In diesem Beitrag geht es um historische Frauen, die gute Beispiele und Inspirationen für atypische weibliche Charaktere in historischen Rollenspiel-Settings darstellen. Weibliche Charaktere, die mit dem historischen Klischee brechen, ohne dabei den Rahmen völlig zu verlassen oder das Setting zu zerstören.
Genau wie im ersten Teil möchte ich im zweiten Teil dieser Serie euch wieder drei spannende Frauen vorstellen: Marie-Anne Dieu-le-Veut, Julie d’Aubigny und Mariya Oktyabrskaya. Der Abschnitt über Mariya Oktyabrskaya ist bereits zuvor auf PnPnews veröffentlicht worden.
Marie-Anne Dieu-le-Veut
Sie wurde am 28. August 1661 in der französischen Britannie geboren, aber über die Kindheit und Jugend von Marie-Anne ist nichts dokumentiert. Fest steht, dass sie irgendwann wegen Prostitution zur Deportation in die Kolonien verurteilt wurde. Das war zu dieser Zeit eine gängige Praxis, um den Frauenmangel in der Neuen Welt auszugleichen und im selben Atemzug gegen übermäßige Prostitution in den französischen Städten vorzugehen.
Marie-Anne wurde nach Tortuga verschifft, einer kleinen Insel an der Nordküste von Hispañola. Dort befand sich ein französisches Fort, und die Insel stand damit mehr oder minder unter der Kontrolle Frankreichs. Tatsächlich aber waren die dortigen Bukanier die wahre Macht.
Die Bukanier
Bukanier, bzw. Buccaneer, ist heute für manche beinahe gleichbedeutend mit Pirat, Seeräuber oder Freibeuter. Allerdings bezeichnen die meisten dieser Begriffe etwas ganz Spezielles. Bukanier waren beispielsweise größtenteils gar keine Seeräuber, sondern das karibische Äquivalent von Trappern. Aus Europa eingewanderte Jäger und Fischer, die in relativ kleinen Gruppen oder für sich allein auf den Inseln der Karibik lebten. Den Namen Bukanier haben sie vom sogenannten Buccan, einer Röst-Räucher-Vorrichtung für Fleisch, wie sie von den karibischen Arawak verwendet wurde. Die Bukanier machten so Fleisch von Seekühen und verwilderten Schweinen und Rindern haltbar. Dieses Fleisch verkauften sie dann an vorbeifahrende Schiffe. Da sie selbst bettelarm, aber notgedrungen hervorragende Schützen mit der Muskete waren, stellten Bukanier begehrte Spezialisten dar, die gern von Seeräubern rekrutiert wurden, um Steuerleute und Mastmannschaften von Beuteschiffen gezielt auszuschalten.
Hochzeit auf Tortuga
Angekommen auf Tortuga, dem verruchtesten Piratennest der Karibik, heiratete sie den Bukanier Pierre Lelong, mit dem sie eine Tochter hatte. Nachdem Pierre 1690 getötet worden war, heiratete sie ein Jahr darauf erneut, und zwar den Bukanier Joseph Cherel, mit dem sie ebenfalls eine Tochter hatte. Joseph geriet jedoch nach zwei Jahren Ehe in einen schweren Streit mit dem holländischen Piratenkapitän Laurens de Graaf. Es kam zu einem Kampf, im Zuge dessen Marie-Annes zweiter Mann von de Graaf erschossen wurde. Hier nahm ihr Leben seine dramatisch deutlichste Wende.
Auf zum Duell!
Marie-Anne konfrontierte den Mörder ihres Mannes und forderte ihn zu einem Duell auf Leben und Tod. De Graaf gab sich amüsiert von der unbewaffneten Frau, zog seinen Säbel und wollte sie einschüchtern. Statt jedoch einen Rückzieher zu machen, zog Marie-Anne eine Pistole, die de Graaf zuvor nicht bemerkt hatte. Der Legende zufolge bat de Graaf um eine faire Chance, und Marie-Anne verlangte, dass er seinen Säbel fortwerfen und vor ihr niederknien solle, wenn er um Vergebung betteln wolle. Laurens de Graaf warf den Säbel beiseite, fiel vor ihr auf die Knie und bat… um ihre Hand.
