Wir sind wütend und traurig über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Die unverhohlene Aggression Russlands gegen ein souveränes Nachbarland kann und darf nicht ignoriert werden.
Wir haben in den letzten zwei Jahren sehr viel Zeit damit verbracht, uns mit Krieg, Imperialismus und dem Streben nach Land und Ressourcen auseinanderzusetzen, während wir für Freude, schöner Götterfunken… recherchiert haben.
Wir hätten nie gedacht, dass noch einmal ein Land in Europa das „Platz an der Sonne“-Narrativ der verkappten Monarchien des Ersten Weltkriegs aufgreifen würde. Diese Idee der Macht des Stärkeren – oder eher der Macht des Brutaleren – erschien uns aus der Zeit gefallen. Wir hielten sie nie für unmöglich, aber in unserer Welt, in unserem Denken hat diese Sprache der Gewalt keinen Platz mehr.
Den Tod von unzähligen Menschen und das Leid der Zivilbevölkerung in Kauf zu nehmen, um Grenzen zu verschieben, ist für uns unerträglich. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine bedroht alles, wofür wir stehen.
Wir glauben an Mitbestimmung. Wir glauben an Empathie. Wir glauben daran, dass man auch im Streit und im Ringen um Ressourcen und Wohlstand Win-win-Lösungen finden kann.
Der Verschiebung des Denkbaren und der Verschiebung des Sagbaren, die durch die russische Aggression stattfindet, wollen wir nicht tatenlos gegenüberstehen. Neben dem Krieg gegen das ukrainische Volk betrübt uns dabei auch der Krieg gegen die Wahrheit und die Vernunft, den Russland (und auch China) seit über einem Jahrzehnt mit den Methoden des sowjetischen KGB gegen uns als demokratische Gesellschaften führt.
Das Eröffnen von Nebenkriegsschauplätzen in Form von Strohmannargumenten („Aggression der Nato gegen Russland“, „Sicherheitsbedenken“, „Nazistaat“) macht uns wütend. Sie sollen uns verwirren und von der einzig relevanten Sache ablenken: Russland hat die Ukraine völkerrechtswidrig ohne jeden Grund angegriffen. Punkt.
Wir glauben, dass wir die Pflicht haben, zu sprechen
Wir sind nun aber keine Militärs, und wir sind auch keine Politiker. Wir sind Gamedesigner, Autoren, Künstler. Und Künstler haben die Pflicht, dem Denken und dem freien Geist Raum zu geben, sich zu entfalten. Unsere Arbeit ist es, dir Möglichkeiten zu geben, dich mit Themen, die dich bewegen oder herausfordern, spielerisch auseinanderzusetzen.
Nicht alles hat dabei zwei gleichwertige Seiten. Nicht jede Meinung ist gleich viel wert, und nicht jedes Gefühl muss respektiert werden. Kunst darf wehtun. Kunst soll aber auch Freude bereiten. Vor allem soll Kunst, wie wir sie verstehen, dich nicht gängeln, sondern dich stattdessen überraschen und dir so neue Erkenntnisse über dich selbst ermöglichen und dich emotional berühren.
Wenn wir in solch einer Situation nun schweigen und unsere Arbeit nicht nutzen, um dir als Spieler oder Spielerin diesen Raum zu geben, dann sind wir überflüssig.
Unsere Stimme ist unsere Kunst – unsere Spiele müssen sprechen
Als Gamedesigner entwickeln wir Rollenspiele. Und diese Spiele müssen sprechen. Wir wollen nuancierte Einblicke in fremde, unbekannte Settings bieten, denn Spiele sind das eine Erzählmedium, in dem wir nicht allein erzählen – du bist immer mit dabei. Deine Erfahrungen, deine Wahrnehmung, deine Reflexion von dem, was geschieht.
Spiele sind für uns deshalb nicht zur reinen Unterhaltung da. Sie sollen dich begeistern, herausfordern, anregen, zum Lachen und auch zum Weinen bringen können.
Unser aktuelles Spiel, Freude, schöner Götterfunken…, spielt vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs. Es ist aber kein Kriegsspiel. Es behandelt große Themen wie Menschlichkeit unter widrigen Bedingungen, Freundschaft und Zusammenhalt und führt dich in eine Story voller alter Mythen.
