieder zurück.
Was ist nun aber das Wichtigste, wie der alte Fritz schon erkannt hatte?
Lebensmittel
Ohne Mampf kein Kampf. Aber wie viel Mampf braucht‘s für ein zünftiges Hauen und Stechen? Soldaten erhielten im Mittel ca. 3600 Kalorien am Tag, Matrosen etwas mehr. Teilweise als Ration – wovon durchaus manchmal weniger bei ihnen ankam als zugeteilt – und teilweise durch privaten Zukauf oder Plünderung. Die Hauptanteile an der Ernährung hatten Getreideprodukte, entweder dargeboten als Brot, Zwieback oder Brei (je höher der Verarbeitungsgrad, desto besser). Ergänzt wurden diese Kohlenhydrate durch Fleisch, Fisch, Hülsenfrüchte, etwas Öl und hin und wieder auch Milchprodukte und Gemüse. Außerdem natürlich Alkohol, der zugleich das Wasser trinkbar machen konnte, wenn nötig. Mit 300–600 Kalorien war so ein Liter Bier durchaus anständig, und Wein schlug mit 825 Kalorien zu Buche.
Lebensmittel haben bekanntermaßen eine unterschiedliche Energiedichte. Zwieback liefert beispielsweise pro Gramm mehr Kraft als Brot, weil das Wasser nicht mittransportiert werden muss. Setzen wir darum als theoretische Ration 1,2 kg Brot, 200 g konserviertes Fleisch (getrocknet oder gesalzen), 100 g Hülsenfrüchte und einen Liter Bier als tägliche Ration an und lassen Wasser außen vor, dann kommen wir auf immerhin 2,5 Kilogramm Verpflegung pro Tag und Soldat. Diese müssen irgendwie herangeschafft werden, und da sie teilweise verderblich sind (das Mehl), müssen die Versorgungswege kurz gehalten werden.
(Mehr zu den Problemen der Ernährung in diesem Geschichtskrümel)
Tierfutter
Tiere wie Pferde oder Esel verbrauchen große Mengen Futter und Wasser. Außerdem sind sie deutlich anfälliger für schlechte Ernährung als Menschen. Ein Pferd geht deutlich schneller zugrunde als ein Soldat.
Ein Problem dabei ist, dass die Arbeitstiere der Europäer – Zugpferde, Reitpferde, Mulis – ca. zur Hälfte mit Kraftfutter gefüttert werden müssen und nur die zweite Hälfte ihrer Fütterung mit Gras besorgt werden kann. Brach die Logistik zusammen, dann fraßen die Soldaten sehr schnell den Pferden das Futter weg – und bald darauf die Pferde selbst.
Zur logistischen Herausforderung, jedem Soldaten seine 2,5 kg Ration pro Tag zu beschaffen, kam also noch einmal das Futter für die Tiere hinzu. Zudem mussten die Marschrouten so gewählt werden, dass frisches Wasser für die Tiere bereitstand, denn die notwendigen Mengen konnten nicht herangeschafft werden. Ohne Wasser können die Tiere außerdem ihr Futter nicht richtig verdauen!
Dieser Bedarf an Kraftfutter war auch einer der Gründe für das Konzept der „Kriegssaison“. Wenn kein Futter verfügbar ist, kann auch nichts bewegt werden. Das war in Europa üblicherweise erst im späten Frühling der Fall, denn gerade die Reiterheere brauchten nun einmal Tierfutter en masse.
Täglicher Futterverbrauch in einem mittelalterlichen Kriegszug (ca.):
- 2,5 kg für jeden Soldaten
- 10 kg für die Pferde (5 kg davon Getreide)
- 15 kg für die größten und besten Kriegspferde (7,5 kg davon Getreide)
- 7,5 kg für die Maultiere (ca. 3,5 kg davon Getreide)
- 5 kg für die Esel (nur 1 kg muss Kraftfutter sein)
- 12 kg für Kamele (5 kg davon Getreide)
- 20 kg für die Zugochsen (reine Grasfütterung reicht an sich aus, dauert aber ihre Zeit)
Transport
Jeder Soldat kann gut 45 kg an Ausrüstung und Verpflegung mit sich tragen – dieser Wert galt für den römischen Legionär und gilt auch für den modernen Soldaten. Belegterweise ist es damit auch für normale Menschen möglich, in normalem Marschtempo gut 25 Kilometer pro Tag zurückzulegen, auch 2 oder 3 Wochen am Stück oder über die Alpen! Was ein durchschnittlicher Mensch schafft, das kann ein Bauer, der körperliche Arbeit gewöhnt ist, natürlich sowieso. Der ist dann aber auch noch in der Lage, nachts das Schlachtfeld vorzubereiten, das Lager zu sichern oder möglicherweise einen Kampf zu führen. Wir haben einen eigenen Artikel zur Ausrüstung und dem Ausrüstungsgewicht von Kriegern.
