Die hygienischen Umstände im alten London waren gerade für die Armen ziemlich grauenvoll. In die Themse zu fallen, war generell nicht anzuraten, denn das Wasser des Londoner Flusses war alles, nur nicht trinkbar. Die Medizin hatte sich derweil nur wenig entwickelt, doch immerhin wurden im frühen 18. Jh. reihenweise neue Krankenhäuser gebaut.
Trotz allem heißt das nun nicht, dass die Bevölkerung der weltgrößten Metropole ihrer Zeit keinen Wert auf eine gesunde Lebensführung legte. Was das allerdings genau bedeutete und ob es auch wirkte, ist ja eine ganz andere Sache.
Arbeitsschutz – ein Segen der Moderne!
Letztens, da sah ich einige Bauarbeiter, die damit beschäftigt waren, ein altes Haus abzureißen. Bei über 30 Grad arbeiteten sie ohne T-Shirts in der Sonne. Viel schlimmer: Sie trugen keine Atemmasken, die sie davor geschützt hätten, den ganzen alten Staub des Bauschutts, der Isolationsmaterialien und der verwendeten Kleber, Lacke und anderen Baumittel einzuatmen. Das wird sich vielleicht noch rächen, wenn sie erst einmal die 55 erreichen. Eigentlich sollten gute Aufsicht und funktionierender Arbeitsschutz solche Fehler verhindern – etwas, was es 1750 ganz und gar nicht gab.
Die Leiden der Arbeiterschaft
Je nachdem, welchem Beruf man nachging, quälten einen andere Dinge. Meistens hervorgerufen durch die verwendeten Rohstoffe oder die Arbeitsumstände selbst. Goldschmiede und Vergolder kämpften mit Asthma und Lähmungen aufgrund des Quecksilbers, das bei der Arbeit verwendet wurde. Die Arbeitsschutzlösung? „Den Kopf wegdrehen.“ Ziemlich wirkungslos.
Andere arbeiteten mit Antimon, das in Legierungen Verwendung fand und genau wie Arsen zu chronischem Husten und Blut im Urin führen konnte. Die, die stattdessen mit Farben arbeiteten, mussten mit Bleivergiftungen rechnen, die zu neurologischen Schäden führten, sodass beispielsweise Töpfer oftmals zum Zittern neigten, da die Glasuren Blei enthielten.
Ganz allgemein hatte jedes Handwerk so seine eigenen Probleme. Die Glasmacher konnten im Sommer nicht arbeiten, da ihre Öfen schlicht zu heiß wurden. Wer Textilien herstellte, dessen Atemwege wurden vom Schwefel in der Bleiche angegriffen. Die Bauarbeiter von damals, genau wie meine Bauarbeiter im Beispiel weiter oben, verweigerten sich Schutzmasken und atmeten so den Putz ein. Die Verarbeitung der Katzendärme für Musikinstrumente durch die Saitenmacher führte zu Ödemen und Kurzatmigkeit. Der Schmied hingegen hatte irgendwann getrübte Augen von der Arbeit am Feuer. Im Brauhaus mussten die Brauer stets damit rechnen, durch die Dämpfe bei der Arbeit besoffen zu werden! Müller und Bäcker wiederum hatten eigentlich immer ein Läuseproblem, das mit Quecksilbertinkturen bekämpft wurde. Wer viel bei der Arbeit stehen musste, der bekam irgendwann Krampfadern.
Kurz: Arbeitsschutz, das gab es kaum. Viele Arbeiter waren mit 40 oder 50 bereits völlig abgekämpft und irgendwann schlicht arbeitsunfähig. Ein funktionierendes Renten- oder Pflegesystem gab es allerdings nicht. Wer keine Familie hatte, die sich um ihn kümmerte, der landete irgendwann im Armenhaus, und da lebte es sich selten gut und auch nicht lange.