Dieser Teil der Geschichte ist vermutlich nicht wahr, aber genau weiß das leider niemand mehr, und es ist eine ziemlich gute Geschichte! Wesentlich interessanter jedenfalls als die meisten Alternativen. Zumal das Ergebnis belegt ist: Marie-Anne und Laurens de Graaf wurden ein Paar und heirateten noch im selben Jahr!
Hier beginnt der besondere Teil von Marie-Annes Leben, der sie von anderen Frauen in der Karibik oder auf Tortuga abhebt, denn Marie-Anne blieb nicht als Heimchen an Land. Sie brachte ihre Kinder irgendwo an Land gut unter. Sie selbst jedoch folgte ihrem neuen Mann.
Auf Kaperfahrt
An der Seite von Laurens de Graaf segelte sie auf Kaperfahrt mit. Der halbmythologischen Überlieferung zufolge stellte sie sich eine schrille Garderobe aus den erbeuteten Uniformteilen von Offizieren ausgeraubter Schiffe zusammen, die sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit trug. Sie lernte segeln, fechten und schießen, und wann immer ihr oft betrunkener Mann nicht imstande war, das Schiff zu führen, trieb sie die Mannschaft an. Diese Durchsetzungskraft brachte ihr auch den Spitznamen Dieu-le-Veut ein, was nichts anderes ist als die französische Form des lateinischen Deus vult: Weil Gott es so will.
Marie-Annes Spur verliert sich schließlich in der Geschichte. Wir wissen, dass sie von 1693 bis 1696 mitsamt ihren Töchtern in englische Gefangenschaft geriet, als sie im Zuge einer Vergeltungsexpedition der Engländer gegen Port-de-Paix an Land ergriffen wurde. Nach dem dokumentierten Freilassungsdatum ist nur noch ihr Todesdatum (1710) bekannt, nicht jedoch, wie sie die letzten 14 Jahre ihres Lebens verbrachte. Es wird vermutet, dass sie sich in Louisiana niederließ, und es gibt anekdotische Geschichten darüber, wie ihre älteste Tochter sich den Fußstapfen der Mutter folgend später mit mehreren Männern duellierte und einen davon heiratete. Belegt ist dazu allerdings nichts.
Marie-Anne Dieu-le-Veut als Charakterinspiration
Für Rollenspielcharaktere ist Marie-Anne Dieu-le-Veut eine prima Schablone, wenn man den Aspekt akzeptiert, dass sie einen Mann als Ermächtigung benötigte. Ohne Laurens de Graaf hätte sie kein Piratenschiff kommandiert und keine Handelsschiffe geplündert. Die Rolle von Laurens ist allerdings erstens auf die eines Sponsors reduzierbar oder aber in die Hintergrundgeschichte verlegbar. Spielt man einen Charakter wie Marie-Anne nämlich zu der Zeit, wo sie bereits Dieu-le-Veut genannt wird, dann ist Laurens de Graaf zunehmend nicht mehr erforderlich. Die Crew des Schiffes weiß, was sie kann und wer sie ist, sie hat Macht, Einfluss, Geld und einen Ruf wie Donnerhall.
Eine Figur wie Marie-Anne, die selbstbewusst als Frau in eine Männerdomäne vordringt und dabei anders als beispielsweise die Piratin Anne Bonnie, die mit Calico Jack segelte, nicht versucht, sich als Mann auszugeben, kann auch als Mentorin für seeräuberische Frauencharaktere fungieren. Schließlich hätte sie nur wenig daran gehindert, weitere Frauen an Bord ihres Schiffes zu holen, zu fördern und zu ermächtigen.