Neben dem, was jeder am Leib trug, gab es generell erst einmal zwei Möglichkeiten, Dinge zu transportieren: zu Lande und zu Wasser.
Transport zu Lande
Für den Landtransport kommen klassischerweise drei Dinge zum Einsatz: Fuhrwerke, Karren und Packtiere.
Egal ob Fuhrwerk oder Karren, wenn, wie es üblich war, zwei Maultiere oder Pferde das Gefährt zogen, transportierte es vor der Erfindung des Ortscheits gut 660 bzw. 500 kg. Ab dem 13. Jh. erhöhte sich die Zugkraft durch das Ortscheit. Die Entscheidung, was davon man benutzte, war gar nicht so einfach. Klar, das Fuhrwerk transportiert mehr Gewicht. Es braucht aber auch mehr Platz auf der Straße und ist weniger wendig. Dahingegen kann ein Karren auch auf schlechteren Nebenstraßen oder bei miesem Wetter noch Boden gutmachen. Zusätzlich muss man auch immer die Frage stellen, was für Gefährte man überhaupt auftreiben kann.
Gut organisierte Reiche, wie das fränkische unter Karl dem Großen, hatten sogar standardisierte Wagen für den Krieg, sogenannte basternae, von denen jedes Landgut des Königs eine bestimmte Anzahl zur Verfügung stellen musste. Diese Karren hatte spezifische Ausmaße und waren wasserdicht, damit man sie über Gewässer flössen konnte.
Ochsengespanne von bis zu 6 Tieren konnten hingegen bis zu einer Tonne Zuladung bewegen, waren dafür recht langsam und wurden von jeder Armee abgehängt.
Übrigens: Ochsen kann man auch essen! Eine Ochsenherde brauchte nur wenig Personal, konnte die 30 km am Tag problemlos mithalten, und ein einzelner Ochse lieferte 500‘000 Kalorien oder 140 Tagesrationen für die Soldaten.
Packtiere wiederum waren sehr mobil und konnten auch auf kleinen Pfaden unterwegs sein. Ob Maultier oder Kamel, ein Nachteil war immer auch, dass man sie nachts abladen und morgens wieder beladen musste. Es gab immer wieder Reisende, die lieber etwas länger unterwegs waren und einen Karren nahmen, den man einfach abkoppeln konnte, statt jeden Tag die Tiere be- und entladen zu müssen. Um die gewaltigen Mengen an Tieren zur Verfügung zu haben, die eine Armee benötigte, betrieb der byzantinische Staat beispielsweise eigene Ranches von gewaltigen Ausmaßen.
Reichweite und Transportkapazität unter normalen Bedingungen(ca.)
- Mensch: 1 Person, 25+ km/Tag, 45 kg Gepäck
- Ochsenkarren: bis zu 6 Tiere, 15 km/Tag, bis zu 1 Tonne Zuladung
- Fuhrwerk (Pferde/Maultiere): 2 Tiere, 30 km/Tag, 660 kg Zuladung
- Pferde/Maultierkarren: 2 Tiere, 30 km/Tag, 500 kg Zuladung
- Packtier (Maultier/Pferd): 100 kg, 25+ km/Tag, 100 kg Beladung
- Kamel: 150 kg, 25+ km/Tag, 150 kg Beladung
Transport zu Wasser
Wie jeder weiß, der Waren aus aller Welt kauft, sind Schiffe sehr effizient. Es muss ja gar nicht die Maersk-Madrid sein, damit es sich lohnt. Schon die römischen Versorgungsschiffe schafften 900 Tonnen Getreide über das Meer! Ihre Flussbarken konnten immerhin bis zu 20 Tonnen bewegen. Die gewaltigen Schiffe der Römer verschwanden allerdings während des Früh- und des Hochmittelalters wieder. Üblich waren dort kleinere Schiffe mit einigen Dutzend Tonnen Kapazität. Erst ab dem 13. Jh. nahmen die Kapazitäten wieder zu. Koggen und Holken dieser Zeit transportierten um die 300 Tonnen.
