Wer muslimische Piraten sucht, der kommt vielleicht auf die Idee einmal ins Mittelmeer zu schauen. Dort trifft er dann an der marokkanischen Küste auf die Berber-Piraten, welche lange Zeit über die Schifffahrt im mare nostrum heimgesucht haben und durch ihre Raubzüge vermutlich sogar bis nach Island gekommen sind. Sie waren auch der Auslöser für den ersten Krieg des US-Militärs jenseits des eigenen Kontinents zwischen den Jahren 1801 und 1805!
Ebenfalls wenig beachtung findet in deutschen Schulen das Osmanische Reich. Viele haben davon gehört, wenige wissen darüber viel mehr, als dass die Osmanen irgendwann einmal vor Wien standen. Das Osmanische Reich war jedoch noch bis zur Zeit der Industrialisierung eine der vorherrschenden Großmächte in der europäischen Sphäre. Sie beherrschten in der Renaissance und der Frühen Neuzeit die Küsten des östlichen Mittelmeers und durch den Bosporus auch den Zugang zum Schwarzen Meer. Die Grenze zwischen dem muslimischen geprägten Teil des Kontinents und dem christlichen Teil Europas verlief entlang der Linien der osmanischen Herrschaft und ihrer Rechtsprechung.
Der Handel im östlichen Mittelmeer
Das absolute Zentrum politischer und rechtlicher Steuerung der Osmanen war Konstantinopel (Istanbul). Das Osmanische Reich umspannte zu seiner Hochzeit im 17. Jh. die heutige Türkei, Griechenland, Ägypten und die Levante, sowie Vasallen- und Tributstaaten an der nordafrikanischen Küste.
Internationaler Handel
Dadurch, dass diese ganzen Gebiete politisch stark verlinkt waren, verzahnten sich der Norden und der Süden des östlichen Mittelmeers auch wirtschaftlich immer stärker. Ein Teil des Handels war international, sprich für das christliche Europa bestimmt, oder aus Europa kommend.
So transportieren Handelsschiffe auf lukrativen Handelsrouten verschiedenste Waren nach Europa. Darunter unter anderem Stoffe, z.B. Wolle oder Seide aus Asien, Kaffee, Olivenöl, Wein, und große Mengen Weizen – der zu Friedenszeiten ebenso wie in Kriegsjahren geschmuggelt wurde. Obwohl die osmanischen Sultane stets versuchten, den Weizen für den Verbrauch im Inland vorzuhalten. Aus Europa kamen im Gegenzug unter anderem Kleidung, Blei, Zinn, Tabak, Papier und Geld.
Die Versorgung des eigenen Reiches
Neben internationalem Handel über die Grenzen des Reiches hinweg musste auch das mächtige Konstantinopel und sein Umland versorgt werden. Wie schon 1500 Jahre zuvor das mächtige Rom, war die Hauptstadt des Osmanischen Reiches auf einen ständigen Fluss von Versorgungsgütern angewiesen.
Weizen, Mais, Reis, Hülsenfrüchte, Zucker, Leinen, Kaffee, Öl, Honig, Sklaven und Gold wurden aus dem ganzen Reichsgebiet nach Konstantinopel und Salonika (Thessaloniki) geschafft, dem wichtigsten Handelszentrum des Balkans im 17. Jh. Aus den großen Städten wiederum kamen auf dem Rückweg Handwerkswaren und Pilger auf ihrer Hajj nach Mekka oder Beamte, die von Istanbul zu ihren weithin verteilten Posten reisten.
All das führte dazu, dass das Mittelmeer, welches für Europa durch Überseekolonien wie die Plantangeninsel Barbados an Bedeutung verloren hatte, im osmanischen Teil nach wie vor über große Warenströme und hohen wirtschaftlichen Wert verfügte.
Piraterie im osmanischen Mittelmeer
Zum Ende des 16. Jh. drängten niederländische und englische Schiffe zusätzlich zu Franzosen und Italienern ins Mittelmeer, um dort um den Handel und Transport von Waren zu buhlen.