Als Vorbild in einem historischen Setting funktioniert sie ohnehin hervorragend. Zu werden wie Marie-Anne, ist ein dramaturgisch gutes Ziel für andere junge Frauen, die gerade erst zu Beginn einer Kampagne in die Karibik verschifft wurden.
Julie d’Aubigny
Fechtmeisterin, Jahrmarktsängerin, Opernsängerin, Duellistin. Julie d‘Aubigny (1673–1707) hatte ein äußerst bewegtes, kontroverses und abenteuerliches Leben voller Skandale und Tabubrüche.
Julies Vater war Assistent des Comte d‘Armagnac, Louis de Lorraine-Guise, des Rittmeisters am Hof von Sonnenkönig Louis XIV. Eine der Aufgaben ihres Vaters war es unter anderem, die Hofpagen auszubilden. Da ihr Vater ein begeisterter Fechter war und wollte, dass Julie sich eventueller Verehrer erwehren konnte, ließ er sie schon in jungen Jahren Männerkleidung tragen und unterwies sie zusammen mit den Pagen im Fechten. Dazu bekam sie die übliche Ausbildung einer Adeligen: Lesen, Schreiben und Tanz.
Erzwungene Heirat
Als sie etwa vierzehn Jahre alt war, entwickelte der Herr ihres Vaters, Comte Louis de Lorraine-Guise, ein perverses sexuelles Interesse an ihr und fing an, sie regelmäßig zu vergewaltigen. Anders kann man die sexuelle Beziehung zwischen einer 13-Jährigen und einem 45-Jährigen kaum nennen, auch nicht zeitgenössisch. Und gegen den Comte halfen auch Hosen und Fechtkünste nicht viel. Er erzwang schließlich ihre Heirat mit dem Sieur de Maupin of Saint-Germain-en-Laye. Vermutlich, um Gerüchte am Hof zu vermeiden oder ihren Vater zu besänftigen. Nach französischem Brauch wurde sie mit der Hochzeit zur Madame de Maupin, oder kurz: La Maupin. Unter diesem Namen war sie dann auch fortan bekannt.
Bereits kurz nach ihrer Hochzeit wurde ihr Mann nach Südfrankreich versetzt. Sie selbst blieb am Hof. Nicht zuletzt auch, weil Rittmeister Lorraine-Guise sie weiterhin zu seiner Verfügung haben wollte.
Flucht
Julie begann davon unabhängig ihrerseits eine Affäre mit einem Fechtlehrer namens Sérannes. Als dieser aber in einem illegalen Duell seinen Kontrahenten tötete und die Polizei ihn verhaften wollte, floh das Paar nach Marseille. Eine andere Version ist, dass Julie genug von den Zuwendungen ihres Schänders hatte und Sérannes als Weggefährten bei ihrer eigenen Flucht mitnahm.
Das Paar schlug sich durch, indem es in Tavernen und Wegherbergen sang und Fechtdarbietungen gab. Zu dieser Zeit fing Julie auch damit an, Männerkleidung zu tragen. Allerdings verkleidete sie sich damit nicht als Mann. Sie trug ihre Haare weiterhin in weiblichen Frisuren, benutzt Make-up und versuchte auch sonst nicht den Eindruck zu erwecken, dass sie ein Mann wäre. Für die meisten Menschen, denen sie begegnete, war das zu dieser Zeit ungeheuerlich skandalös und aufregend, auch wenn es nicht tatsächlich verboten war.
Genug von den Männern
Nach einer Weile hatte Julie allerdings genug von ihrem Liebhaber und verliebte sich in eine junge Frau, mit der sie eine Affäre begann. Die Eltern ihrer Geliebten versuchten dies zu unterbinden und steckten die Tochter in ein Kloster. So leicht aber ließ sich Julie nicht abschütteln. Sie folgte ihrer Freundin und schlich sich als Postulant in das Kloster ein. Als sich eine günstige Gelegenheit ergab, raubte Julie die Leiche einer toten Nonne, platzierte diese im Bett ihrer Geliebten und legte Feuer, damit man ihre Freundin für tot hielt. Beide Frauen flohen, aber nach einigen Monaten kehrte ihre Geliebte zu ihrer Familie zurück, und der Plan flog auf.