Was es gab, das waren einige Hospize, Quacksalber und Volksheiler, die sich um die Gesundheitsversorgung kümmerten.
Arm und krank
Die Arbeitsbedingungen, zusammen mit den Wohnungen, in denen die Armen hausten, führten zwingend zu einem Bedarf an medizinischer Versorgung; die war jedoch teuer.
Die westliche Medizin, die hatte sich in ihrem Kern in den Jahrhunderten vor der Moderne kaum entwickelt. Erst im 19. Jh. kamen die großen Durchbrüche, und selbst da dauerte es noch eine Weile, bis man so etwas wie „Volksgesundheit“, beispielsweise durch das Planen von Kanalisation, als Staatsaufgabe sah.
Wer sich also nicht auf die Volksmedizin verlassen wollte, die nach wie vor magische Züge hatte und meist von „weisen Frauen“ oder „klugen Männern“ ausgeführt wurde, der musste sich in die Versorgung der Hospitäler begeben, denn einen Arzt zu konsultieren, war viel zu teuer und kostete schnell einige Pfund.
Die alten Hospitäler
Das älteste Hospital war St. Bartholomews. 1123 gegründet, hatte es sogar das große Feuer von 1666 überstanden und war 1729 erneuert worden, um das alte mittelalterliche Konstrukt aus Klostergebäuden und Nebenhäusern abzulösen. Es besaß im Hauptgebäude 420 Betten und in zwei Nebengebäuden noch einmal insgesamt 66 für Patienten mit Geschlechtskrankheiten. Außerdem versorgte es auch Patienten außerhalb.
St. Bartholomews versorgte und entließ im Jahr 1762 immerhin 6178 Patienten. Dazu kamen 390 Begrabene und 536 Patienten, die noch weitere Behandlung benötigten und im Hospital verblieben. Vollständige Heilung war meist nicht möglich. Behandlung bedeute also Linderung der Probleme oder Versorgung aufgrund von Krankheit. Wer gänzlich unheilbar war, der wurde meist entlassen.
Die Kosten
Wer sich behandeln lassen wollte, der zahlte bei Antritt der Behandlung in St. Bartholomews:
- 2 Shilling, davon 1 Shilling für die Nonne, und jeweils 6 Pence für den Träger und die Krankenschwester.
- Wer an Geschlechtskrankheiten litt, der zahlte stattdessen 25 Shilling und 8 Pence.
- Zwei Monate Versorgung im Voraus: 4 Penny pro Tag, also 20 Shilling und 4 Pence.
- Eine Kaution von 17 Shilling und 6 Pence für das Begräbnis, falls der Patient nicht überlebte.
- Mit viel bürokratischem Aufwand war es auch möglich, einen Freischein von der Krankenhausverwaltung zu erhalten, der die Kosten erließ.
Neben St. Barts gab es auch noch St. Thomas, das ebenfalls im Mittelalter gegründet worden war und sich von St. Barts kaum unterschied. Am bekanntesten ist aber sicherlich Bedlam!
The Hospital of St. Mary of Bethlehem
Bedlam war 1675 wieder errichtet worden, und zwar als Kopie des alten Königspalastes von Frankreich, der Tuilerien. Es galt darum im London nach dem Feuer als eines der formidabelsten Häuser und als eine architektonische Zierde.
Wer dort eingewiesen wurde, der konnte allerdings nicht auf Heilung hoffen – wie auch, die moderne Pharmaforschung gab es noch nicht, und auch die Psychotherapie war noch kein Thema. Was die Patienten allerdings erdulden mussten, waren die Gaffer. Gerade in der guten Gesellschaft war es schick, von Zeit zu Zeit nach Bedlam zu gehen, um sich die Verrückten anzuschauen. Der Schock und Horror war en vogue, sodass dort manchmal sogar Damen ihre Teeparties abhielten. Immerhin bedeutete das auch, dass das Hospital mit Spenden der Besucher rechnen konnte.