Aber das ist nicht alles. Freude… bietet Anknüpfungspunkte für eine Vielzahl von Nebenthemen, die bereitstehen, um bespielt zu werden, wenn du das möchtest. Von Patriotismus über Kameradschaft, Militarismus, Feigheit, Mut, Abenteuerlust, Feminismus bis hin zu schweren Themen wie Antisemitismus oder unerwarteten Fragen wie Tierschutz im Krieg kannst du vieles, was wir anbieten, aufgreifen.
Wir zwingen dir nichts auf – stattdessen bieten wir vielfältige Charaktere an, die sich jeweils für einige dieser Themen anbieten und diese in ihrem Wesen tragen. So wollen wir dir über die Charaktere Spielfelder und Denkräume öffnen, die du nutzen kannst, wie du möchtest. Wir schreiben dir nichts vor, denn wir möchten nicht predigen. Stattdessen vertrauen wir darauf, dass du den Ball dort aufnimmst, wo wir ihn ablegen.
So bietet Freude, schöner Götterfunken… vielschichtige Perspektiven auf das Menschsein und eben auch auf das Menschsein im Krieg.
Die Ukraine in Freude, schöner Götterfunken…
Unser Spiel spielt im Grenzland von Galizien und Transkarpatien. Dort, wo Ungarn, Russland und Rumänien aufeinandertreffen. Also in der heutigen Ukraine. Gleich drei Charaktere behandeln Themen, die mit der ukrainischen Geschichte und der ukrainischen Unabhängigkeit zu tun haben, und die Geschichte selbst ist tief verwoben in die Mythen und Sagen des Kiewer Rus.
Ganz zuerst natürlich Julia Andrejko, die in der ruthenischen Legion unter der Habsburgerfahne für einen ukrainischen Nationalstaat und die Unabhängigkeit der ukrainischen Völker kämpft. Sie entstammt der ukrainischen Minderheit in Österreich-Ungarn, wo, anders als im zaristischen Russland, die ukrainische Sprache und Literatur nicht verboten wurden.
Auch Rabbi Caspar Schildkraut hat eine tief verwurzelte Verbindung zur Ukraine. Als kleines Kind wurde er zusammen mit seiner Familie während der antisemitischen Pogrome der Zaren aus der Ukraine vertrieben und fand Zuflucht in Wien. Nun ist er im Grenzland, um sich den Dämonen seiner Vergangenheit zu stellen.
Als Drittes wäre da Benjamin Chajmowitz, ein Händler („Faktor“), der die Gespaltenheit und Vielfalt des ukrainischen Volkes repräsentiert. Er reist zwischen den Ländern hin und her und ist damit ein Grenzgänger, genau wie das ukrainische Volk selbst, das über Jahrhunderte zersplittert und aufgeteilt unter fremden Kronen lebte.
Bereits im 19. Jh. versuchte die zaristische Politik die ukrainische Identität kulturell auszulöschen. Aber auch das Verbot der ukrainischen Sprache und das Verbot ukrainischer Literatur haben nicht zu einer Assimilierung in die russische Gesellschaft geführt. Da half es auch nicht, die Ukraine hämisch als „Kleinrussland“ zu verspotten, dem keine eigene Persönlichkeit zustehe – ein Narrativ, das auch Putin heute bemüht.
Diese Charaktere sind vielschichtig – und ihre Themen brandaktuell. Darum haben wir beschlossen, dass wir uns die Zeit nehmen, um das Setting von Freude, schöner Götterfunken… so weit vorzubereiten und zu überarbeiten, damit du diese Themen besser im Spiel aufgreifen kannst, wenn du das mit deinen Freunden möchtest.
Wir hatten in der ursprünglichen Fassung nicht gedacht, dass diese „Nebenthemen“ wichtig werden, sodass sie nur beiläufig eingeflossen sind. Allerdings möchten wir dich nicht alleinlassen, wenn du sie aufgreifen willst, und sie erscheinen heute aktueller denn je.
Darum werden wir den Historienalmanach um ein kurzes Kapitel zur langen Geschichte der ukrainischen Nation und zu ihrer Jahrhunderte zurückreichenden Unabhängigkeitsbestrebung ergänzen.
Außerdem werden wir die Verknüpfung dieser Charaktere mit der Geschichte und der Spielwelt konkretisieren, damit du sie thematisch ins Spiel einbringen kannst.
Die Pflicht zur Wahrheit – und die kostet zusätzliche Zeit
Bei all dem haben wir eine Pflicht zur Wahrheit. Unser Spiel bewegt sich auf einem wenig bekannten Spielfeld. Österreich-Ungarn, der Erste Weltkrieg, die Karpatenfront, Galizien… alles davon ist bereits neu und exotisch für die meisten der Spielenden.