Julie La Maupin wurde in Abwesenheit vom Gericht wegen Entführung, Leichenraub und Brandstiftung zum Tode verurteilt. Das Urteil lautete auf Verbrennung. Das Gericht wusste allerdings nicht, dass Julie eine Frau war. Während man versuchte, den Postulanten dingfest zu machen, setzte sich Julie nach Paris ab.
Auf dem Weg dorthin traf sie den Schauspieler Monsieur Maréchal, der ihr eine Weile Schauspielunterricht gab. Sie setzte ihre Reise nach Paris aber fort, als er zunehmend seinem Alkoholismus erlag.
Eine Freundschaft fürs Leben: durch ein Duell
Kurz vor ihrem Ziel, in Villeperdue, traf sie auf der Straße einen jungen Adeligen. Julie, wieder einmal in Männerkleidern unterwegs, und der Mann gerieten in Streit. Es kam zu einem Duell, im Zuge dessen Julie ihrem Gegner die Schulter mit ihrem Schwert durchbohrte. Sie floh, aber am nächsten Tag plagte sie das schlechte Gewissen, und sie erkundigte sich nach seinem Zustand. Er entschuldigte sich für den Streit und stellte sich als Louis-Joseph d’Albert Luynes vor, Sohn des Herzogs von Luynes. Sie wurden Freunde und begannen eine kurze Affäre, bis er von seiner Wunde genesen war und zu seiner Armee-Einheit zurückkehren musste. Diese Freundschaft hielt der Überlieferung zufolge bis zu ihrem Tod.
Vor ihrer Rückkehr nach Paris forderte sie einen Gefallen vom Comte d‘Armagnac ein, der sich in ihrem Namen beim König persönlich für ihre Amnestie einsetzte, für alles, was ihr bis dato zur Last gelegt wurde, einschließlich des Todesurteils für die Brandstiftung. Nachdem Louis XIV. sie begnadigt hatte, kehrte sie schließlich nach Paris zurück.
Von der reisenden Fechterin zur Opernsängerin
Julie schloss sich der Pariser Oper an und wurde ab 1690 fester Bestandteil der Entourage unter dem Namen Mademoiselle Maupin, da es üblich war, dass Opernsängerinnen unter der Bezeichnung Mademoiselle auftraten statt als Madame. Wer jetzt nachrechnet, stellt fest, dass sie zu diesem Zeitpunkt erst 17 Jahre alt war!
In Paris beruhigte sich ihr bewegtes Leben nicht im Geringsten. Mademoiselle Maupin trug auch weiterhin regelmäßig Männerkleidung, schminkte sich nur selten und duellierte sich regelmäßig. Außerdem vergnügte sie sich mit sexuellen Eskapaden einmal quer durch die Entourage des Theaters und die junge Crème de la Crème von Paris. Sie hatte Affären mit Männern und Frauen gleichermaßen, und als die Mätresse des Grand Dauphin sie zurückwies, versuchte sie sogar einmal, sich aus Liebeskummer das Leben zu nehmen.
Flucht nach Brüssel
Ihre Karriere als streitlustiger, duellwütiger und pansexueller, androgyner Star der Pariser Oper wurde jäh unterbrochen, als sie 1695 auf einem Fest eine Frau küsste und daraufhin von drei Männern zum Duell gefordert wurde. Sie besiegte alle drei, aber unglücklicherweise waren Duelle in der Stadt Paris verboten. Sie floh also kurzerhand erneut woanders hin. Diesmal nach Brüssel.
Da angekommen, schloss sie sich der dortigen Oper an, verprügelte mehrere Kritiker und Spötter, duellierte sich einige Male und hatte abermals zahllose Liebschaften. Brüssel konnte sie jedoch nicht lange halten, und so kehrte sie 1698 wieder nach Paris zurück, wo der Comte d‘Armagnac abermals ihre Begnadigung erwirkte.