Dabei ist gerade das Verschiffen ganzer Armeen eine gewaltige Herausforderung. Große Mengen von Schiffen müssen organisiert und zusammengezogen werden, nur um dann einen geeigneten Hafen zu finden, wo man auch wieder anlanden kann. Irgendein steiniger kleiner Strand reicht dafür selbstredend nicht aus. An ein Vorgreifen der gewaltigen Leistung der alliierten Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg, ihre Häfen einfach mitzubringen, war nicht zu denken.
Ähnlich wie bei den Soldaten waren einzelne Städte, Klöster oder Personen verpflichtet, bestimmte Mengen ihrer Schiffe im Kriegsfall bereitzustellen, um die Verschiffung zu ermöglichen.
Organisation
Eines der wertvollsten Unternehmen Deutschlands, der Softwareriese SAP, beschäftigt sich mit all den Problemen der Logistik: Planung, Steuerung und Verwaltung. Das, was SAP heute mit hochkomplexer Software ermöglicht, waren aber schon immer die Schwierigkeiten der Logistik.
Wenn ich nicht weiß, was ich brauche, kann ich es nicht anfordern. Wenn ich nicht weiß, wo es herkommt, kann ich es nicht hinschaffen; und wenn ich nicht mehr weiß, wie viel ich schon verschickt habe, verliere ich alsbald den Überblick. Außerdem muss ich wissen, welche Transportwege ich mit welchen Transportmitteln nutzen kann.
Darum ist Organisation und Steuerung das A und O von Logistik, direkt gefolgt vom eigentlichen Transport. Moderne Armeen haben dafür ganze Kommandostäbe und Einheiten. Mittelalterliche Armeen hingegen waren da noch etwas indirekter organisiert.
Es ist darum naheliegend, dass die Beamten und die Offiziellen der vormodernen Herrscher eine Menge Aufwand betrieben, um ihre Logistik zu ordnen. Spätestens ab dem 13. Jh. ist der „Papierkram“ einer gut organisierten Armee auch belegbar. Ein einzelner Krieg von zehn Jahren Dauer konnte Hunderttausende Dokumente produzieren, die wir noch heute auffinden können!
Steuern
Der große Unterschied zwischen den mittelalterlichen Heeren und den Heeren der frühen Nationalstaaten waren Steuern. Ohne Steuern keine zentrale Steuerung. Ein Großteil des innenpolitischen Wirkens der römischen Kaiser war noch auf das zuverlässige Einziehen von Steuern ausgerichtet, um Heere und Straßen zu finanzieren. Viele dieser Verpflichtungen entfielen in der „feudalen“ Zeit, gerade vor dem 13. Jh. Sie gingen indirekt über auf die dezentralisierte Struktur lokaler Herrscher.
Gerade England tat sich hierbei als Ausnahme hervor. Die englischen Könige verfügten mit den Sheriffs über direkte Vertreter in allen Landesteilen, welche Einkauf, Einzug und Transport von Material organisieren konnten. Von dort ging die Kette nach oben. Erst wurde das Material unter Aufsicht königlicher Beamter in regionale Zentren geschafft und von dort bei den Häfen zusammengezogen.
Das lag auch daran, dass die englischen Könige erfolgreich Steuern erhoben, was die meisten anderen europäischen Könige noch bis ins Spätmittelalter schlicht nicht durchzusetzen vermochten. Dabei kam es auch zu Sondersteuern für einzelne Kriege, wie die Abgabe von Federn. Ein Kriegszug der englischen Heere benötigte gewaltige Mengen – Hunderttausende – Pfeile. Und irgendwoher mussten die Federn dafür herkommen.