Im westlichen Mittelmeer schlugen die Händler sich mit Korsaren aus den Barbareskenstaaten an der marokkanischen Küste herum. Das östliche Mittelmeer an der Levante und der Ägäis war hingegen das Jagdrevier von Katholiken wie den Rittern von Malta, sowie Muslimen aus Hafenstädten am Rande des osmanischen Reiches. Denn in diesem Teil des Meeres gab es nie einen Mangel an lukrativen Zielen.
Von kleinen Küstenhändlern bis zu großen Handelsschiffen – der stete Warenverkehr lieferte immer neue Opfer. War einmal nichts zu sehen, konnten die Piraten sich ihrer zweiten großen Beute zuwenden: Sklaven. Egal ob christliche Sklaven in muslimischer Gefangenschaft oder umgekehrt – Sklavenfang war immer Teil der Piraterie. Entweder an Land oder eben direkt auf den Schiffen, die man überfiel. Damit einher ging natürlich auch ein reger Austausch von Lösegeld, wofür sich auch eine Industrie von Treuhändern und Geldverleihern bildete.
Der Sultan und die Seefahrt
Bedenkt man die wirtschaftliche Verknüpfung der verschiedenen Teile des Osmanischen Reiches, dann wäre es ja naheliegend zu denken, dass der Sultan hart gegen die Piraten vorginge. Nur, das tat er nicht.
Warum das so war, ist gar nicht so einfach auf den Punkt zu bringen. Einer der Hauptgründe waren geänderte Rahmenbedingungen in der Kriegsführung und die stete Herausforderung, die Kassen des Sultans gefüllt zu halten. Außerdem war der Sultan auf die Korsaren angewiesen, um als Freibeuter seine Flotten zu verstärken, wenn er das benötigte.
1571 hatten die Osmanen bei der Seeschlacht von Lepanto gegen die Heilige Liga ihren mehrere Jahrzehnte lang andauernden Konflikt gegen das habsburgische Spanien zur See verloren. Der lange Krieg hatte dem Reich große Anstrengungen abverlangt, und das Betreiben einer gewaltigen Galeerenflotte mit Tausenden von Ruderern war weder für die Katholiken noch für die Osmanen besonders attraktiv.
Neue Kriege, neue Herausforderungen
Das Einmotten der Flotte war gefolgt von mehreren Landkriegen, unter anderem gegen den safawidischen Iran und später gegen Österreich. Von 1578 bis 1606 befand sich der Sultan in konstantem Krieg gegen mächtige Feinde, erst im Süden, dann im Norden. Besonders Österreich war eine Herausforderung, denn die neue Art der Kriegsführung mit Festungen und gewaltigen Belagerungen über längere Zeit benötigte Unmengen Janitscharen und anderer Soldaten, die nicht länger feudal organisiert waren, sondern mit harter Münze bezahlt werden wollten.
Kaum waren diese langanhaltenden Kriege gewonnen, flammten die nächsten Konflikte auf und als dann auch noch Kosaken-Piraten das Schwarze Meer terrorisierten, musste die Flotte des Sultans aus dem Mittelmeer ins Schwarze Meer verlegt werden.
Langanhaltender Krieg ging auch noch einher mit Seuchen und Hungersnöten. 1617 kämpfte die osmanische Dynastie dann auch noch mit einer Thronfolgekrise nach dem Tod von Sultan Ahmed I.
Kurz: Die Osmanen hatten bereits auf festem Boden alle Hände voll zu tun, sodass die Flotte und die Seefahrt ganz weit nach unten auf der Prioritätenliste rutschten.
Erste Reformbestrebungen
Um 1650 begannen dann erste Bestrebungen der osmanischen Beamten, das Problem in den Griff zu bekommen. Nur hatten in der Zwischenzeit europäische Piraten die ägäischen Inseln besiedelt, die eigentlich unter osmanischer Herrschaft standen. Diese Herrschaft war aber so schwach, dass die Osmanen europäische Schiffe anheuern mussten, um ihre Beamten und Waren sicher zu transportieren. Viele dieser Piraten waren wiederum gleichzeitig Händler. Piratenschiffe zu erkennen war darum schwer, denn das hing einzig und allein davon ab, was ein Schiff tat, nicht woher es kam oder wie es aussah.