Sie trat in Paris wieder in der Oper auf und verliebte sich in die Marquise de Florensac, Marie Louise Thérèse de Senneterre, mit der sie bis zu deren Tod nun eine für Julies Verhältnisse ungewöhnlich stabile und exklusive Beziehung führte. Marie Louise war wohl Julies große Lebensliebe, denn nach ihrem Tod verging ihre Abenteuerlust endgültig, und sie zog sich in tiefer Trauer in die Provence zurück. Es wird vermutet, dass sie irgendwann zwischen 1707 und 1710 im Alter zwischen 33 und 36 verstarb. Wo sie begraben liegt und unter welchem Namen, ist unbekannt.
Julie d’Aubigny als Charakterinspiration
Durch die Rollenspielerlinse betrachtet, ist Julie d‘Aubigny die absolute Steilvorlage einer historisch atypischen Frau. Ungewöhnlicher ginge es kaum. Sie trug Männerkleidung, duellierte sich, trank, feierte, raubte eine Leiche, verführte Männer wie Frauen, war eine Diva und ein Popstar. Würde man ihr Leben als Rollenspielkampagne spielen, dann finge man vermutlich am besten an, als sie das erste Mal aus Paris flieht. Das ist der Zeitpunkt erstmaliger dramaturgischer Zuspitzung. Ein Katalysator, wie es im Rollenspiel das erste, echte Abenteuer ist.
Was man auf keinen Fall tun sollte, ist, so ein Leben wie das von Julie d‘Aubigny in eine Hintergrundgeschichte zu stopfen. Als sie mit 17 aus Paris nach Marseille floh, hatte sie alles, was ein Startcharakter braucht: eine solide Ausbildung, ein Ziel, zu dem hin sie strebte, sowie etwas, vor dem sie entfloh. Wie traumatisch oder prägend ihre Beziehung zum Comte d‘Armagnac gewesen ist, kann man aus heutiger Sicht kaum beurteilen. Aus ihrem Lebensweg habe ich den Eindruck, dass sie eine extrem lebenslustige und draufgängerische Person war, aber ich denke, man kann darin auch den Schatten eines Jugendtraumas erkennen. Bindungsprobleme und Rastlosigkeit prägen definitiv den Großteil ihres Lebens, und alt wurde sie auch nicht. Man sagt ja: Die Flamme, die doppelt so hell brennt, brennt auch doppelt so schnell aus. Auch damit verkörpert Julie wohl die meisten Rollenspielfiguren.
Mariya Oktyabrskaya
Nachdem ihr Mann 1941 im Kampf gegen die Wehrmacht gefallen war, verkaufte die Russin Mariya Oktyabrskaya fast ihre gesamte Habe, um mit dem so gesammelten Geld die Produktion eines Panzers zu finanzieren. Von ihrer Geldspritze wurde ein T-34 gebaut, ein mittlerer Panzer der sowjetischen Streitkräfte. Doch damit nicht genug. Mariya Oktyabrskaya wollte nicht einfach nur dafür sorgen, dass es einen Panzer mehr gab. Sie wollte Rache! Ganz unmittelbar und persönlich.
Daher meldete sie sich als Freiwillige zu den Streitkräften und verlangte, zur Panzerfahrerin ausgebildet zu werden. Sie wollte den Panzer, der ihren Mann rächen sollte, nicht nur bezahlen. Sie wollte ihn auch höchstselbst in die Schlacht lenken!
Plötzlich Panzerfahrerin
Mariyas Wunsch wurde stattgegeben, und nach einer ungewöhnlich langen und gründlichen Ausbildung als Panzerfahrerin und Mechanikerin wurde sie mit ihrem Panzer der 26. Panzer-Garde-Brigade zugeteilt. Sie verzierte ihren Panzer mit einem Slogan der auf Deutsch ungefähr Kampfgefährtin oder Freundin in der Schlacht bedeutet.
