Die Hanse war, so der klassische Konsens, ein Zusammenschluss von Händlern und zugleich eine Organisation von Städten in Nordeuropa, vorrangig in der Nord- und der Ostsee. Ihre Händler agierten von Russland bis Italien, wobei sie die Vorteile der gemeinsamen Dachorganisation genossen, wie beispielsweise gemeinsame Rechte oder Niederlassungen in fremden Städten. Gut 70 größere und ca. 130 kleinere Städte waren Teil dieses Zusammenschlusses, der fast 500 Jahre Bestand hatte (vom 12. bis zum 17. Jh.).
Nun ist die Hanse allerdings sehr viel komplexer, als diese kurze Definition vermuten lässt. Sie ist ein vielschichtiges wirtschaftliches, soziales und politisches Phänomen. Allein die Anzahl der beteiligten Städte garantiert, dass man immer etwas Neues zum Diskutieren findet. Ein kaum beleuchteter Aspekt ist, dass die Hanse auch eine grenzübergreifende, multilaterale Organisation war – ähnlich wie beispielsweise die UNO oder der internationale Gerichtshof in Den Haag. Jedoch war die Hanse sehr vie lockerer organisiert als moderne internationale Institutionen. Damit wurden flexible Methoden wichtig, um die Organisation zusammenzuhalten. Ich bin über einen interessanten Fachartikel gestolpert, der eine spannende Facette beleuchtet: Konfliktmanagement zu einer Zeit, in der das Duell gerade die Fehde ablöste.
Und solche Konfliktlösungsmethoden waren auch nötig, denn es ging um viel Geld. Die Hansekaufleute waren reich – das erkennt man auch an den Bauwerken, die sie errichteten. Das auf dem Titelbild abgebildete Oosterhuis in Antwerpen (Belgien) war die dortige Niederlassung und eine Schaltzentrale der Hanse. Es wurde 1560 errichtet und brannte 1893 nieder.
Die Hanse ist kein Staat
Die Hanse ist also ein Zusammenschluss von Händlern und Städten. So weit so klassisch und bekannt. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass die Hanse zwar ein strategischer Zusammenschluss war, aber die einzelnen Städte dennoch Teil von verschiedenen Herrschaften blieben und ihre Autonomie bewahrten.
Sie bildeten keinen Staat, sondern eine Föderation ohne Herrscher, ohne Siegel und ohne gemeinsame Gelder. Das betonten die hanseatischen Gesandten auch immer wieder, wenn sie die Hanse fremden Herrschern erklärten. Dabei ging es auch darum, gemeinsame Verantwortung auf den Einzelnen abzuwälzen. Kurz, die Hanse lehnte es ab, in die üblichen Rechtsformen gepresst zu werden, mit denen auch rechtliche Erwartungen einhergingen.
Untertanen mit Sonderprivilegien
Eine englische Hansestadt war beispielsweise auch nicht Teil des „hansischen Staates“, sondern ein Untertan der englischen Krone – und zeitgleich Teil der Hanse. Diese Gespaltenheit aus verschiedenen Zugehörigkeiten und Abhängigkeiten ist allerdings normal für das Mittelalter. Ebenso die Ungleichheit in Rechten und Privilegien. Manchmal brauchte es nur eine Tagesreise, um rechtlich schlechter gestellt zu sein – dafür sorgten beispielsweise Gilden oder Zölle.
Die Hanse bot hier Abhilfe durch Verhandlungsmacht und Kooperation. Am Ende agierten einzelne Schiffe und Personen in ihrem eigenen Namen, konnten aber auf die Vorteile der Hanse zurückgreifen. Einer davon waren die lokalen Vertretungen der Hanse.
Die Hanse als Plattform für Konfliktlösungen
Die Hanse zog ihren Nutzen für die Händler und die Städte auch daraus, dass sie eine Plattform zur Konfliktlösung bot – eben, weil sie so vernetzt war. Ein Netzwerk von offiziellen und inoffiziellen Diplomaten, sowie von informellen Fürsprechern, konnte helfen, die lokalen Schwierigkeiten zu navigieren oder über die eigene Stadt hinaus Rechtsstreite beizulegen.
Anders als die meisten Völker („Nationen“) hatte die Hanse nämlich schon früh in den vielen Städten, die ihr angehörten, Handelsniederlassungen. Dadurch hatten sie ständige Vertreter vor Ort in Form der Verwalter der Kontore und Faktoreien. Ebenso lebten viele der Hanse-Kaufleute eine Weile anderswo oder vernetzten sich mit Verwandten vor Ort. Allgemein reisten die Kaufmänner und auch Kauffrauen (ja, die gab’s) der Hanse ausgesprochen viel. Die Aldermänner der Kontore waren darum ein immer verfügbarer Anlaufpunkt in der Fremde und zwar lange, bevor andere Staaten die ersten Konsuln in fremde Häfen entsandten.
Was für Schwierigkeiten und Konflikte traten auf?
