Krieg ist brutal. Krieg ist kompliziert. Krieg ist eine Gelegenheit. Krieg ist ein Gräuel. Krieg ist so allerlei – und zumindest ich habe noch nie einen erlebt, auch wenn ich immerhin noch mit einem Luftschutzbunker als Feuerholzkeller aufgewachsen bin.
Kampf beschäftigt fast jede Rollenspielgruppe irgendwann einmal, und kleine Scharmützel sind ja geradezu die Haupttätigkeit der meisten Heldengruppen. Bei den meisten bleibt‘s auch beim Scharmützel mit wenigen Gegnern. Das heißt aber nicht, dass Krieg und Kriegsführung im Rollenspiel kein Thema wären. In diesem Artikel werde ich mich mit Krieg als Setting und einigen grundlegenden Problemen beschäftigen, in weiteren Artikel wird dann auch das Fantasy-Spezifische eine Rolle spielen.
Ein Stammleser, der sich auf eine Fantasy-Kampagne vorbereitete, fragte mich: „Was muss ich eigentlich alles wissen, um einen Feldzug spannend zu gestalten?“ Mein erster Gedanke war, ihm Fakten und Daten zu mittelalterlicher Kriegsführung herauszusuchen, aber das ist gar nicht das, wo sich die größten Herausforderungen für den Spielleiter befinden. Es ist nur ein Aspekt davon, Krieg im Rollenspiel zu thematisieren.
Wir kennen Krieg nicht mehr
Die erste Schwierigkeit ist erst einmal der Wissensstand der Mitspieler, denn hier kann man kaum etwas voraussetzen. Darum muss vieles davon organisch aus dem Spiel heraus mitgeteilt werden, außer eure Spieler sind sehr lernwillig und lesen sich fleißig ein. Das gilt noch viel mehr für den Krieg in der Vormoderne, also auch für die meisten Fantasy-Settings. Wer kennt sich schon aus mit Krieg im Mittelalter? Den Kampf Ritter gegen Ritter oder das Aufeinandertreffen zweier Fechter kriegen wir alle noch irgendwie hin, zumal die Regeln ja dabei helfen. Dahingegen kann keine Regel und kein guter Wille das Wissen über Logistik und Burgen ersetzen, weil sie die Thematik insgesamt dann sehr schnell völlig ins Abseits verschieben und durch reines Würfeln ersetzen. Das ist nicht so wichtig, wenn es nur ein Nebenthema ist. Im Krieg steht es aber im Mittelpunkt.
Die zweite Schwierigkeit ist, dass die meisten Aspekte von Krieg zwar für die Teilnehmer insofern „spannend“ sind, als es um ihr Überleben und wichtige Ziele geht, aber im Spiel oftmals langweilig sein können. Beim Rollenspiel geht es ja unter anderem um interessante Entscheidungen und darum, dass man Einfluss auf etwas nehmen kann. Nur gilt das im Krieg oft nur für die Charaktere, nicht aber für die Spieler. Nur weil etwas für den Charakter wichtig ist, heißt das noch lange nicht, dass es dem Spieler Spaß bereitet oder für ihn eine Herausforderung bedeutet.
Die dritte Schwierigkeit wiederum ist, den Überblick zu behalten. Krieg ist unheimlich kompliziert. Wenn man also auf den obersten Ebenen der kriegführenden Parteien spielt, dann muss der Spielleiter viele Aspekte im Blick behalten und kann nur wenig davon einfach so aus dem Ärmel schütteln, weil sonst die Konsistenz gefährdet ist. Ausserdem bläht es die Anzahl von „benutzt und verbraucht“-NSC auf, und die alle zu verwalten ist gar nicht leicht.
Darum spielen wir in unserer Gruppe grundsätzlich Krieg nicht als zentralen Spielinhalt, sondern wenn, dann nur „alles rund um den Krieg“ oder fehdehafte Kleinkriege, die man auch viel besser in laufende Kampagnen einfügen kann. Kurzum, der Krieg „an sich“ ist eher ein Setting oder eine Sandbox als eine direkt erzählte Geschichte.
