Menschen essen, Menschen feiern, Menschen geben an. Manchmal verbinden sie die drei Dinge sogar miteinander. So beispielsweise bei einem königlichen Bankett in England, bei dem ein paar Tausend Hirsche, Schweine und andere Tiere dran glauben müssen. Es geht natürlich auch kleiner, beispielsweise bei einer norwegischen Bauernhochzeit, wo eher die Frage im Raum steht, ob das Brot gesüßt wurde oder nicht.
Heute möchte ich allerdings Europa weit hinter mir lassen und einen Blick über den Atlantik werfen. Denn auch die mächtigen Reiche in Mittel- und Südamerika aßen üppig, und die dortigen Herrscher waren ebenso protzig wie die hiesigen. Die spanischen Konquistadoren brachten die dortigen Reiche zu Fall, aber nebst einem mutierten Ableger der Syphilis kamen sie auch mit Augenzeugenberichten zurück, die archäologische Rekonstruktionen ergänzen.
Trotzdem folgende Warnung: Die Quellenlage ist hier schwierig, denn im archäologischen Bereich ist Mittelamerika gerade erst richtig am Aufblühen, dank topografischer Luftaufnahmen und anderer innovativer Methoden. Leider sind Augenzeugenberichte und Schriftquellen spärlich und stammen vielfach von Spaniern, die nun einmal als Eroberer und auch Missionare im Land waren – und darum nicht immer objektiv oder gar nuanciert.
Kultureller Austausch
Dass die „Neue Welt“ uns in Europa so einiges an (Ess)Kultur eingebracht hat, das ist klar. Tomate, Mais und Kartoffel sind heute so bodenständig europäisch wie kaum etwas anderes, stammen aber aus Amerika.
Kurz nach dem Anlanden der Spanier in Mittelamerika und den Eroberungszügen von Cortés versuchten die Spanier, auch Dinge aus der alten Heimat dort anzupflanzen. Vielfach erfolglos. Die neuen kolonialen Herrscher kamen darum nicht umhin, lokale Lebensmittel und Gerichte zu genießen. Es wäre ja auch albern, anzunehmen, dass ein paar Hundert Spanier in Neuspanien die gesamten einheimischen Arbeitskräfte in ein paar Jahren hätten umerziehen können. Einheimische Köche bedeuteten auch einheimische Feste.
Doch wer mich wirklich interessiert, ist der letzte große Aztekenherrscher: Montezuma! Dieser speiste in großer Runde mit über 1000 seiner Krieger und weiteren Höhergestellten seines Hofes. Der spanische Offizier Bernal Díaz del Castillo war 1520 bei einem der Bankette anwesend, ein Jahr bevor das Aztekenreich unterging.
Montezumas Bankett
Zu seinen Mahlzeiten bereiteten seine Köche über dreißig verschiedene Gerichte für den Aztekenfürsten, dessen Imperium sich über einen ansehnlichen Teil Mittelamerikas erstreckte. Alles davon wurde auf tönernen Warmhalteschalen platziert. Während der Herrscher speiste, hatten seine Beamten und Berater Zeit, sich mit ihm zu besprechen.
Er selbst saß am Kopf des Raumes auf einem niedrigen Stuhl, der nicht nur kunstvoll verziert war, sondern auch bequem gepolstert. Sein Tisch war ebenfalls niedrig. War dem Fürsten kühl, dann wurden Feuerschalen mit rauchloser Duftkohle aus ausgesuchten Baumrinden gebracht. Allerdings wärmte er sich nicht direkt am Feuer, sondern die duftenden Kohlefeuer erhitzten einen goldenen Reflektor, der eine gleichbleibende, angenehme Wärme abstrahlte.
Dienerinnen und Gäste
Montezuma wurde bei alldem von mehreren jungen Frauen bedient, die für sein Wohl zuständig waren. Vier von ihnen schmückten seine Tafel mit weißen Tüchern, reichten ihm Wasser für seine Hände und trockneten diese, wenn er sich gereinigt hatte. Zwei weitere waren dafür zuständig, ihn mit Fladenbrot und anderen Teigspeisen zu bedienen, die sie direkt frisch für ihn zubereiteten.