Feudale Heere
Ein wichtiger Unterschied zwischen einem Feudalheer und einer römischen Legion ist die Dezentralität. Nicht „der Staat“ ist zuständig für die Versorgung der Soldaten, sondern jeder Herr für seine eigenen Truppen. Die Haustruppen erhielten einen Großteil ihrer Bezahlung in Form von Unterkunft, Lebensmitteln und Ausrüstung – gerade in Friedenszeiten. Dadurch wurden die Soldaten Teil des erweiterten Haushalts. So war es beispielsweise im späten westfränkischen Reich, aber auch schon im ausgehenden römischen Kaiserreich, die Aufgabe der Königin, dafür Sorge zu tragen, dass die Haustruppen des Königs gut verpflegt waren und gelegentliche Geschenke des Herrschers erhielten.
Das hieß aber auch, dass, wenn die Truppen ihren Herrn woanders hinbegleiteten, jeder selbst dafür Sorge tragen musste, dass Verpflegung für seine eigenen Leute herangeschafft wurde. Die Kosten für einen Bischof oder einen ähnlichen Herrscher, seine Truppen zu versorgen und zu unterhalten, betrugen oftmals bis zu 50 Prozent seines gesamten Einkommens! Dafür zahlte er aber kaum Steuern an die Krone, mit denen zuvor noch der römische Staat seine Heere finanziert hatte. Stattdessen mussten die Herren nun eben persönlich aufkreuzen, wenn der König zum Krieg rief.
Versorgung der eigenen Miliztruppen
Rief der König zum Krieg, so hieß es nicht nur, persönlich zu erscheinen, sondern auch Verpflegung und Waffen mitzubringen oder sicherzustellen, dass die eigenen Truppen versorgt waren. Karl der Große erwartete, dass man für die eigenen Haustruppen für 3 Monate Verpflegung und für 6 Monate Ausrüstung und Kleidung mitbrachte. Dauerte der Kriegszug länger, versorgte die Krone die Soldaten mit Verpflegung. Das war wichtig, wenn beispielsweise eine überlange Belagerung anstand. Ähnliche Reglungen wie für die Adligen galten natürlich auch für Städte des Reichs.
Das bedeutete auch, dass Hunderte Kilogramm an Vorräten für jeden Kämpfer transportiert werden mussten. Jeder für sich allein kann sich schwerlich einen Karren leisten, darum schlossen sich Gruppen von Nachbarn und Leuten aus derselben Gegend zusammen, um einen Karren vollzubekommen.
Zusätzlich organisierte die Krone oftmals auch, dass Märkte auf dem Weg bereitstanden, entweder kurzfristig oder durch langfristige Infrastrukturplanung. In diesem Fall konnte ein Teil der logistischen Last durch Bargeld ersetzt werden. Auf den Märkten boten private Händler ihre Ware an – dabei versuchte die Krone durch Gesetze und Kontrolle, Sorge dafür zu tragen, dass kein Wucher betrieben wurde.
Einer dieser Händler war allerdings auch die Krone selbst, denn viele der Herrscher verfügten ja selbst über große Ländereien. Diese Dezentralisierung reduzierte den organisatorischen Aufwand deutlich. Händler schafften Waren auf Eigeninitiative zu den Märkten, dafür war weniger Verlass auf die exakten Versorgungsmengen.
Regelmäßig wurden Kampagnen auch langfristig auf strategischer Ebene vorbereitet. Könige sorgten immer wieder dafür, dass lokale Herrscher an wichtigen Positionen über die Ressourcen verfügten, um durchmarschierende Heere über ihre Märkte zu versorgen. Beispielsweise erhielten diverse Klosterherrschaften rund um die Alpen von den Kaisern des Heiligen Römischen Reichs Verfügungsgewalt über königliche Ländereien oder die Möglichkeit, ihre Ressourcen eigenständiger und damit besser zu verwalten. Im Kriegsfall waren diese Gebiete dann in der Lage, durchmarschierende Armeen zu versorgen.