Neben den klassischen Problemen wie Kriege, Embargos und Vertragsbrüche waren es vor allem drei Problembereiche, welche eigene und flexible Konfliktlösungsmethoden für die Händler erzwangen.
Mobilität und Logistik
Das erste Problem war die Logistik. Die Händler und ihre Güter mussten von A nach B gelangen. Das bedeutete oft, dass ein Händler oder einer seiner Untergebenen die Waren an ferne Orte begleitete. Dafür mussten Handelsposten, Niederlassungen und Schlafmöglichkeiten geschaffen werden. Gerade vor dem 13. Jh. gab es kaum öffentliche Gasthäuser in Europa.
Wer aber viel reist, der trifft auf verschiedenste und ungewohnte Gesellschaften, Hierarchien und Rechtssysteme. Vorräte für Tier und Mensch waren nicht immer zu beschaffen, und Informationen waren schwierig zu bekommen. Viele Städte hatten darum eigene Prozeduren und Regeln für Auswärtige, was eine schnelle Rechtsprechung ermöglichte.
Interessanterweise waren viele hanseatische Kaufleute in ihrem Leben Bürger verschiedenster Städte – allerdings immer nur von einer zur selben Zeit. Das Aufbauen von Verwandtschaftsnetzwerken war eine nützliche Strategie, sodass Verwandte in anderen Städten auch als Anlaufpunkt für den Handel dienten.
Das führte jedoch auch dazu, dass die Erben von Kaufleuten teilweise über mehrere Städte verteilt waren, sodass Erbschaftsfragen einen funktionierenden Austausch zwischen den Städten benötigten. Unter anderem, damit Waisenkinder und Witwen ihren fairen Anteil am Erbe bekamen. Das gleiche Problem gab es bei Schulden, die ebenfalls über alle Besitzungen fair verteilt eingezogen werden sollten, damit keine der Städte schlechter gestellt wurde.
Streitbeilegung gegenüber Dritten
Wenn die Hanse nicht als Gruppe haftbar sein wollte, dann musste sie in allen Rechtsstreiten mit Dritten, z.B. Staaten, in der Lage sein, die Verantwortlichen zu präsentieren. Beispielsweise, wenn ein hanseatisches Schiff Piraterie betrieb und in der Folge Klage erhoben wurde.
Die Hanse als Ganzes musste dabei gleich mehrere Schwierigkeiten jonglieren. Zum einen musste sie feststellen, welche Stadt nun dafür verantwortlich war. Diese Stadt musste dann überzeugt werden, rechtliche Schritte gegen ihren Stadtbürger zu unternehmen.
Zum anderen musste sie die Einigkeit der Organisation bewahren. Übte der Zusammenschluss Druck auf Einzelne aus, führte das zu Spannungen, die irgendwie ausgeglichen werden mussten, damit dieses gewaltige Netzwerk aus 200 Städten nicht an zu vielen kleinen Streitigkeiten auseinanderbrach.
Koordination der einzelnen Städten
Immer wieder traten Situationen auf, welche die Hanse zwangen als Ganzes zu agieren. Damit das in einer effizienten und zügigen Art möglich war, mussten Meinungsverschiedenheiten schnell gelöst werden können. Das war gar nicht so leicht, schließlich waren die Hansestädte über ganz Nordeuropa verstreut.
Gerieten beispielsweise die Herrscher zweier Hansestädte in Konflikt, waren sie zum einen ihrem Landesherrn verpflichtet, wollten aber gleichzeitig den Handel aufrecht erhalten – das gleiche galt für unbeteiligte Dritte. Nicht immer waren alle Städte beteiligt, sodass sich innerhalb der Hanse temporäre Gruppen bilden konnten, sogenannte Tohopesate (das Zusammensetzen). Meist als Antwort auf Krieg oder Herrschaftskrisen mit dem Ziel den Handel aufrechtzuerhalten.
Die Konfliktlösungsmethoden der Hanse
Wann immer Streitigkeiten unter Hanseaten ausbrachen, gab es mögliche Anlaufstellen dafür. Die hanseatischen Ratsherren der einzelnen Städte waren stets darum bemüht, Streitigkeiten zwischen Personen außergerichtlich zu klären – durch Mediation. Man folgte dem Spruch „In Minne oder Recht“ – „Nichts unversucht lassen, bevor man das Gericht einschaltet.“
Mediation und Schiedsgericht
Häufig begann die Streitlösung, z.B. bei Schulden, damit, dass 4–6 „gute Männer“ als Schlichter eingeladen wurden. Reichte das nicht, wurden weitere 4–6 Schiedsrichter einberufen. Wurde eine Lösung für den Streit gefunden, wurden die Beweise oftmals verbrannt – als Zeichen, dass der Konflikt nun beigelegt war. Schließlich gab es ohne Beweise keine Möglichkeit mehr, vor Gericht zu ziehen.