Krieg als Setting
Der Krieg ist als zentraler Spielinhalt schwierig, nicht aber als Setting. Dort ist er sogar sehr ergiebig. Krieg hat schließlich nicht nur die Schlacht selbst zum Inhalt, sondern wirkt darüber hinaus auch auf seine Umwelt. Felder werden zerstört, Bevölkerung flieht, neue Soldaten müssen in Städten und auf dem Land ausgehoben werden, Steuern werden eingezogen, Soldaten marschieren von A nach B, feindliche Saboteure und Spione agieren im Hinterland, Waffen und andere Vorräte müssen hergestellt und transportiert werden, die lokale Bevölkerung wird zur Versorgung und zu Schanzarbeiten herangezogen, große und kleine Allianzen werden geschlossen, Schattendiplomatie und öffentliche Diplomatie finden statt, Verrat droht oder wird verübt, Truppen desertieren, Marodeure setzen sich ab, und Plünderungen finden statt. Hass und Spannung wechseln sich ab mit Gelegenheiten für Großzügigkeit und Freundlichkeit. Feindschaften und Fehden entstehen, aber auch Gelegenheiten der unerwarteten Ehrenhaftigkeit treten auf.
Diese nicht abschließende Liste zeigt ja bereits auf: Krieg ist ein ergiebiges Spielfeld für allerlei Geschichten, egal ob groß oder klein. Es ist natürlich logisch, dass Gewalt dabei oftmals eine Rolle spielt. Nur sollte diese meist nicht auf dem Schlachtfeld stattfinden, wie man als Erstes annehmen würde. Dort hat der einzelne Spielercharakter kaum Einfluss, und der Spieler wird darum seiner Agency beraubt – seine Handlungen bleiben unwichtig. Selbst wenn man Szenarien bespielt, wo die Charaktere keine übermenschlichen Kräfte besitzen, sollten sie ja eben dennoch die Protagonisten sein.
Stattdessen bietet es sich an, die Ränder des Kriegs zu beackern. Wenn man doch Soldaten spielen will, dann besser nicht in der Linieninfanterie.
Also doch Soldaten? Klein vs. groß
Krieg lässt sich zerlegen in seine einzelnen Aspekte. Selbst wenn man sehr nah an dem bleibt, woran man spontan denkt, wenn man Krieg hört, nämlich Soldaten, die kämpfen, kann das ganz unterschiedliche Dinge bedeuten.
Nehmen wir der Einfachheit halber einfach mal an, dass sich die kriegführenden Parteien in drei Bereiche aufteilen lassen: Armee, Logistik und Sondereinheiten. In einer vormodernen Armee kann das bedeuten, dass Ritter mit ihren Bannertruppen in Zelten hausen, begleitet von einem Tross aus Waschweibern und Handwerkern, während die Sondereinheiten aus Spionen und ad hoc aufgestellten Trupps bestehen können, die für einzelne Missionen herangezogen werden.
In modernen Streitkräften ist das vielleicht wiederum deutlich klarer organisiert und Teil einer strikten Kommandostruktur mit Spezialeinheiten wie dem KSK als ausgebildetem Sonderelement.
Die einzelnen Bereiche können wir wiederum zerlegen, bis wir beim einzelnen Soldaten ankommen.
Charakterwahl
Angenommen, die Spielercharaktere sind Generäle in einem Krieg, dann ist der spannende Teil selten das Verschieben von ausgedachten Divisionen auf der ebenfalls eher abstrakten Landkarte. Man müsste den Spieler-Generälen allerlei Informationen zukommen lassen, damit sie tatsächlich Entscheidungen treffen können – und das auch noch auf eine dynamische und spannende Art, also nicht in der realistischen Form von Fernschreiberpapier. Einfach nur auszuwürfeln, wie man den Krieg gewinnt, wäre ja reichlich langweilig und frei von Spielereinfluss. Zudem läuft man stets Gefahr, dass das Spiel auf die Metaebene wechselt, weil die Spieler gar keine Zeit mehr haben, sich auf gutes und interessantes Charakterspiel zu konzentrieren, sondern versuchen, nicht von Informationen überwältigt zu werden. Das endet dann schnell damit, dass man statt eines guten Rollenspiels ein schlechtes Strategiespiel spielt.
Darum ist es sinnvoller, die Spielergruppe weiter unten in der Hierarchie einzufügen und sie aus der alltäglichen Langeweile des einfachen Soldaten zu entfernen.
Der größte Vorteil ist, dass der Horizont der Charaktere kleiner wird. Wo genau die dritte Division des Feindes steht, ist nicht mehr so wichtig, wenn man einen Unteroffizier spielt. Der Spielleiter kann sich in diesem Fall darauf konzentrieren, ein überschaubares Umfeld zu gestalten, mit dem die Spieler auch tatsächlich interagieren.
Das meiste, was den Verwaltungsaufwand deutlich erhöhen würde, verschwindet einfach im Nebel des Kriegs. Wie genau der Feind eine Burg eingenommen hat, spielt keine Rolle mehr, weil die unteren Ränge das gar nicht so genau wissen. Eine grobe Begründung reicht in diesem Fall.