Wann immer der Herrscher etwas verzehrte, platzierten seine Leibdienerinnen einen Sichtschirm vor ihm, sodass niemand ihn direkt beim Essen sehen konnte. Wurden sie dafür gerade nicht gebraucht, standen sie repräsentativ an seiner Seite.
Derweil hatten Älteste und andere Honoratioren die Möglichkeit, sich an seine Seite zu gesellen und sich mit ihm zu unterhalten oder Fragen des Herrschers zu beantworten. Dabei saß niemand außer Montezuma selbst. Als Zeichen der Würdigung erhielten sie eine der Platten oder Schalen von den Speisen, von denen er zuvor gegessen hatte. Was auch erklärt, warum mehrere Hundert Mahlzeiten für ihn bereitet wurden, musste er doch dauernd vollständige Mahlzeiten weitergeben. Diese Richter, Verwandten und Ratgeber aßen dann ihre Speise im Stehen und ohne dabei den Blick auf den Herrscher zu richten.
Soldaten und Gaukler
Während der Herrscher speiste, war es ungehörig für die Angehörigen seiner Leibwache, das Wort zu erheben. Sie sprachen nur gedämpft miteinander und waren in verschiedenen Räumen direkt um die Speisekammer des Herrschers platziert. Dort warteten sie, bis der Herrscher fertig gegessen hatte, um dann auch ihre Mahlzeit einzunehmen.
Derweil unterhielten Spaßmacher den Fürsten. Einige waren kleinwüchsig, hatten einen Buckel oder andere körperliche Deformationen und amüsierten auch durch ihre „groteske Art“. Sie unterhielten den Herrscher und die Speisegesellschaft mit derben Geschichten und zotigen Sprüchen. Wieder andere erzählten den Anwesenden Witze oder clevere Geschichten, während zusätzlich Sänger und Tänzer das Bankett bereicherten. Montezuma hatte wohl eine große Schwäche für Amüsement und Tänze. Er belohnte die Gaukler mit den Resten des Banketts, inklusive Krügen voll xocólatl – dem Kakaogetränk der Azteken, das auch unserer Schokolade den Namen gab.
Montezumas Speisen
Montezuma nahm von jeder Schale und von jedem Glas nur einen Happen bzw. einen kleinen Schluck zu sich und wurde immer wieder mit frischen Speisen und Getränken in Goldkelchen versorgt.
Da Mittelamerika nicht besonders viele große, einheimische Fleischtiere hat, wurden dem Herrscher besonders Vögel serviert. Fasanen, Hühnervarianten und auch Singvögel waren Teil der Speisetafel. Dazu aber auch Hasen, Rehe und Enten. Außerdem wurde ihm stets frisches Obst dargeboten, das er kaum anrührte und natürlich auch an seine Verwandten und Getreuen weiterreichte. Eine reichhaltige Auswahl an Obst war aber ein wichtiger Teil der Speisen der Krieger.
Das Getränk der Wahl war die bereits oben erwähnte Schokolade – Trunkenheit war bei den Azteken verpönt. Dem Getränk sagte man nach, dass es gut wäre für erfolgreiche Leistungen im Schlafzimmer. Ansonsten war es aber auch generell das Getränk der Oberschicht. Die Bankettgesellschaft trank zusammen über 2000 Krüge mit schäumendem Kakaogetränk. Das war bares Geld wert, denn die Kakaobohne wurde bei den Azteken auch als Geld benutzt!
Immer wieder pausierte der Fürst während des Banketts. Zum Abschluss jedoch gönnte Montezuma sich einige Züge aus seinen drei wundervoll dekorierten Pfeifen mit Räucherwerk von Amberbäumen und Tabak. Nach dem ganzen Tanz und Gesang, als dann der Tisch abgeräumt wurde, schlief Montezuma nach einigen Zügen aus seiner Pfeife ein.
Menschenfleisch?