Plünderung
Auch wenn man es erst einmal vermuten mag, waren Plünderungen im mittelalterlichen Krieg nicht sehr häufig. Zum einen wollte man sein eigenes Land gar nicht verwüsten und musste darum eine reguläre Versorgung gewährleisten, bis man die Grenze erreichte. Zum anderen musste man im Feindesland wiederum einen sehr großen Landstrich abdecken, um eine Armee durch Plünderung zu versorgen, und dafür eine große Zahl von Karren und Packtieren zum Einsatz bringen. Neben der Straße fand man niemals genug Nahrung „einfach so“. Mit großflächiger Plünderung machte man sich zudem keine Freunde bei der lokalen Bevölkerung und lief Gefahr, dass die eigene Armee sich in kleine Gruppen aufteilen musste, die dann vom Feind aufgerieben werden konnten.
Das bedeutet natürlich nicht, dass gar nichts lokal aufgetrieben wurde. Es kann aber auch einfach heißen, dass man lokale Händler und Landbesitzer zwang, Vorräte zum Vorzugspreis abzugeben, oder hin und wieder etwas geplündert wurde, wenn es fehlte. Das meiste musste aber aus freundlichem Gebiet herangeschafft werden. Nur selten konnte man gefüllte Lagerhäuser erobern.
Einige Spezialfälle wie die Wikinger einmal außen vor, wurde deshalb im Allgemeinen nicht viel geplündert. Man wollte zur feindlichen Burg und dort so lange bleiben wie nötig, bevor man wieder abzog. Das Besetzen ganzer Landstriche war nicht das Ziel. Die Wikinger wiederum griffen vor allem lokale Zentren wie Klöster an. Dort hatte man praktischerweise bereits Steuern und Abgaben gesammelt und gelagert – nur halt eben nicht für die Besucher auf den Langbooten. Aber selbst die Wikinger hatten Versorgungsschiffe dabei.
Ausrüstung & Belagerungsgerät
Das Mindestmaß an Waffen und Rüstung waren im Falle der Karolinger ein Schild und ein Speer, aber im Allgemeinen waren auch ein Schwert und ein Kettenhemd üblich, bei den Haustruppen sowieso. Daneben benötigten Soldaten zudem diverse andere Dinge, um erfolgreich einen Kriegszug zu bestehen. Töpfe, Pfannen, Messer, Decken, Schuhe, Säcke, Hufeisen, Fässer, Teer, Karren, Zelte, Sättel, Schaufeln, Spitzhacken und Äxte waren die Dinge für den Alltag. Daneben führte man auch spezialisierte Ausrüstung mit sich. Diese umfasste beispielsweise vorgefertigte Brückenteile und zerlegtes Belagerungsgerät wie Geschütze oder Belagerungstürme; aber auch Leitern oder Boote wurden ins Feindesland geschleppt.
Dabei ist es spannend zu wissen, dass der Import und Export von Waffen und Rüstung weit jenseits der eigenen Landesgrenzen nicht selten, sondern sogar üblich war. Das Wissen über die Herstellung einfacher Gegenstände wie Speere oder Lederzeug für Sättel war weitverbreitet. Nicht so Fachwissen über die Herstellung von guten Schilden, Rüstung oder Schwertern. Die mittelalterliche Welt war in solchen Dingen weitaus verknüpfter, als man gemeinhin glaubt. Um die Versorgung der eigenen Armeen zu gewährleisten, betrieben viele Herrscher dezentralisierte Manufakturstätten, die in der Größe lange nicht an die römischen Rüstungsbetriebe heranreichten, aber dennoch in der Lage waren, hochwertige und auch standardisierte Waren herzustellen. Der Standardschild der Truppen von Karl dem Großen, das scutum publicum, musste in Größe und Gewicht strikte Standards einhalten.
(Bilderserie: A Soldier’s Kit through the Ages)
Im Feindesland
In gering besiedeltem Gebiet, wie beispielsweise dem Osteuropa des Frühmittelalters, war es schwierig, langfristige Kriegszüge durchzuführen. Die lokale Bevölkerung konnte Schutz in Festungen suchen und ausgiebig das Konzept der Verteidigung in der Tiefe nutzen. Als Kontrast dazu bot das dicht besiedelte Italien zwar viele befestigte Städte – ein Problem –, aber gleichzeitig auch immer die Möglichkeit, dass man lokale Verbündete finden konnte, welche die Versorgung sicherstellten.