Darum ist es wichtig, dass wir gründlich recherchieren, denn die historischen Fakten sollen stimmen – und die Story darf keinen Schaden dabei nehmen. Es kann also sein, dass das etwas länger dauert, bis wir fertig sind. Aber es muss sein, wie sonst sollen wir dir die Option bieten, in diese Nischen der Geschichte einzutauchen?
Denn es ist auch unsere Pflicht, uns Lügen und Empathielosigkeit entgegenzustellen, indem wir uns an Fakten halten und Bücher wälzen. Wir sind schließlich nicht deine Lehrer. Wir vertrauen darauf, dass du und alle anderen, die unsere Spiele spielen, selber denken könnt und wollt.
Wir möchten Menschen als das zeigen, was sie sind: fehlbar, vielschichtig und von Gefühlen, Zielen und Gedanken getrieben. Russland und die Russen haben einen Platz in unserer Geschichte, und auch sie wollen wir nicht schwarz-weiß zeichnen. Aber da Russland einen Platz hat, ist es nun das Gebot der Stunde, auch der Ukraine Platz zu widmen.
Zynik und Sarkasmus sind das Ende der Empathie
Uns ist klar, dass dieser Text von einem gewissen Pathos strotzt. Er wirkt vielleicht sogar ebenso aus der Zeit gefallen wie der russische Angriffskrieg selbst. Aber die Freiheit ist nicht lächerlich. Das Streben nach Frieden ist kein Witz.
Unsere Werte sind wertlos, wenn wir sie nicht leben. Sie finden sich in unserem Handeln wieder. Und nur wenn wir, wenn du, wenn jeder sein Handeln von guten Werten, Empathie und Menschlichkeit leiten lässt, dann kommen wir als Gesellschaft voran.
Wir haben die Pflicht zur Empathie, denn unsere Zeit ist auch geprägt von Zynismus und Sarkasmus. Von einem Gefühl des „alles egal“. Dem ist aber nicht so. Was wir tun, was du tust, das ist wichtig. Ansonsten ist all das, was wir schätzen – Freiheit, Menschlichkeit, Nächstenliebe, Hoffnung –, in steter Gefahr.
Die Pflicht, zu handeln – die Möglichkeit, zu handeln
Wir leisten sicher keinen großen Beitrag zum Weltfrieden, indem wir unser Spiel noch einmal polieren. Das glauben wir nicht! Aber es ist ein kleiner Beitrag. Und er wird ein, zwei, vielleicht zwanzig Leute oder mehr dazu anregen, die Welt mit anderen Augen zu sehen und den aktuellen Konflikt in der Ukraine anders wahrzunehmen.
Jeder kann einen Beitrag leisten, und viele kleine Beiträge, die für Werte einstehen, ergeben zusammen eine große Wirkung.
Der eigentliche Feind ist die Hoffnungslosigkeit. Wir haben Hoffnung, und wir glauben daran, dass man unsere Stadt, unser Land, unseren Kontinent und unseren Planeten zu einem besseren Ort machen kann, wenn man nur stetig weitermacht und nicht aufgibt.
Wir handeln darum nach dem Zitat von Michelangelo: „Ich kritisiere, indem ich erschaffe – nicht, indem ich nach Fehlern suche.“
Tu was!
Du kannst das genauso halten. Tu was. Sprich aus, was du richtig findest. Geh auf die Straße, schreib einen Brief, tritt den Lügen entgegen. Lass dich nicht einlullen von dem Gefühl, dass es sowieso egal ist.
Wenn dich Wut, Trauer oder Überforderung niederdrücken, dann bleib nicht allein und such dir jemanden zum Sprechen. Freunde, Familie oder auch online – und sei es bei uns auf Discord. Nur Aufgeben ist keine Option.
Falls du direkt etwas tun willst, dann spende hier für das Deutsche Rote Kreuz, das schon seit über 150 Jahren in Kriegsgebieten versucht, Leid zu lindern.
Wir hoffen, du verstehst nun, warum wir nicht anders können, als noch mal etwas zusätzliche Zeit in Freude, schöner Götterfunken… zu stecken, auch wenn es uns eigentlich überhaupt nicht in die Zeitplanung passt. Wir leben leider in interessanten Zeiten.
Viele Grüße
Torsten & Tobias