Neben Vögeln erwähnte der Conquistador Bernal Díaz del Castillo auch „das Fleisch von jungen Knaben“, das er aber nicht eindeutig ausmachen konnte. „Man sagte ihm“ jedoch, dass auch Knabenfleisch serviert wurde. „Der wilde Menschenfresser“ ist auch ein Motiv, um die eigene Eroberung zu legitimieren. Aber: Kannibalismus bei den Azteken ist nicht umstritten, sondern ein Fakt.
Spannend ist die Frage, wie viel davon existierte! Die Debatte, in welchem Ausmaß die Azteken Kannibalismus betrieben, hat eine breite Spanne. Auf der einen Seite steht der Ethnologe Harris, der einige sehr interessante Argumente heranzieht, wie die Azteken möglicherweise Menschenfleisch als Belohnungssystem nutzten und der Herrscher Fleisch an seine Vasallen ausgab, die damit wiederum ihre direkten Getreuen mit Fleisch versorgen konnten. Sodass Menschenfleisch ein wichtiger Teil in der Kriegerernährung eingenommen hätte. Mittelamerika war kein gutes Land für Fleischtiere. Das Argument funktioniert hier so weit.
Auf der anderen Seite war es den Azteken aber problemlos möglich, durch ihre Landwirtschaft eine ausgewogene Ernährung zu generieren, und sie hatten ausreichend Proteinquellen und auch Möglichkeiten, an Fleisch und Fisch zu kommen. Zudem wurden auch Lebensmittel als Tribut geliefert. Sie waren also nicht auf Menschenfleisch angewiesen.
Andererseits war die einzige relevante Möglichkeit, zu Rang und Namen zu kommen, dass ein Krieger in der Schlacht erfolgreich Gefangene nahm und sich im Kampf bewies. An dem Gefangenen wollte er eventuell auch seinen Anteil.
Heiliges Fleisch
Hier kommt vielleicht das religiöse Argument ins Spiel. Die Gefangenen wurden gebraucht für die regelmäßigen Opferungen. Die Menschenopfer für die Sonne, um das Ende der Welt zu verhindern, waren ein wichtiger Teil des religiösen Lebens der Azteken. Dabei wurde der Großteil des Körpers nicht angerührt. Im Allgemeinen wurde wohl nur das Herz geopfert.
Der Rest galt danach als geweiht, also heilig. Dieses Fleisch zu verspeisen, war das Verspeisen eines Teils des Sonnengottes selbst – eine Kommunion mit der göttlichen Kraft. Nicht völlig absurd, wenn man ins Christentum schaut, wo das zumindest symbolisch ebenfalls geschieht.
Es wäre darum nicht unerwartet, wenn der mächtige Montezuma jeden Tag, oder zumindest regelmäßig, die Möglichkeit hatte, geweihtes, göttliches Fleisch zu verspeisen. Ob der Rest seiner Gesellschaft ebenfalls das Fleisch von Menschen oder gar Knaben serviert bekam, kann nicht gesagt werden.
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„Geschichtskrümel“ ist eine wöchentlich erscheinende Serie aus Kurzartikeln. Sie soll Autoren, Spielern und Spielleitern als Anregung dienen und Inspiration fürs Rollenspiel oder Geschichten bieten. Die Geschichtskrümel drehen sich um historische Ereignisse oder Themen, über die ich in meinem Alltag stolpere. Sie sind manchmal lehrreich, manchmal skurril und manchmal einfach nur lustig.
Quellen
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Coe, S. (1992). A Tale of Two Banquets. In H. Walker (Ed.), Public Eating. Proceedings of the Oxford Symposium on Food and Cookery 1991 (pp. 61–66). Devon: Prospect Books.
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de Montellano, B. R. O. (1978). Aztec Cannibalism: An Ecological Necessity? Science, 200(4342), 611–617. https://doi.org/10.1126/science.200.4342.611
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Harris, M. (1991). Cannibals and Kings. The Origins of Cultures (Neuauflage, 1977). New York: Vintage Books.