Galeonen sind teuer
Das Militär konnte auch nicht helfen. Erstens war es für den osmanischen Staat finanziell kaum gangbar, auf eine moderne Segelflotte umzustellen, man blieb deshalb bei den erprobten Galeeren. Allerdings waren Galeeren nicht in der Lage ganzjährig zu operieren. Sie waren lediglich von März bis Oktober unterwegs und ihre Versorgung war schwierig, denn die vielen Ruderer brauchten ebenso viel zu Essen.
Waren Galeeren bereits teuer, dann waren Galeonen noch teurer. Eine einzelne Galeone kostet im Bau gut das fünffache einer Galeere. Durch den Fokus auf die Landstreitkräfte, bot es sich darum nicht an, den gewaltigen Schritt zu machen, die Flotte zu modernisieren. Bis es irgendwann schliccht zu spät dafür war, und die osmanische Flotte derart im Hintertreffen, dass ein Einholen kaum noch möglich schien.
Der Schwarzmarkt florierte
Eine andere Schwierigkeit war es, die Märkte für gestohlene Güter auszutrocknen. Der Ansatz der besonders von Venedig verfolgt wurde, die Piraterie dadurch zu bekämpfen, dass man den Piraten die Orte nahm, wo sie ihre gestohlenen Waren loswurden, hatte kaum Erfolg. Häfen wie Malta, Livorno, Tunis, Algiers oder Tripolis, sowie die Städte auf den ägäischen Insel oder an der Balkanküste waren für den regulären Handel nicht mehr gut gelegen und waren wirtschaftlich auf die Piraterie angewiesen.
Damit die Schwarzmärkte also bekämpft hätten werden können, hätte der osmanische Staat nicht nur die Barbareskenstaaten wieder unter seine Kontrolle bringen müssen, unter der sie nur noch formal standen; er hätte ebenso große Investitionen in seine Verwaltung der ägäischen Inseln tätigen müssen.
Bilaterale Verträge und Gesetze
Was man jedoch nicht glauben soll, ist, dass der osmanische Staat einfach nur zuschaute. Zwar war die Flotte nicht in der Lage zu handeln, doch juristisch wurde das Thema Piraterie durchaus umrissen. Genau wie die französischen Konsuln oder italienische Gerichte versuchten die Piraterie einzuhegen und ihn legtime Bahnen zu lenken, wurden auch im Osmanischen Reich Gesetze zur Piraterie erlassen. Der Kadi von Konstantinopel wurde von christlichen Europäern wie auch von Muslimen für die Beilegung von Streitfällen vor einem Gericht des Sultans genutzt. Ebenso enthielt fast jeder Vertrag mit anderen Staaten irgendeinen Passus zur Piraterie.
Wie auch die französische Krone bei ihren Regularien zur Freibeuterei im 16. und 17. Jh. war der osmanische Staat schlicht nicht in der Lage, seine Reglemente durchzusetzen. Dass die Piraterie auch noch religiöse Grenzen überschritt, führte zu zusätzlichen Problemen in der Durchsetzung. Wenn maltesische Piraten das rote Kreuz auf ihren Segeln führten und sie muslimische Gefangene als Sklaven an den Papst für dessen Galeeren verschacherten, ist es naheliegend, dass es schwierig war, internationale Verträge wirksam umzusetzen!
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„Geschichtskrümel“ ist eine wöchentlich erscheinende Serie aus Kurzartikeln. Sie soll Autoren, Spielern und Spielleitern als Anregung dienen und Inspiration fürs Rollenspiel oder Geschichten bieten. Die Geschichtskrümel drehen sich um historische Ereignisse oder Themen, über die ich in meinem Alltag stolpere. Sie sind manchmal lehrreich, manchmal skurril und manchmal einfach nur lustig.
Quellen:
- White, Joshua M. Piracy and Law in the Ottoman Mediterranean. Stanford, 2018.
- Cluse, Christoph. „Genealogische Entfremdung. Zur Sklaverei in städtischen Gesellschaften Italiens (13.–15. Jh.)“. In Sklaverei und Zwangsarbeit zwischen Akzeptanz und Widerstand, herausgegeben von Elisabeth Herrmann-Otto, Bd. 8. Sklaverei – Knechtschaft – Zwangsarbeit. Hildesheim, 2011.
- Bild Karte: Rossica Europeana (UB Bern), https://doi.org/10.3931/e-rara-32622