Ein Vorteil der Mediation war die Geschwindigkeit. Sachprobleme konnten so pragmatisch von erfahrenen Leuten, welche die Thematik verstanden, beigelegt werden. Außerdem verhinderte es, dass die Schmutzwäsche der Kaufleute in der Öffentlichkeit ausgebreitet wurde. Der Ruf eines Kaufmanns war schließlich so wertvoll wie Geld – niemand wollte als unzuverlässig gelten.
Die Kontore als internationale Schaltstellen
Die Handelsniederlassungen, aber besonders die vier großen Kontore in Bergen, Brügge, London und Novgorod, spielten eine besondere Rolle beim Konfliktmanagement. Sie verhinderten viele Probleme bereits dadurch, dass sie Händler über lokale Gepflogenheiten unterrichteten und Neuigkeiten und andere Informationen verbreiteten.
Auch konnten die Verwalter vor Ort Rechtsrat erteilen, Hilfestellung bieten beim Eintreiben von Schulden oder einschätzen, welche Methoden der Streitbeilegung (Mediation oder Gericht) am erfolgversprechendsten waren. Ebenso konnten sie direkt als Mediatoren tätig werden. Zudem kannten sie sich mit Haftungsfragen aus und wussten Bescheid über die örtliche Politik – beides Dinge, die noch heute für Geschäftsleute im Ausland hohe Hürden darstellen.
Neben dem Schutz hanseatischer Privilegien waren die Vertreter der jeweiligen Städte auch dafür zuständig, die Verantwortung ihrer Heimatstädte wahrzunehmen. Musste zum Beispiel ein Pirat festgesetzt werden, dann war auch das eine ihrer Aufgaben.
Auf der Städteebene
Die gleiche Einstellung der Mediation galt auch für die Hansestädte als Gesamtes. Bereits 1381 beschloss der Hansetag (die Gesamtversammlung aller Hansestädte), dass, wenn zwei Städte in Streit gerieten, die Nachbarstädte als Mediatoren auftreten sollten. Die Annahme war, dass die Nachbarstädte ausreichendes Wissen über die lokalen Gegebenheiten hatten, um guten Rat zu bieten.
Im Allgemeinen wurde die Mediation so lange aufrechterhalten, bis eine Lösung gefunden wurde. Die wenigen Strafmittel, welche die Hanse vorsah, wurden kaum benutzt. War ein Konflikt doch einmal unlösbar oder stellte sich eine Stadt völlig quer gegen die Meinung aller anderen, dann gab es theoretisch das Strafmittel der Verhansung – also den Ausschluss, wenn auch erst einmal temporär. So geschehen mit Köln von 1471 bis 1476. Die zentrale Attitüde der Hanse war jedoch Kooperation, nicht Zwang.
Symbolische Streitbeilegung
Wann immer möglich, wurden Streitigkeiten mit einem Symbol beigelegt. Bei großen Konflikten zwischen Städten wurde ein Friedensvertrag unterschrieben. Damit gab es auch klare Richtlinien, worauf man sich geeinigt hatte. Brach der Konflikt doch wieder aus, dann wurde das Problem zu einem Thema auf dem nächsten Hansetag.
Bei Streiten zwischen Personen wurde am Ende eine sogenannte Urfehde geleistet. Ein Friedenseid, der geschworen werden musste – auch, wenn der Konflikt vor Gericht gelöst worden war. Brach ein Hansemitglied seine Urfehde, dann galt das als Meineid und wurde in jeder Hansestadt verfolgt.
Zusammenfassung
Die Hanse war ein Netzwerk von Personen und Städten, die in verschiedensten Ländern und Rechtssystemen agierten. Es war darum natürlich, dass Kaufleute aufgrund der Sprachbarriere, lokaler Traditionen und Rechtsbrüchen in Streit gerieten.
Wann immer möglich, löste die Hanse solche Streitigkeiten mithilfe von Mediation. Das galt für Streitigkeiten von Einzelnen ebenso wie zwischen Städten. Half nichts, dann wurde vor dem Hansetag beraten. Jeder Streit wurde mit einem Friedensvertrag zwischen Städten oder dem Schwören eines Friedenseids (Urfehde) beendet.
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„Geschichtskrümel“ ist eine wöchentlich erscheinende Serie aus Kurzartikeln. Sie soll Autoren, Spielern und Spielleitern als Anregung dienen und Inspiration fürs Rollenspiel oder Geschichten bieten. Die Geschichtskrümel drehen sich um historische Ereignisse oder Themen, über die ich in meinem Alltag stolpere. Sie sind manchmal lehrreich, manchmal skurril und manchmal einfach nur lustig.
Quellen:
- „Hanse“, in Lexikon des Mittelalters, Band. 4, Spalten 1921-1926 (LexMA Online).
- Wubs-Mrozewicz, Justyna. „The Late Medieval and Early Modern Hanse as an Institution of Conflict Management“. Continuity and Change 32, Nr. 1 (19. Mai 2017): 59–84.