Mit dem späten 14. Jahrhundert geriet der Henker nach und nach in Verruf. Kein Priester konnte ihm noch Absolution für seine Vergehen erteilen. Wollte er sich von seinen Sünden reinwaschen, musste er sich schon um eine Appellation beim Papst bemühen und reichlich Buße tun.
Das war aber nicht immer so. Dem Henker wurden von Alters her magische Fähigkeiten und eine besondere Verbindung zu Gott zugesprochen. Die heidnische Tradition betonte nicht das unreine Töten, sondern das Sühnen einer Missetat. Der früh- und hochmittelalterliche Scharfrichter vollstreckte die notwendige Strafe, um den Frieden mit Gott wieder herzustellen. Er vollbrachte ein heiliges Werk, welches ihn erhob.
Mit dem Spätmittelalter hatte sich die kirchliche Lehre gegenüber der heidnischen Tradition durchgesetzt, und nun verstieß der Henker gegen das höchste Gebot: Du sollst nicht morden. Durch seine Arbeit als berufsmäßiger Mörder war er eine befleckte Person und stets in Gefahr, der Teufelei zu verfallen. Sein Tun war legal, aber alles andere als moralisch. Die Vollstreckung der Strafe stellte nun nicht mehr den Frieden mit Gott her, sondern setzte Recht und Gesetz durch. Der Akt des Tötens an sich war trotz allem tabuisiert.
Diese Ehrlosigkeit des Henkers ging sogar so weit, dass man es vermied, seinen Namen zu nennen oder aufzuschreiben. Vielfach wurden alternative Bezeichnungen verwendet. Benz (Teufel), Blutscherge, Blutrichter, Blutvogt, Fetzer, Knüpfauf, Fleischer oder Freimann sind nur einige davon.
„Geschichtskrümel“ ist eine wöchentlich erscheinende Serie aus Kurzartikeln. Die Geschichtskrümel drehen sich um historische Ereignisse oder Themen, über die ich in meinem Alltag stolpere. Sie sind manchmal lehrreich, manchmal skurril und manchmal einfach nur lustig.
Quelle: Irsigler, Franz & Lassotta, Arnold: Bettler, Gaukler, Dirnen und Henker. Außenseiter in einer mittelalterlichen Stadt. 12. Auflage, Deutscher Taschenbuch Verlag: 2010 (1989) München. S. 228–230.