Die neuen Hospitäler
Da die Bevölkerung immer weiter wuchs, waren die wenigen mittelalterlichen Hospitäler rundum unzureichend. Darum nahmen neue Hospitäler unter den Wohlhabenden in der ersten Hälfte des 18. Jh. bald den Status ein, den im Mittelalter Klöster hatten. Gruppen von reichen Leuten taten sich zusammen und stifteten neue Krankenhäuser. Dank ihrer Erfahrungen im Fernhandel, bei dem Corporations eine große Rolle spielten, hatten sie die Fähigkeiten und Möglichkeiten, all das effizient zu organisieren. Wo im Mittelalter das Seelenheil im Mittelpunkt gestanden hatte, kümmerten die Herrschaften sich nun um das körperliche Wohl.
Ab 1747 gab es neben diesen ganzen neuen Krankenhäusern wie dem London Hospital, Guy’s Hospital oder dem Middlesex Hospital auch endlich diverse Hospitäler für werdende Mütter, die mit Forceps (Geburtszange) und ausreichend Personal für eine bessere Geburtsversorgung zur Verfügung standen.
Der Zahnwurm geht um
Egal ob reich oder arm, die Zähne hatten Karies. Die Zahnchirurgen machten in dieser Zeit gerade einen Wandel durch, und die Profession des Zahnarztes begann sich zu entwickeln. Zwar schauten Ärzte nach wie vor auf jede Form von Chirurg hinab, doch erfüllten diese eine wichtige Funktion in der Gesundheitsversorgung.
Als kleine Warnung: Einige der Beschreibungen sind für Leute mit Horror vor Zahnärzten nicht geeignet!
Zahnpasta und Bürsten
Morgens, mittags, abends … Zähne putzen. Genau wie heute wusste man auch schon damals, dass Zucker ein Problem war. Gleichzeitig war er aber eine praktische Quelle von Energie. Um den „Zahnwurm“ also fernzuhalten, galt es regelmäßig die Zähne zu reinigen. Eine Methode, die wir alle kennen, ist die Zahnbürste. Auch die gab es damals schon, auch wenn sie eine französische Mode war, die eine ganze Weile gebraucht hatte, um irgendwann auch London zu erreichen.
Ein wundersames Versprechen von Zahnpastaverkäufern war, dass sie angeblich lockere Zähne wieder befestigten könne. Parodontose und Skorbut waren weit verbreitet und damit auch lockere Zähne. Aus der Sicht eines Händlers also ein cleveres Versprechen – wenn auch gelogen. Tatsächlich griffen viele Zahnpasten den Zahnschmelz an und waren viel zu abrasiv. Am Hof des französischen Königs Louis XIV. War deswegen auch das Lächeln mit sichtbaren Zähnen verpönt. Stattdessen achteten die Höflinge auf schmallippiges Lächeln.
Kein Wunder also, dass es auch Alternativen gab. Der führende französische Zahnarzt Fauchard empfahl (wirkunglosen) Eigenurin als Zahnpasta! Da stand er aber in einer langen Reihe mit vielen anderen! Eine andere kostengünstige Idee war es, die Enden von Rosen zu quetschen und dann mit Wasser aufzuquellen, um das dann als Zahnbürste zu verwenden; alle zwei Wochen sollte man zusätzlich ein wenig Schießpulver beim Putzen verwenden.
Die Reichen leisteten sich neben hübschen Bürsten mit Gold- oder Silbergriff auch kleine Federn für die Reinigung der Zahnzwischenräume, die man in filigranen Schmuckkästchen aufbewahrte.