Außerdem ist es weiter unten in der Hierarchie viel wichtiger, wen man kennt und mit wem man redet. Das ist gut für den sozialen Aspekt des Rollenspiels. Das Gleiche gilt für die Kommandoebene: abstraktes Kommandieren mag zwar ein wohliges Gefühl von Autorität erzeugen, ist aber unpersönlich. Den eigenen kleinen Haufen anzutreiben und mit seinen 10 Kameraden zusammen etwas zu erledigen, ist persönlich, direkt und befriedigend.
Die richtige Truppe
Die Soldaten müssen natürlich auch etwas tun! Die beiden Bereiche meiner Grobeinteilung, die ich am fruchtbarsten finde, sind die Logistik und die Sondereinheiten. Reguläre Soldaten hingegen verbringen viel Zeit mit relativ trivialen Aufgaben, die schon in der Realität tödlich langweilig sein können (Wache stehen…).
In der Logistik kann man dafür eine Menge soziales Spiel unterbringen, wenn man den Kampf selbst nicht so spannend findet. Man gerät in Kontakt mit lokaler Bevölkerung, muss die Versorgung von Verwundeten sicherstellen, Lebensmittel auftreiben, Kommunikation sicherstellen oder sich mit kleinen und großen Streiten oder Intrigen innerhalb der eigenen Reihen beschäftigen.
Auch die Besatzung von Land kann in diesen Bereich fallen. Das bedeutet dann, dass man plötzlich auch die Rolle einer zivilen Ordnungsmacht einnimmt. Man muss den Frieden – den man selbst gebrochen hatte – wiederherstellen. Lokale Strukturen müssen gleichzeitig genutzt und entmachtet werden. Richtertätigkeiten, Infrastruktur wiederherstellen und so weiter. Viele logistische Tätigkeiten sind an sich mundan, aber sie beinhalten eben viele Aufhänger und Gelegenheiten, um in kleine und große soziale Dramen hineingezogen zu werden.
Wer mehr Action will, der sollte sich wiederum den Sondereinheiten zuwenden. Zum einen sind diese üblicherweise ein eingeschworener Haufen, und zum anderen operieren sie in einer Truppengröße, in welcher der Einzelne tatsächlich noch etwas zählt. Ihre Kampfeinsätze sind zudem meistens spannender: das Ausspähen des Feindes, Sabotage im Hinterland, das Anwerben von Verrätern in einer feindlichen Burg oder das nächtliche Eindringen in selbige etc. Selbst in vormodernen Kriegen gab es eine Menge zu tun für Soldaten abseits der Linieninfanterie.
Außerdem ist der Tonfall innerhalb der Truppe oftmals informeller, und man hält sich nicht die ganze Zeit mit militärischer Ehrerbietung auf. Nicht zuletzt spielt auch der Mean Green Weenie keine so große Rolle. Notfalls erschafft man eine Sondereinheit nur für die Spieler und eine Handvoll NSC. Im Zweifel findet sich bestimmt ein unorthodoxer Offizier oder Edelmann, der Ambitionen hat und alles ein wenig dynamischer sieht als die verstockte alte Aristokratie. Der kann dann immer noch „gute Leute“ suchen, die auch Querköpfe oder „schräge Vögel“ sein können.
Dreieinhalb Ideen für Spielgruppen in einem Krieg
Eine Kameradschaft von Söldnern
Söldnerkameradschaften waren früher oftmals regelrechte Familien aus Waffenbrüdern. Man fand zusammen, und wenn man erst einmal durch dick und dünn gegangen war, dann war diese Wahlfamilie von Kampfgenossen kaum noch zu trennen. 10 bis 20 Mann, vielleicht ein paar Trossleute. Man geht durch die Hölle und zurück.
Dabei geht es dann gar nicht so sehr darum, dass man unbedingt viel kämpft. (Es ist sogar völlig okay, Kampf gar nicht auszuspielen, sondern immer nur „zum Kampf hinzugehen“ und „vom Kampf zurückzukommen“.) Wenn man kämpft, dann geht es dabei eben nicht nur um den Sieg. Man kämpft für die eigenen Freunde, die Hoffnung auf Wohlstand und die eigene Zukunft. Wenn es hart auf hart kommt, muss man sich entscheiden, ob man bleibt oder Leine zieht. Man hat beides: Kampf und eine starke soziale Bindung. Es ist Raum für allerlei interessante Charaktere, welche sich als Brüder/Schwestern verbunden sind.