Deshalb war es auch üblich, bei Belagerungen von Burgen mit den Verteidigern einen Zeitrahmen festzulegen, nach dem die Belagerer aufgaben und abzogen. Üblicherweise dauerte eine Belagerung also „Zeit, bis den Verteidigern die Lebensmittel ausgehen + x“. Kein Verteidiger musste bis zum bitteren Ende kämpfen, wenn sein Herr nicht mit einer Armee zur Entsetzung kam. Ein anderer Grund aufzugeben war, dass eine baldige Erstürmung absehbar erfolgreich sein würde.
Die Höchstleistung mittelalterlicher Kriegslogistik in Europa waren aber die Kreuzzüge. Es war unmöglich für den einzelnen Feudalherren, seine eigene Schar zu versorgen. Irgendwann ging das Essen aus, die Rüstung war rostig und die Schuhsohle durchgelatscht. Zudem beinhalteten die Kreuzzüge sehr viel mehr Personen, als üblicherweise an Kriegszügen teilnahmen. Zwischen 100‘000 und 150‘000 Personen brachen im ersten Kreuzzug auf, um im Heiligen Land zu streiten.
Die logische Konsequenz waren Allianzen. Herzöge und Könige schlossen Verträge mit den Herrschern der Gebiete ab, durch die sie zu reisen gedachten. Diese stellten sicher, dass Märkte zur Verfügung standen. Nur mächtige Herrscher verfügten über die internationalen Beziehungen, um solche Allianznetzwerke aufzubauen. Kleinere Gruppen schlossen sich deshalb für den Kreuzzug den Armeen und damit den Haushalten der großen Fürsten an. Im Übrigen machte sich der Herrscher von Byzanz, Basileus Alexios I. keine Freunde damit, dass er als Gegenleistung für die logistische Hilfe bei der Reise durch die heutige Türkei das Rückerobern verlorener byzantinischer Gebiete einforderte.
Zusammenfassung
Die zentrale Problematik der Logistik ist es, Lebensmittel und Equipment von dem Ort, wo sie herkommen, zu dem Ort, wo sie benötigt werden, zu bringen. Das mag einfach klingen, ist es aber nicht. Dafür ist großes Wissen vonnöten, etwas, was vielen kleinen Herrschern der Vormoderne schlicht nicht zur Verfügung stand.
Mittelalterliche Herrscher nutzten dezentrale Systeme wie Märkte und ihre Landgüter, um Lebensmittel und Ausrüstung auf den Routen ins Kriegsgebiet zur Verfügung zu stellen. Aufgrund des Mangels an Steuereinnahmen lagen die Versorgungspflichten der Truppen bei den direkten Herren der Soldaten selbst. Die Landesherren, z.B. Bischöfe, brachten ihre eigenen Truppen mit, deren Finanzierung und Versorgung sie größtenteils selbst sicherstellen mussten.
Plünderung spielte, entgegen der allgemeinen Erwartung, keine sehr große Rolle für organisierte Armeen. Sich im Feindesland aufzuteilen, war gefährlich, dauerte lange und war aufwendig. Stattdessen verließ man sich auf die Versorgung durch Verbündete oder musste irgendwann schlicht aufgeben.
Verwendete Quellen
- Bachrach, Bernard S., und Bachrach, David S. Warfare in Medieval Europe, c.400–1453. New York: Routledge, 2017.
- Dougherty, Martin. The Medieval Warrior. Weapons, Technology, and Fighting Techniques AD 1000–1500. Guilford: Lyons Press, 2008.
- Harari, Yuval Noah. Special Operations in the Age of Chivalry, 1100–1550. Woodbridge: Boydell Press, 2007.
- Hooper, Nicholas, und Matthew Bennett. The Cambridge Illustrated Atlas of Warfare. The Middle Ages, 768–1487. London: Cambridge University Press, 1996.
- Sunzi. Die Kunst des Krieges. Herausgegeben von James Clavell. München: Knaur, 1988.
- Wickham, Chris. The Inheritance of Rome. A History of Europe from 400–1000. London: Penguin, 2010.