Erwartungsgemäß hielten ihre Kameraden sie für einen Akt der Propagandaabteilung, einen Witz und Publicity-Stunt der politischen Führung. Allerdings nur, bis Mariya zeigen konnte, was in ihr steckte. Bei den Kämpfen um Smolensk bekam sie die Gelegenheit dazu, wo sie durch besonderen Wagemut und herausragendes Fahrgeschick auffiel. Und auch durch große Furchtlosigkeit.
Beherzt ans Werk, auch unter Feindfeuer
Als ihr Panzer von feindlichen Geschützen getroffen und fahruntüchtig geschossen wurde, verließ sie unter Feindfeuer und entgegen dem Befehl ihres Panzerkommandanten zusammen mit dem Funker und Wannen-MG-Schützen den T-34, um inmitten des Gefechts den Motor zu reparieren und das Fahrzeug wieder fahrtüchtig zu machen. Die „Kampfgefährtin“ konnte sich so mit ihren Insassen vom Schlachtfeld zurückziehen, und ihre Fahrerin wurde dafür zur Unteroffizierin befördert.
Kaum einen Monat später wiederholte Mariya ihre Heldentat, als die Ketten der Kampfgefährtin von einer feindlichen Artilleriegranate beschädigt wurden. Während der Kommandant und der Lader vom Turm aus mit dem dortigen Maschinengewehr und einer Maschinenpistole Unterdrückungsfeuer gaben und die deutsche Infanterie in Deckung hielten, reparierte Mariya zusammen mit dem Beifahrer die Ketten des Panzers.
Mariya Oktyabrskaya überlebte den Krieg nicht, aber sie wurde posthum mit der Ehrenmedaille „Held der Sowjetunion“ ausgezeichnet.
Mariya Oktyabrskaya als Charakterinspiration
Was für mich Mariya Oktyabrskaya zu einer interessanten Schablone macht, ist nicht der Umstand, dass sie im Zweiten Weltkrieg in der Roten Armee kämpfte. Zahlreiche Frauen taten das in den unterschiedlichsten Rollen, von der Scharfschützin bis zum Nachtbombergeschwader der sogenannten Nachthexen.
Mariya Oktyabrskaya ist für mich vor allem aufgrund der emotionalen Dimension interessant und aufgrund des Ausnahmecharakters ihres Lebenswandels. Sie hatte ein persönliches Motiv, zu kämpfen: Rache. Und sie verfolgte es mit allem, was sie hatte. Schließlich verkaufte sie ihr gesamtes Hab und Gut, um diesen Panzer zu finanzieren. Es kommt aber auch eine weitere Komponente hinzu. Man bedenke, dass Mariya Oktyabrskaya zwar den Bau des Panzers finanzierte und als Fahrerin und Mechanikerin ausgebildet war. Sie war aber zu keinem Zeitpunkt die Kommandantin des Panzers im Sinne der militärischen Hierarchie. Der Kommandant saß im Turm, zusammen mit dem Richtschützen. Wie genau das im Fall von Mariya Oktyabrskaya ablief, ist nicht überliefert, aber aus einer rein dramaturgischen Sicht entsteht dadurch ein äußerst spannender und zwiespältiger Konflikt aus militärischer Macht und Ansehen, persönlichem Anspruch und Tradition. Man könnte sicherlich eine gute Komödie daraus schreiben, genauso gut aber auch ein ebenso packendes Drama oder einen Actionfilm. Gleich, was man auch daraus für Inspiration zieht, die Charakterdynamik der Panzermannschaft wäre sicherlich ein wesentlicher Faktor.
Und stellt euch vor, ihr spielt eine solche Kriegsgeschichte, und eine Mitspielerin sagt: „Spiel du ruhig den Kommandanten. Ich will die Fahrerin spielen. Und ich will, dass der Panzer mir gehört!“
Ich denke, daraus lässt sich etwas machen, das durchaus eine mittellange Kampagne tragen kann.
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