Ob als verlorener Haufen für das Extrageld oder als Plündertrupp im Hinterland: Man kommt auch mit moralisch zweifelhaften oder gefährlichen Tätigkeiten in Kontakt und muss immer wieder abwägen, ob das mit den Zielen und den Prinzipien der eigenen kleinen Kompanie vereinbar ist. Geldsorgen, Ausrüstung und Versorgung sind alle das Problem der eigenen Truppe.
Diplomatische Gesandte/Spione
Krieg oder Frieden, Allianz oder keine Allianz, Durchgangsrechte, Unterstützung, Lebensmittel beschaffen, Schiffe pachten… Die Armee funktioniert nicht für sich allein. Man kann in Intrigen geraten, man muss Pläne schmieden. Der Kontakt zu den eigenen Auftraggebern ist nicht immer leicht, strategisches Denken und soziales Gespür verhelfen zu unerwarteten Encountern und erlauben auch eigene Intrigen und Plots. Als Diplomat ist man natürlich auch zeitgleich ein wenig Spion. Man muss versuchen, trotz eingeschränkter Bewegungsfreiheit und ständiger Beobachtung wichtige Ziele zu erreichen.
Das Ganze funktioniert am besten als Kurzkampagne, weil das Thema irgendwann ausgelutscht ist. Aber ein klarer Konflikt, ein einzelnes dichtes Setting mit wenig Nebenschauplätzen, und man kann sicherlich 10–20 Spielsitzungen füllen.
Partisanen oder Freischärler
Partisanen haben ganz andere Probleme als die reguläre Armee. Nicht nur sind sie alle freiwillig am Kampf beteiligt, sie sind auch definitiv der Underdog. Sie bewegen sich fließend zwischen der Zivilbevölkerung und dem Versteck im Wald, ihre Hierarchie ist sehr flach, und neben rein militärischen Problemen müssen sie auch die Häscher der Besatzungsmacht fürchten. Sie nehmen Kontakt auf mit „freundlichen“ Streitkräften, müssen sich Ausrüstung beschaffen, und jeder Verwundete hat einen Namen und man kennt ihn vielleicht sogar schon aus der eigenen Jugend.
Ein großer Vorteil ist, dass jedem klar sein wird, wofür er kämpft. Das „warum sind wir eigentlich hier?“ spielt keine Rolle, bis auf die, welche aufgeben wollen. Man hat Platz für Spionage, Sabotage, man muss der Zivilbevölkerung helfen, und man kann sich tolle Aktionen ausdenken, um „die Bevölkerung wachzurütteln“ oder „ein Zeichen zu setzen“. Einfache Leute als große Heroen.
Bonus: Zivilisten mit allerlei Problemen
Für die meisten Spielgruppen ist das vermutlich nichts, aber auch Zivilisten können spannend sein. Man nehme das, was oben beschrieben wurde, und versetze sich in die Gegenposition. Plötzlich geht es darum, die Gemeinde zusammenzuhalten. Kollaboration oder nicht? Wie weit sind wir bereit zu gehen im Widerstand, in politischer Spannung und Spaltung, bei Versorgungsproblemen? Das meiste davon ist sehr langsames Drama, kann aber z. B. als Vorgeschichte für eine Partisanentruppe dienen.
Wer sich für diese Aspekte interessiert, der sollte sich auch einmal das Videospiel „This War of Mine“ anschauen.
Zusammenfassung
Der Krieg ist als Thema kompliziert. Als Setting hingegen kann er den Hintergrund bieten für allerlei interessantes Drama. Egal ob man den Kampf in den Vordergrund stellt oder nicht, Krieg ist immer ein Spannungsfeld und das ist Treibstoff für Action und Geschichten.
Möchte man Kriegsteilnehmer spielen, dann bieten sich Soldaten an, deren persönlicher Informationsstand nicht zu weit über die direkte Umgebung hinausgeht, also keine hochrangigen Offiziere, sondern lieber Unteroffiziere oder einfache Leute. Von Linieninfanterie nimmt man besser Abstand, denn die hat wenig Spannendes zu tun, ist immer Teil von strikten Hierarchien und nimmt den Spielern damit zu viele Entscheidungsräume.
Für soziales Spiel bietet sich darum der logistische Teil der Armee an, wo der eigentliche Kampf in den Hintergrund rückt.
Wer Action mag, der sollte über Sondereinheiten nachdenken, denn diese haben mehr Platz für dramatisches Spiel und „schräge Vögel“.