Beim Zahnarzt
Wer Pech hatte, der landete bei einem Quacksalber, der wusste, wie man den Zahnwurm behandelte. Um seine Fähigkeiten für die Umstehenden zu beweisen, steckte er sich kleine Papierschnipsel unter die Fingernägel, und während er ein Zahnloch ausbrannte (ja, brannte, mit einem glühenden Draht, um den Nerv zu töten), ließ er die Schnipsel in den Mundraum fallen, sodass der Patient gut sichtbar blutige „Zahnwürmer“ ausspucken konnte. Danach wurde das Loch gefüllt, entweder mit Blei, Harz, Wachs oder Gold. Wachs war natürlich nutzlos und bald wieder raus.
Der Zahn muss raus
Wollte der Zahnarzt einen Zahn ziehen, dann nahm er den Kopf des am Boden sitzenden Patienten zwischen seine Knie, hämmerte den Zahn los und zog ihn nach vorne oder seitlich hinaus. Ihn nach oben zu entfernen, wie Ärzte das heute tun, war nicht die Norm und mit den verwendeten Instrumenten nur schwierig zu bewerkstelligen.
Ein neuer Zahn muss rein
Wer einen neuen Zahn wollte, der hatte zwei Möglichkeiten: ein Zahntransplantat oder einen falschen Zahn. Ein Transplantat war nur bei den vorderen Zähnen möglich, die eine einfache Wurzel hatten. Einige arme Leute verdienten sich Geld dazu, indem sie ihre Zähne verkauften. Dabei musste das Implantat direkt von einem Mund in den anderen. Dem Spender, der zuvor aus einer Reihe von möglichen Personen ausgesucht worden war, wurde also ein Zahn gezogen und dann mit Silber- oder Seidenfäden im Mund des Patienten befestigt. Nicht immer hielt der Zahn, sodass es ein teures Unterfangen war.
Falsche Zähne
Falsche Zähne hingegen konnte man direkt per Post bestellen! Ein kruder Zahnabdruck auf Holz und eine Darstellung der Zahnfleischform und der Länge reichten dafür aus. Je nach Budget bestanden die Zähne aus Perlmutt, Silber, Kupfer, Walrosszahn, Elfenbein vom Elefanten, Ochsenzahn oder Ochsenknochen, Zähnen von Menschen und natürlich auch aus Gold oder Edelsteinen. Lord Hervey besorgte sich in Italien beispielsweise Zähne aus Achat.
Manchmal wurden nur die unteren oder die oberen Zahnreihen ersetzt, manchmal nur einzelne Zähne. Brauchte jemand ein komplettes Gebiss, dann war die beste Version die, welche mit Metallfedern zusammengehalten wurde, was dafür sorgte, dass das Gebiss auch drinblieb.
Ein passabel günstiges Set für eine untere Zahnreihe kostete um die 3 Pfund und 4 Shilling. Wer stattdessen ein vollständiges Gebiss brauchte, dessen beiden Teile mit Goldfedern befestigt waren, zahlte bis zu 105 Pfund dafür. Ein Nachteil solcher Federn war übrigens, dass sie ihre Wirkung dadurch entfalteten, dass sie die Zahnreihen hoch- und runterdrückten, sodass man kräftig zubeißen musste, um zu kauen, was nicht sehr natürlich aussah.
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„Geschichtskrümel“ ist eine wöchentlich erscheinende Serie aus Kurzartikeln. Sie soll Autoren, Spielern und Spielleitern als Anregung dienen und Inspiration fürs Rollenspiel oder Geschichten bieten. Die Geschichtskrümel drehen sich um historische Ereignisse oder Themen, über die ich in meinem Alltag stolpere. Sie sind manchmal lehrreich, manchmal skurril und manchmal einfach nur lustig.
Quellen:
- Kelly, K. (2010). The History of Medicine. Old World and New. Early Medical Care, 1700–1840. New York: Facts on File.
- Ellis, H. (2001). A History of Surgery. London: Greenwich Medical Media Limited.
- Picard, Liza. Dr. Johnsons London. Everyday Life in London 1740–1770. London, 2003.
- Bild von St. Barts und Fauchards Instrumenten: Wellcome Collection, CC BY 4.0